Der Berliner Totalverweigerer Malik Sharif ist wieder frei

Modell Costa Rica

Der Berliner Totalverweigerer Malik Sharif hat 80 Tage im Bundeswehrarrest verbracht. Von seiner Haltung lässt er sich dadurch nicht abbringen.

Malik Sharif weiß, was er tut. Der 19jährige Reinickendorfer, der dieselbe Schule besucht hat wie Frank Steffel (CDU), verweigerte sich dem Wehr- und Zivildienst und saß dafür fast drei Monate bei der Bundeswehr in Breitenberg bei Itzehoe im Arrest. Ende Januar kam er frei. Wir verabredeten uns mit ihm vor dem Verteidigungsministerium im Bendler-Block zum Foto-Shooting. Anschließend erzählte er bei Kaffee und Kuchen von seiner Zeit im Bau.

»Ich wollte in der Kaserne totalverweigern. Denn wenn man einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellt und dann den Zivildienst verweigert, interessiert sich niemand dafür. Ich verfolge aber ein politisches Ziel und bin gegen die Wehrpflicht. Da ist es öffentlichkeitswirksamer, wenn man in der Kaserne verweigert«, beginnt Sharif zu erzählen. Aber wie verweigert man in der Kaserne? Brüllt einen ein Offizier an und man sagt: »Du kannst mich mal, ich gehe jetzt«?

»Nein, nein«, sagt Sharif. »Bei mir war das so: Mich haben Freunde am 3. November zu der Kaserne gebracht. Ich bin in Empfang genommen und von einem Hauptmann verhört worden. Der hat versucht, mir die Bundeswehr doch noch schmackhaft zu machen, erzählte, was ich da alles so lernen könnte, aber das hat natürlich nichts gebracht. Dann hat er mir den Befehl gegeben, den Wehrdienst anzutreten, und ich habe geantwortet, dass ich das nicht tun werde. Das war dann das Dienstvergehen. Also ließ er mich festnehmen.«

Die vorläufige Festnahme galt für 24 Stunden. Am Tag darauf wurde Sharif derselbe Befehl erteilt, er weigerte sich wieder und wurde eingesperrt. Dann wurde die Angelegenheit dem Kommandeur der Kaserne übergeben. Der Kommandeur kann höchstens 21 Tage Arrest verhängen. Er schickte Sharif erstmal für 14 Tage in den Bau, und danach drei Mal für jeweils 21 Tage.

Dabei scheinen in diesem Verfahren übliche Rechtsgrundsätze nicht mehr zu gelten. »Der Arrest muss immer beim Truppendienstgericht beantragt werden«, erklärt Sharif. »Das ist ein Gericht, das nur für militärische Angelegenheiten zuständig ist. Es hat einen zivilen Vorsitzenden Richter, der über den Arrestantrag entscheidet. Gegen den Antrag kann man Beschwerde einlegen. Über die Beschwerde entscheidet derselbe Richter mit zwei zusätzlichen Laienrichtern, die beide Soldaten sind. Das heißt, die Bundeswehr hat immer das letzte Wort. Über die Beschwerde entscheiden dieselben Leute, die den Arrest verhängt haben.«

Das Gericht habe in seinem Verfahren auch völlig abwegige Argumente vortragen. »Die haben mir zum Beispiel vorgeworfen, meine Entscheidung könne keine Gewissensentscheidung sein, da ich mich auch weigern müsste, einen Teil der Steuern zu zahlen. Darauf habe ich in meiner Beschwerde geschrieben, dass ich abgesehen von der Mehrwertsteuer überhaupt noch keine Steuern bezahlt habe. Schließlich habe ich erst im vergangenen Sommer Abi gemacht. Und es macht ja wohl keinen Sinn, in einem Supermarkt mit dem Kassierer herumzustreiten, weil man den Anteil der Mehrwertsteuer nicht zahlen will, mit dem der Krieg finanziert wird.«

Dieser Logik aber war das »Gericht« nicht zugänglich, Sharif wurde arrestiert. Er zeigt uns Fotos von seiner Zelle, denn es gelang ihm, einen Fotoapparat hineinzuschmuggeln, auch ein Handy und ein kleines Radio. Die Fotos zeigen einen sterilen weißen Raum mit Stuhl, Tisch, Bett und einer Toilette. Sharif hatte es sich schlimmer vorgestellt. »Die können zum Beispiel das Bett tagsüber hochklappen, sodass man sich nicht mehr darauf setzen kann. Aber das haben sie bei mir nicht gemacht.«

Und was tut man den ganzen Tag in so einer Zelle? »Ich habe viel gelesen und Briefe geschrieben. Eine Stunde am Tag hatte ich Freigang. Am Sonntag war eine Stunde Besuch erlaubt, was natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Aber das wurde alles unterschiedlich gehandhabt, je nachdem, wer Wachdienst hatte. Manche Leute haben mich tagsüber im Wachzimmer fernsehen lassen, andere wieder haben meiner Begleitung beim Hofgang verboten, mit mir zu sprechen. Es gab Offiziere, die beim Besuch exakt die sechzig Minuten gestoppt haben, andere haben gesagt, die Besucher reisen aus Berlin an, die können so lange bleiben, wie sie wollen.«

Sharif wurde in seiner Verweigerung von der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär unterstützt, aber auch von seinen Eltern. »Am Anfang waren sie nicht begeistert von dem, was ich vorhatte. Aber dann meinte mein Vater, dass er das auch so gemacht hätte. Er kommt aus dem Irak, und als er in Deutschland studierte, ergriff die Baath-Partei von Saddam Hussein die Macht. Also blieb mein Vater hier. Wenn er zurückgegangen wäre, hätte er auch den Kriegsdienst verweigert, sagte er mir. Meine Eltern sind pazifistisch eingestellt.«

Pazifismus heißt für Sharif jedoch nicht, alles über sich ergehen zu lassen. »Wenn ich auf der Straße angegriffen würde, würde ich mich verteidigen«, gesteht er. »Bei der Selbstverteidigung von Personen gegen andere hält sich der Schaden für beide in Grenzen. Ich laufe ja normalerweise nicht mit einem Raketenwerfer herum. Bei der Selbstverteidigung eines Staates gegen einen anderen Staat sieht das schon anders aus. Meist geht es da um Interessen, in der Regel um wirtschaftliche. Wenn der Krieg erst mal ausgebrochen ist, wird die betroffene Gegend meist über Jahre hinaus destabilisiert und die Bevölkerung hat darunter zu leiden.«

An dieser Stelle des Gesprächs wird klar, dass die Entscheidung, den Wehrdienst zu verweigern, bei Sharif eine grundsätzliche war. Nicht einmal den Krieg der Roten Armee gegen Hitler könne er befürworten, schließlich habe die Sowjetunion sich zuvor an der Besetzung Polens beteiligt.

Das Argument, dass die Totalverweigerer indirekt zur Modernisierung der Bundeswehr beitragen könnten, weil mit der Abschaffung der Wehrpflicht eine Berufsarmee enstünde, weist er zurück. »Wir sind mit der Abschaffung der Wehrpflicht ja nicht zufrieden gestellt. Das wäre nur der erste Schritt zur totalen Abrüstung. Wir wollen Truppenstärke null.«

Ihm schwebt ein anderes Modell vor. »Es gibt Länder, die keine eigene Armee besitzen. Costa Rica etwa hat seit 1948 nur noch eine Nationalgarde mit ein paar tausend Mann, mit der man aber keinen Krieg führen kann. Die haben im Vergleich zu den umliegenden Ländern immer stabile Verhältnisse gehabt. Es hat auch keine der Militärdiktaturen in der Nachbarschaft versucht, sich Costa Rica unter den Nagel zu reißen.«

Aber auch wenn sich das ändern sollte, Sharif würde der Bundeswehr nicht helfen, Costa Rica zu befreien. Im März wird ihm wegen seiner Gehorsamsverweigerung der zivile Prozess gemacht. Zuletzt kamen die Totalverweigerer meistens mit Bewährungsstrafen davon, theoretisch könnte aber eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt werden.