Krise in der SPD

Wir sind bereit zur Übergabe

Auch wenn Korruption ein fester Bestandteil der freien Marktwirtschaft ist, könnte die Kölner Parteispendenaffäre Schröder die Wiederwahl kosten.

Hans-Christian Ströbele kann es auch für die Grünen »nicht ausschließen«. Allerdings sei seine Partei »relativ unverdächtig«, was illegale Parteispenden oder Schwarzgeldkonten anbelange. »Es ist noch niemand auf die Idee gekommen, mit einem Koffer voll mit einer Million Mark zu Ströbele zu kommen«, behauptet Ströbele. Das darf man ihm ruhig glauben. Denn geschmiert wird vor allem derjenige, der Einfluss auf Regierungsentscheidungen hat.

Auf Ströbele kommt nun viel Arbeit zu. Denn er sitzt als Obmann der Grünen im Parteispenden-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der sich bisher mit dem Finanzgebaren der CDU befasst hat. Seit vergangener Woche aber hat die Republik eine neue Spendenaffäre, die den Ausschuss beschäftigen wird.

Der mittlerweile zurückgetretene Kölner Ratsfraktionsvorsitzende der SPD, Norbert Rüther, hat zugegeben, dass er zwischen 1994 und 1998 über 650 000 Mark, gestückelt in Tranchen bis zu 20 000 Mark, in die Parteikasse hat fließen lassen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, ob es sich um Schmiergeld im Zusammenhang mit dem Bau einer Müllverbrennungsanlage durch das Kölner Entsorgungsunternehmen Trienekens handelt. Es geht insgesamt um Beträge in Millionenhöhe. Mehrere Landtags- und Bundestagsabgeordnete der SPD sollen in den Vorgang verwickelt sein.

Inzwischen wird das Programm abgespult, das man von vergleichbaren Fällen zur Genüge kennt. Es gibt einzelne Rücktritte, schwarze Kassen werden entdeckt, fingierte Spendenquittungen tauchen auf, und enttäuschte Sozialdemokraten verlassen die Partei. Die SPD tritt, wie ehemals die CDU, die Flucht nach vorne an, das magische Wort heißt wieder mal: Aufklärung. Versprach der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) einst »brutalstmögliche Aufklärung«, so kündigte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, nun »gnadenlose Aufklärung« an.

Aber was soll eigentlich aufgeklärt werden? Sicher nicht das, was Herbert Marcuse einmal so beschrieben hat: »Die politischen Bedürfnisse der Gesellschaft werden zu industriellen Bedürfnissen und Wünschen, ihre Befriedigung fördert das Geschäft und das Gemeinwohl, und das Ganze erscheint als die reine Verkörperung der Vernunft.«

Schon der Begriff »Parteispendenaffäre« führt in die Irre. Es handelt sich weniger um eine Affäre, als um ein Strukturmerkmal der freien Marktwirtschaft. Die Annahme, Parteien agierten unabhängig von der Wirtschaft, ist idealistisch, um nicht zu sagen naiv. Zum einen sind die Parteien inzwischen selbst längst Wirtschaftsunternehmen mit Umsätzen in Millionenhöhe, zum anderen haben sie, wenn sie regieren, eben gerade die Aufgabe, den deutschen Unternehmern im In- wie im Ausland optimale Bedingungen zu schaffen.

Es handelt sich hier auch nicht um ein spezifisches Problem des »Kölschen Klüngels«. Korruption gibt es in vielen Städten und Gemeinden, vor allem, wenn es um die Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand geht. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Michael Müller, gestand denn auch ein, »dass im kommunalpolitischen Geschehen so etwas häufiger passiert«.

Und selbstverständlich ist Korruption kein Merkmal einer bestimmten Partei. Nach einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers erhob ein ehemaliger Mitarbeiter der CDU-Kreisgeschäftsstelle in Köln bereits den Vorwurf, dass auch die Christdemokraten Spenden gestückelt hätten. Der nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär Herbert Reul konnte in der vergangenen Woche nicht ausschließen, dass auch CDU-Mitglieder in die Angelegenheit verwickelt sein könnten. »Sie können nie sicher sein, in keiner Großorganisation, in keinem Verband, in keinem Unternehmen, dass nicht jemand auch die Regeln verletzt und sich kriminell verhält.«

Jürgen Rüttgers, der Landesvorsitzende der CDU in Nordrhein-Westfalen, wollte sich auch nicht festlegen, ob bei der CDU alles in Ordnung sei: »Ich kenne natürlich nicht die Kassenbücher eines jeden Ortsvereins.« Dagegen war für den Landesgeschäftsführer der SPD in Nordrhein-Westfalen, Frank Ulrich Wessel, eigentlich nur noch die Frage interessant, warum sich Rüther gerade jetzt offenbart habe. Sein System sei schließlich »so perfide« gewesen, dass es sonst kaum aufgeflogen wäre. Hätte Rüther nicht bis zum 23. September warten können?

Nur in Ostdeutschland scheint man vor der Korruption gefeit zu sein. Der Vorsitzende der PDS-Bundestagsfraktion, Roland Claus, erklärte vergangene Woche: »Insbesondere in den neuen Bundesländern im Osten reiben die Leute sich die Augen und fragen (...) wie stabil, transparent und demokratisch es eigentlich in dem Laden zugeht, dem die einstigen DDR-Bürger beigetreten sind.« Als ob es in den »neuen Bundesländern im Osten« in den vergangenen Jahren keine Parteiaffären und dubiosen Geschäfte gegeben hätte, an denen sich auch Ostdeutsche beteiligt hatten. Auch die PDS ist nicht die Saubermann-Partei, zu der sie sich gerne stilisiert. Der Arbeitsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter (PDS), kam im vergangenen Jahr mit der so genannten Ehefrauen-Affäre in die Schlagzeilen. Dabei ging es um die Fördermittelvergabe an die Weiterbildungsfirma der Ehefrau eines seiner Staatssekretäre. Diese Ehefrau wiederum ist mit Holters Frau befreundet. Vetternwirtschaft nennt man das.

Es wird von politischer Seite und den Medien immer versucht, Korruption als eine Verfehlung einzelner Personen darzustellen. Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl gab durchaus zu, »Fehler« gemacht zu haben. Die Namen der Spender nannte er deswegen noch lange nicht, wohl weil dann ersichtlich gewesen wäre, wer welchen Einfluss auf die damalige Bundesregierung ausgeübt hat. Außer Frage stehen sollen immer die freie Marktwirtschaft und die Lauterkeit der Gesamtpartei.

Eine ähnliche Strategie verfolgt nun die SPD. Etwa wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder versichert, die Verantwortlichen würden »aus der Partei entfernt«. SPD-Generalsekretär Franz Müntefering behauptete in der Bild: »Die kriminellen Machenschaften einiger SPD-Funktionäre waren in der Landespartei nicht bekannt.« Aber welches Motiv könnten diese »Kriminellen« gehabt haben, nicht in die eigene Tasche, sondern in die der Partei zu wirtschaften? »Wie es aussieht, wurden Großspenden an die Kölner SPD mit erheblicher Energie in so kleine Beträge aufgeteilt, dass sie völlig unauffällig in die Parteikasse fließen konnten.« Sollte hier eine Partei gezielt mit Geld unterwandert werden?

Das Ausmaß der Katastrophe ist für die SPD, die ihrerseits in den beiden vergangenen Jahren stark von den Korruptionsfällen in der CDU profitiert hat, natürlich enorm. Zum ersten Mal seit November 1999 sagt man der Union und der FDP für die Bundestagswahl wieder eine Mehrheit voraus. Schröders Wiederwahl steht ernsthaft auf der Kippe, das rot-grüne Projekt könnte schneller enden als geplant.

Die SPD hat den deutschen Unternehmern vier Jahre lang Arbeitskämpfe erspart, indem sie ihren Einfluss bei den Gewerkschaften geltend machte, der »Autokanzler« und »Genosse der Bosse« Gerhard Schröder tat alles, um die Wirtschaft zufrieden zu stellen, und nun muss die rot-grüne Koalition den in jeder Hinsicht gut bestellten Laden vielleicht schon im Herbst wieder den Konservativen übergeben, weil sich die Unternehmer im Rheinland für solche Parteidienstleistungen großzügig erkenntlich gezeigt haben. Der Kanzler Edmund Stoiber wäre dann das letzte Produkt dieser Regierung, ihr schwer zu ertragendes Erbe.

Vieles spricht momentan dafür, dass es so kommt. Denn wenig ist geblieben von den großen Versprechungen aus dem Jahre 1998. Wie hieß es so schön im SPD-Wahlprogramm? »Mehr Arbeitsplätze«, »Aufbau Ost wird zur Chefsache«, »Deutschland als Ideenfabrik«, »Neuer Aufbruch für die Frauenpolitik«, »Bezahlbare Gesundheit«, »Mehr soziale Gerechtigkeit«. »Wir sind bereit«, behaupteten die Sozialdemokraten 1998. Wir sind weg vom Fenster, so könnte es im Herbst heißen. Wenn nicht doch noch der Aufschwung kommt. Denn nicht nur die Parteien helfen der Wirtschaft, die Wirtschaft hilft auch immer wieder den Parteien.