EU-Gipfel in Barcelona

Voll beschäftigt

In Barcelona findet am Wochenende der EU-Gipfel statt. Demonstranten und Unternehmen bereiten sich darauf vor.

Es könnte ganz schön wacklig werden. Die Balance zwischen Modernisierung und sozialer Verantwortung müsse eingehalten werden, erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder nach einem Treffen mit seinem spanischen Amtskollegen, dem EU-Ratspräsidenten José Maria Aznar, am Donnerstag vergangener Woche. Auf dem EU-Gipfel, der am kommenden Freitag in Barcelona beginnt, sollen nun vor allem konkrete Schritte zur Belebung des Wirtschaftswachstums vereinbart werden. Vollbeschäftigung sei zwar weiterhin ein Ziel, erklärte Aznar, aber das könne man nur über weitere Reformen erreichen. Bisher waren die angestrebten Reformen nicht besonders erfolgreich.

So stieg die Erwerbslosigkeit in Spanien im Februar um 9,7 Prozent, so schnell wie schon seit 1993 nicht mehr. Insgesamt sind 13 Prozent der Bevölkerung erwerbslos gemeldet. Der Anteil der arbeitslosen Frauen beträgt sogar 14,4 Prozent. Allein in der Hauptstadt Madrid wurden im letzten Jahr 20 Prozent mehr Festangestellte entlassen als im Jahr zuvor. Von den Neueingestellten besitzen inzwischen neun von zehn Personen einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag.

Auch in den neuen Studien des Internationalen Währungsfonds rechnet man nicht mit einem Rückgang der EU-weiten Arbeitslosenquote von 7,8 Prozent. Die Europäische Kommission stellt in ihrer Broschüre »Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung« außerdem fest, dass jeder sechste EU-Bürger in Armut lebt. In Spanien sind das nach offiziellen Angaben 8,5 Millionen Menschen.

Damit hat der Sekretär für Arbeit und Wirtschaft der rechtskonservativen Regierungspartei Partido Popular (PP), Vicente Lopez, allerdings keine Probleme. Nach seiner Meinung ist Spanien »auf dem besten Weg«. Denn: »Spaniens Bruttoinlandsprodukt wuchs im letzten Jahr mehr als in allen anderen EU-Staaten.« Diese Argumentation überzeugt den spanischen Arbeitgeberverband (CEOE) jedoch nicht. Für ihn gehen die Maßnahmen zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes nicht weit genug. Der CEOE-Präsident, José Maria Cuevas, klagt über »einen Anstieg der öffentlichen Kosten«. Er forderte von der Regierung »mehr Freiheit für die Unternehmen und Märkte« in der Energiewirtschaft und der Telekommunikation, aber auch mit Blick auf die Frage der Sozialversicherung und in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften.

Wim Duisenberg, der Präsident der Europäischen Zentralbank, richtete in diesem Sinne eine klare Botschaft an die Teilnehmer des EU-Gipfels in Barcelona: »Jede Initiative zur stärkeren Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und der Produkte aus der Eurozone muss unterstützt werden.« Und der Europäische Arbeitgeberverband (UNICE) forderte in einem Brief an den spanischen Ministerpräsidenten Aznar »entschiedenes Handeln ... zur Schaffung von Reichtum statt Papierbergen« und bot bei der Vorbereitung des Gipfels »jede Hilfe zur Umsetzung der Reformen« an.

Neben der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes steht in Barcelona die weitere Vereinheitlichung der europäischen Finanzmärkte auf der Tagesordnung. Rodrigo Rato, spanischer Wirtschaftsminister und Vorsitzender des europäischen Rats der Wirtschafts- und Finanzminister (Ecofin), ist nach Angaben der Expansión überzeugt, dass sich die Staatschefs, die Kommission und das EU-Parlament auf ein gemeinsames Vorgehen im Sinne der so genannten Lamfalussy-Studie einigen können.

In der Studie wird ein EU-Rahmengesetz vorgeschlagen, dass nach den Bedürfnissen des Finanzkapitals »flexibel ausgerichtet« sein müsse. Dem stehen allerdings nach den Worten von Alexandre Lamfalussy, dem ehemaligen Präsidenten des Europäischen Geldinstituts (Vorgänger der Europäischen Zentralbank), immer noch die »zu präzisen EU-Vorschriften« sowie die Gesetze der Mitgliedsländer im Wege. »Solange der Anleger denkt, dass er in den USA höhere Gewinne erzielt, wird er dort investieren«, so Lamfalussy. Und das soll sich so schnell wie möglich ändern, darin sind sich alle europäischen Regierungen einig.

Auch wenn es anders wirkt, so beteiligen sich doch nicht nur Unternehmer am Prozess der Konsolidierung der Europäischen Union. Der Europäische Gewerkschaftsverband war ebenfalls an den Vorbereitungen zum Gipfel in Barcelona beteiligt. Scheinbar fühlt er sich dort aber nicht genügend repräsentiert und mobilisiert daher seine Mitglieder zu einer Gewerkschaftsdemonstration in der Stadt, einen Tag vor dem Beginn des Gipfels. Gleichzeitig haben die spanischen Mehrheitsgewerkschaften UGT und CCOO zur Demonstration der »Antiglobalisierungsbewegung« am 16. März aufgerufen.

Doch es soll nicht nur diese Demonstration geben. So sind für den Freitag dezentral organisierte Aktionen geplant. Das Bündnis Foro Social de Barcelona hat sich dagegen entschieden, zu Blockaden aufzurufen, da man nur mit »kreativen und dezentralen Aktionen« der zahlenmässig überlegenen Polizei etwas entgegensetzen könne. Das Bündnis hofft, dass so der Widerstand nicht in den von der Polizei dominierten Medienbildern untergehe, heißt es in einem Aufruf. Wichtig sei es, die verschiedenen sozialen Bewegungen und ihre »Alternativen zur Liberalisierungspolitik« in den Stadtteilen wahrnehmbar zu machen.

Im Foro Social de Barcelona haben sich wenige Wochen vor dem EU-Gipfel Parteien, Gewerkschaften, Autonome, NGO, Kirchen und soziale Gruppen der katalanischen Hauptstadt zusammengeschlossen. Sie haben vor allem versucht, mit einer geschickten Verhandlungstaktik die kommunale Regierung der Sozialisten (PSC), das rechtskonservative regionalistische Parteienbündnis Übereinstimmung und Union (CiU) sowie die Zentralregierung der PP gegeneinander auszuspielen. Und es ist ihnen gelungen. Vor allem die in Barcelona regierenden Sozialisten haben ein Problem. Denn da auch auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre zur Teilnahme an den Protestveranstaltungen in Barcelona aufgerufen worden war, an dem auch die PSC teilgenommen hatte, kündigte die Partei inzwischen ihre Beteiligung an der Großdemonstration am Samstag an.

Der spanische Außenminister, Josep Pique, und der katalanisch-nationalistische CiU-Präsident, Jordi Pujol, beschuldigen nun die PSC »widersprüchlich und demagogisch zu handeln«. Denn obwohl die PSC von einer Parteispitze abhängig sei, die mit dem EU-Beitritt den wirtschaftlichen Liberalisierungsprozess eingeführt habe und bis heute unterstütze, beteilige sie sich an der Demonstration gegen den Gipfel und arbeite im Foro Social mit.

Aber auch wenn sich die PSC an den Protesten beteiligt, rechnen die örtlichen Organisatoren mit zahlreichen Festnahmen. Vor allem die Regierungspartei PP will sich mit einem repressiven Vorgehen gegen »Krawallmacher« gegen ihre regionale Konkurrenz von der CiU profilieren. So sollen Richter mit neuen Kompetenzen ausgestattet werden und Schnellverfahren möglich sein. Insgesamt werden 8 500 Polizeibeamte im Einsatz sein. Teile der Innenstadt sollen für die Bürger vollständig abgesperrt werden.