Christoph Schlingensiefs neue Show

Das ganze Leben ist ein Quiz

Christoph Schlingensief covert Günther Jauchs Millionen-Quiz. Eine Persiflage ist das Stück nicht.

Hallo, hier sind Danni und Joy vom freundlichen Casting-Team von 'Quiz 3000'. Wir haben bereits alle Kandidaten ausgewählt, äähm, Sie müssen also nicht mehr aufs Band sprechen.« Hatte ich aber schon längst wie zehntausend andere Berliner gemacht und diverse Freunde angestiftet, es auch zu tun. Wir bekamen keine Chance.

Die Frage war eine Nonsensefrage zur Person Christoph Schlingensiefs, aber die Stimmen der Auswahl-Assis klangen so freundlich, flott und jugendlich, dass ich beschloss, depressive Verstimmungen in Zukunft durch Anrufe bei Kandidaten-Hotlines zu bekämpfen, statt beim Kriseninterventionsdienst anzuklingeln. Also, schon profitiert und was gelernt - nicht umsonst wird »Quiz 3000« von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert : Wer lässt uns raten? Die Sozialdemokraten!

Wer aber sagt »Gedenken vornehmen«? Stoiber? Fischer? Oder Haider? Schlingensiefs Rolle ist gegenwärtig die des enttäuschten Get-together-Maklers, er ist und bleibt Sozialdemokrat, enttäuscht von den Sozialdemokraten, aber vor allem von ihren Wählern. Die Menschen da draußen am Rande sind krank, hässlich und schlecht angezogen, das ist der Bärbel-Schäfer-Ablach-Effekt, der sich sofort einstellt und den Schlingensief durchaus fördert. Als die Kandidatenriege in der improvisierten »Wer-wird-Millionär?«-Kulisse Aufstellung nimmt, geht er mal eben vorbei. »Sie, Sie, Sie und Sie können wir heute nicht gebrauchen, kommen Sie bitte morgen wieder«, und die Leute gehen, nehmen im Bühnenhintergrund Platz und bleiben da die ganzen zweieinhalb Stunden hospitalistisch hocken.

Die Bewerber, die es auf den Jauch-Stuhl schaffen, sind entweder blöde oder politische Altaktivisten, die auf nicht unsympathische Weise ihre Botschaften ans Volksbühnenpublikum richten. Raten müssen sie nicht, der Moderator leistet charmant-parteiische Hilfestellung, bis sie ihn irgendwann langweilen und er räumen lässt. Zeitdruck, neue Gesichter, neue Fragen.

Die Fragen kommen angeblich von oben erwähntem Hauptsponsor, sind also amtlich und wurden gegengeprüft durch Schlingensief-Justiziar Oberstaatsanwalt a.D. Dietrich Kuhlbrodt. Die Fragen gehen so: »Wie viele Fotobildbände über den 11. September kommen auf einen Bildband über die Bürgerkriegsopfer in Somalia?« - »Wie viele kurdische Kriegsdienstverweigerer sind 2001 nach ihrer Abschiebung aus der BRD in der Türkei zu Tode gefoltert worden?« - »Ordnen sie folgende Konzentrationslager von Nord nach Süd: Auschwitz, Bergen-Belsen, Ravensbrück, Dachau.«

So, wie sie hier steht, ist diese Frage widerlich sinn- und respektentleert, im Kontext von »Quiz 3000« funktioniert sie anders. Zu Testzwecken mache ich mit und liege immer falsch. »Quiz 3000« handelt davon, dass wir nichts wissen, uns nichts merken, keine konkreten Fakten, um es mit denen, die uns regieren, wirklich aufzunehmen; wir sind überhaupt keine ernst zu nehmenden politischen Subjekte und sind eindeutig selbst schuld daran. Die Kandidaten werden stellvertretend für uns - Publikum, BRD-Bevölkerung - vorgeführt, deswegen brandet immer mal wieder diese seltsame Solidarität zwischen Zuschauern und Kandidaten auf.

Auch die Prominenten werden nicht verschont, Schauspielerin Sylvia Seidel (»Anna«) wird fast lustlos abgewatscht, und was macht sie? Sie sagt, sie sei gekommen, um einmal mit Schlingensief zu arbeiten, lächelt und verschwindet aus der Geschichte.

Zu holen gibt es sowieso für niemanden etwas, der Moderator bestätigt die Fahruntauglichkeit des vor der Volksbühne platzierten Schrottmercedes, der als Hauptgewinn angekündigt war; das Rätsel, in welcher Währung die Gewinne ausgezahlt werden, bleibt ungelöst, vermutlich ist es die afghanische. Der Abend ist keine Parodie, das wäre viel zu teuer, man kann keine Gladiatorenspiele parodieren, ohne denselben riesigen Aufwand zu betreiben, der nötig ist, um uns vor dem Fernseher zu halten, damit wir idiotischen Antworten auf verdummende Fragen entgegenfiebern.

»Quiz 3000« hat eine Grundthese, Schlingensief erläutert sie in einer kurzen Überleitung: Er habe keinen Bock mehr auf Projekte »zusammen mit«, Aktion, Widerstand »zusammen mit«; er glaube vorerst überhaupt nicht mehr an »zusammen mit«, nicht zusammen mit Leuten, die nicht mal in der Lage sind, die Zeitung zu lesen. Wer will, bekommt Zeit, das zu verdauen, dafür sorgt eine laienspielverwandte Werbepausenersatzdramaturgie. Schlingensief singt Rocko Schamoni; Schorsch Kamerun und die Musikschule Westerland treten auf, Maskottchen, Blindenhund und zahllose Assistentinnen überschwemmen die Bühne, es blinkt und jingelt und rückkoppelt, die Computerleute haben sich wahlabendmäßig hinter ihren Schirmen verschanzt, die Telefonhotline ist geschaltet, die Promis werden zugeschaltet.

Das ist der Moment, in dem mein Sitznachbar, der dauernd seufzt, fast sehnsüchtig nach seiner International Herald Tribune schielt, Zeitung lesen, um bitte nichts zu erfahren.

Schlingensief ist da etwas gelungen, das nichts mehr mit Persiflage und Parodie zu tun hat. »Quiz 3000« soll demnächst fortgesetzt werden auf den Bühnen von Frankfurt, Zürich und anderswo, und im Offenen Kanal Berlin und irgendwann auch im richtigen Leben - wer's nicht wissen will: Das ist da, wo Werbung läuft.