Kein Krieg ohne uns

Auf der Suche nach patriotischen Parolen hilft die deutsche Presse der Bundesregierung auf die Sprünge.

Wenn man so will, hat die Bundesrepublik die ersten Gefallenen ihrer Geschichte zu beklagen«, schrieb die Passauer Neue Presse in weihevollem Ton am Tag, als die Meldung über den Tod zweier Bundeswehrsoldaten in Kabul über den Ticker gegangen war. Und selbst wenn die beiden ihr Leben nicht im Feld lassen mussten, sondern nur in der Etappe, und auch nicht durch feindlichen Beschuss gestorben sind, sondern beim Sprengen von Munition - an der Heimatfront »will man es so«.

Acht Jahre nach dem so genannten Out-of-Area-Urteil des Bundesverfassungsgerichts lechzt der Boulevard nach deutschen Helden, auch wenn sich außer der Passauer Neuen Presse bislang niemand traute, das Wort »Gefallene« tatsächlich zu drucken. Doch schon die Aufmachung der meisten Blätter am Tag nach dem Arbeitsunfall in der afghanischen Hauptstadt machte deutlich, dass man nicht gewillt ist, noch länger auf deutsches Heldentum zu warten: Mit Trauerflor und in Schwarz-Rot-Gold gehalten, kündeten die Titelseiten vom Tode »unserer Jungs« im fernen Afghanistan.

»Jeder militärische Einsatz ist mit einem hohen Risiko bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens verbunden«, belehrte die Berliner Morgenpost ihre Leser. »Jetzt zwingt uns die bittere Realität, es auch zu begreifen. Ein bitterer, aber unausweichlicher Lernprozess.« Und der Mannheimer Morgen weiß: »Die Zeit der Scheckbuch-Diplomatie ist vorbei, niemand kann sich mehr von seinen Pflichten freikaufen.« Schluss also mit dem undeutschen Geschachere, hohe Zeit für die Wiederkehr der berühmt-berüchtigten deutschen Sekundärtugenden, mit denen man - frei nach Oskar Lafontaine - ein KZ ebenso führen kann wie einen Krieg.

Bei der Bild weiß man nach 57 Jahren deutscher Abstinenz immer noch, wie ein anständiges Heldenbegräbnis auszusehen hat: »Entscheiden sich die Hinterbliebenen für ein militärisches Begräbnis, werden sechs Soldaten mit dem gleichen Dienstgrad des Verstorbenen ihm die letzte Ehre erweisen und zu Grabe tragen. (...) Auch hier wird das Lied vom 'guten Kameraden' geblasen von einem einsamen Trompeter. Wird der Sarg ins Grab hinabgelassen, erschallt Trommelwirbel. Die Bänder auf dem Kranz der Bundesrepublik werden schwarzrotgold leuchten.«

Was die Springer-Presse kann, kann die Zeitung aus dem Frankfurter Westend schon lange - wenn auch vielleicht ein bisschen distinguierter, aber mit kaum weniger Pathos: »Gestorben sind diese Angehörigen der Bundeswehr im Dienste für das Vaterland - so jedenfalls lautet die traditionelle Formulierung, auch wenn diese in unseren Zeiten für manchen anachronistisch klingen mag«, schreibt die FAZ.

Während die Journalisten unverdrossen die Kriegstrommeln rühren, ist man sich in der Bundesregierung nicht so sicher, ob die bundesrepublikanische Gesellschaft tatsächlich stark genug ist für deutsche Kriegsopfer. Die Beschwörungsformeln von der »uneingeschränkten Solidarität« mit den USA sind jedenfalls leiser geworden. Dass Deutschland trotz aller Friedensrhetorik längst Kriegspartei ist, möchte Rot-Grün am liebsten unterm Deckel halten. Während die Medien täglich Bilder von den deutschen Truppen zujubelnden Afghanen verbreiten, wurde der bereits seit Monaten andauernde Kampfeinsatz des Kommandos Spezialkräfte (KSK) geheim gehalten, solange es ging.

Nachdem jedoch immer mehr Einzelheiten über den KSK-Einsatz bekannt wurden, konnte Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping nicht mehr anders und informierte in der vergangenen Woche erstmals ausführlich die Parlamentsfraktionen. Trotz der vereinbarten Vertraulichkeit breitete die PDS die Informationen unverschämterweise gleich in aller Öffentlichkeit aus: Die KSK seien damit beauftragt, Taliban zu bekämpfen und zu fangen, berichtete der PDS-Abgeordnete Wolfgang Gehrcke den Medien. Da die deutschen Soldaten dabei mit den USA zusammenarbeiten und gefangen genommene Taliban vermutlich den USA übergeben würden, sieht die PDS die Verfassung verletzt. Denn an Staaten, die die Todesstrafe vollstrecken, darf nach dem Grundgesetz nicht ausgeliefert werden. Deutsche Soldaten, so Gehrcke, »machen sich in diesem Fall strafbar«.

Um international gültige Rechtsnormen hat sich die rot-grüne Bundesregierung - siehe Kosovo - bekanntlich noch nie sonderlich geschert, sie steckt in einem ganz anderen Dilemma. Natürlich will sie militärisch wieder auf der Weltbühne mitmischen, was angesichts von Bündnisverpflichtungen und realen Kräfteverhältnissen derzeit jedoch nur an der Seite der USA zu realisieren ist. Beim »friedlichen Aufbau« - vulgo beim Sichern von Einflusssphären - von Afghanistan und all den anderen noch zu befreienden und zu befriedenden Krisengebieten in der Welt will Deutschland aber auf jeden Fall dabei sein. Ohne militärische Option geht das nicht. Und gemeinsam mit US-amerikanischen GIs ein paar Kriegserfahrungen zu sammeln, kann ja auch nicht schaden, aber bitte nicht zu laut und möglichst ohne eigene Opfer.

Denn so weit wie in den USA, wo der Präsident die Öffentlichkeit seit Monaten immer wieder unverhohlen auf kommende eigene Todesopfer vorbereitet hat und wo der Tod der deutschen und dänischen Soldaten in Kabul den meisten Zeitungen nicht einmal eine Randnotiz wert war, ist man in Deutschland noch lange nicht. Umfragen zufolge ist fast die Hälfte der Bundesbürger gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, bei der rot-grünen Wählerklientel dürfte der Prozentsatz noch deutlich darüber liegen. Und wenn die Zinksärge demnächst dutzendweise in Deutschland ankommen, dürfte das die Chancen von SPD und Grünen bei der Bundestagswahl im September kaum verbessern.

Noch scheut die Regierung offen militaristische und patriotische Parolen. Der Kanzlerkandidat der Union, Edmund Stoiber, hat damit sicherlich weniger Probleme. Spätestens seit dem Kosovo-Einsatz hat Rot-Grün die militärische Zurückhaltung der alten Bundesrepublik endgültig aufgegeben, und wenn im September Stoiber das Ruder übernehmen sollte, wird es auch mit der verbalen Zurückhaltung vorbei sein. Dann müssen auch nicht mehr irgendwelche Menschenrechtsverletzungen als Rechtfertigung für den Krieg herhalten, und auch deutsche Interessen müssen nicht mehr ideologisch verbrämt werden.

Der Arbeitsunfall von Kabul und das anschließende patriotische Trauerbrimborium der Medien könnte Rot-Grün aber auch ganz gelegen kommen, um die propagandistische Wende noch rechtzeitig hinzukriegen. Lieber erst mal ein paar Tote nach einem schief gegangenen Sprengversuch im Rahmen einer »Friedensmission« als gleich ein Dutzend »Gefallener«.

Das bietet doch die willkommene Gelegenheit, die Öffentlichkeit auf mehr vorzubereiten. Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, verkündete in der vergangenen Woche schon einmal: »Es gibt keinen Garantieschein dafür, dass alle sicher zurückkommen.«