Die Linke und die Bundestagswahl

Stoppt alle!

Eine Anti-Stoiber-Kampagne ist politisch unsinnig.

So periodisch wie die Bundestagswahlen kehren in der Linken Diskussionen über das vermeintlich kleinere Übel wieder. Beim letzten Mal hieß der größte anzunehmende Feind Kanther. Schröder sei zwar unappetitlich, meinte man damals, aber Kanther, das sei ein ganz besonders Fieser, und der müsse unbedingt weg. Bekanntlich erfüllte sich dieser Wunsch. Kanther ging. Schily kam.

Glaubt man den meisten linken Prognosen, wird mit Stoiber alles schlimmer. Eine »nicht im Traum vorstellbare« Politik werde mit ihm Einzug halten, lautet die Warnung. Doch was hatte man in den vergangenen vier Jahren nicht alles an Rot-Grün kritisiert, was man nicht auch einer Stoiber-Regierung vorwerfen könnte: Schilys Law-and-Order-Rassismus, Fischers Relativierung von Auschwitz oder Schröders Wirtschaftsnähe.

Und vielleicht sähe die Lage ja tatsächlich ein bisschen - wohlgemerkt: ein bisschen - anders aus, wenn Lafontaine noch mal zur Wahl stünde. Oder Helmut Kohl. Aber Schröder gegen Stoiber? Fischer gegen Westerwelle?

»Ausländische Straftäter sind grundsätzlich unverzüglich und konsequent abzuschieben«, sagt der Herausforderer. »Bei Ausländern, die ihr Gastrecht missbrauchen, gibt es nur eins: raus, aber schnell«, meint der Titelverteidiger. Ob Arbeitszwang für Sozialhilfeempfänger, Steuererleichterungen für Reiche, Auslandseinsätze der Bundeswehr, Attacken gegen die EU, utilitaristische Ausländerpolitik, Ausbau des Polizeistaates, Hofieren der Sudetendeutschen - die Liste der Ähnlichkeiten zwischen den Bewerbern ist ungefähr so lang wie die Wahlprogramme.

Um zu sehen, wie haltlos die linken Weltuntergangsszenarien sind, bedarf es keines sonderlich geschulten Analysevermögens. Lesen genügt. Und sei es nur die Bild, die die Austauschbarkeit der beiden Kandidaten durch eine sachliche Gegenüberstellung ihrer Aussagen zu demonstrieren vermochte.

Oder war die linke Kritik an Rot-Grün so ernst gemeint wie das gelegentliche Meckern der Jusos über ihren früheren Vorsitzenden? Sobald etwas auf dem Spiel steht, haben die Nachwuchsminister alles vergessen und kämpfen mit Stoppt-Stoiber-Plakaten, bedruckten Kondomen und Dixieland-Musik für ihren Kandidaten. Was die Jusos in deutschen Fußgängerzonen suchen, ist klar, aber was um Himmels willen haben Linksradikale samstags morgens um neun dort verloren?

Die Idee einer Anti-Stoiber-Kampagne zeugt von dem Aberglauben, die Sozialdemokraten seien irgendwie doch sozial, die Grünen irgendwie doch progressiv, die Zonis irgendwie doch emanzipatorisch und die Deutschen irgendwie doch zivilisiert. Vielleicht würde man für eine solche Kampagne tatsächlich den Beifall engagierter Lehrer und grüner Ortsverbände oder auch nur den Dank von Mama und Papa ernten. Der Preis aber ist die Revision des mühevollen Erkenntnisprozesses, in dessen Verlauf so ziemlich jede und jeder Linke sich von ihnen abnabelte.

Nein, Parolen wie »Stoppt Stoiber« gehören ästhetisch wie politisch auf ein Linksruck-Plakat. Dort stören sie niemanden, dort können sie bleiben. Aber sonst? Ebenso gut könnte man ins Alphorn blasen oder »Wer wird Millionär?« gucken, das Ergebnis bliebe dasselbe. Denn erfahrungsgemäß dient ein Stoppschild dazu, den Verkehr anzuhalten, damit andere weiterfahren können. Stoiber das Stoppschild zu zeigen, signalisiert den anderen die Möglichkeit, ungestört weiterzumachen und sichert so die Fortdauer des Bisherigen. Und an diesem beschissenen Zustand wird sich - so oder so - nichts ändern. Deshalb brauchen sich Linke nicht zum Deppen zu machen, indem sie einen »Supergau« herbeiphantasieren und ungefragt Schützenhilfe für Schröder, Fischer oder Zimmer leisten.

An einen Bundestagswahlkampf sollten Linke so herangehen wie an eine Fußballweltmeisterschaft: Freunde einladen, sich im Sessel zurücklehnen, ein Bier öffnen, auf eine unterhaltsame Partie hoffen, die Spielzüge fachkundig kommentieren und noch ein Bier öffnen. Interessiert, aber distanziert. Der einzige Unterschied: Fußballturniere gewinnt nicht immer eine deutsche Mannschaft.