Hans Wolf von der Aktion 3. Welt Saar

»Die alten Raster werden angewandt«

Die Aktion 3. Welt Saar macht seit gut 20 Jahren Informations- und Bildungsarbeit zu den Themen Asyl, Rassismus sowie den weltweiten Auswirkungen deutscher Politik. Als Reaktion auf aktuelle Tendenzen in der deutschen Friedensbewegung brachte sie die jüngste Ausgabe ihres Rundbriefes Flugschrift unter dem Titel »Solidarität mit Israel« heraus. Daraufhin kündigte eine Reihe von Mitgliedern ihre Mitgliedschaft in der Organisation auf und stellte die finanzielle Unterstützung ein. Hans Wolf ist Mitarbeiter der Aktion 3. Welt Saar und hat an besagtem Heft mitgewirkt.

Wie kam es, dass Ihr gerade Ende vergangenen Jahres die »Solidarität mit Israel« zum Thema Eurer Flugschrift gemacht habt?

Wir haben uns in den vergangenen zehn Jahren vermehrt mit dem oft unkritischen Verhältnis der Linken zu nationalen Befreiungsbewegungen auseinander gesetzt, weil wir gesehen haben, dass durch die Gründung von neuen Staaten letzten Endes nicht weniger, sondern mehr Kriege geführt wurden. Diese Kritik sowie die jahrelange Auseinandersetzung mit dem historischen wie mit dem gegenwärtigen Antisemitismus mündeten unter anderem in dieses Titelthema.

In dieser Diskussion hat uns immer wieder die Infragestellung des Existenzrechts Israels überrascht, genauso wie die Reduzierung Israels auf einen Vorposten der USA im Nahen Osten. Wir haben eher zu lange gebraucht, um bei diesem Thema klare Worte zu finden. Mit den Anschlägen vom 11. September hat dieses Titelthema nichts zu tun, es stand schon vorher fest.

Einige Mitglieder haben Euch wegen der Forderung nach Solidarität mit Israel die Solidarität gekündigt und sind ausgetreten, obwohl sie wussten, dass Ihr aufgrund politisch begründeter Mittelstreichungen durch die regierende Saar-CDU ohnehin schon finanziell gebeutelt seid.

Wer Israel nicht als Terror- oder Schurkenstaat betrachtet, katapultiert sich offensichtlich aus der zivilgesellschaftlichen Diskussion in Deutschland heraus. Allerdings fände ich es unsinnig, wenn Leute mit dieser Sichtweise Mitglied bei uns blieben, nur weil die CDU ebenfalls auf uns einschlägt. Auf diese Form von Solidarität können und wollen wir gerne verzichten.

Gab es denn früher schon mal vergleichbare Reaktionen auf kritische Positionen von Euch, etwa aus der Kurdistan-Solidarität, wo ja teilweise auch jede Kritik an der PKK als Entsolidarisierung bezeichnet wurde?

Der Einsatz gegen das PKK-Verbot und für die kurdischen Gefangenen war immer ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit, auch wenn das innerhalb der Soli-Szene schon eher selten war. Derartige Reaktionen wie jetzt beim Thema Israel aber haben wir nie bekommen.

Wurde überhaupt inhaltliche Kritik an Eurer Flugschrift geäußert? Spielte Eure Feststellung, dass der Staat Israel eine »notwendige Reaktion auf das deutsche Mordprogramm« war, irgendeine Rolle bei der Kritik und den Begründungen der Austritte?

Nein, es wurde uns die Verbreitung von Halbwahrheiten vorgeworfen oder auch einseitige Parteinahme. Was aber in der Tat von niemandem aufgegriffen wurde, sind die beiden grundlegenden Äußerungen in den Texten. Zum einen das Wort von Amos Oz, wonach der Staat Israel das Recht des Ertrinkenden auf die Planke dokumentiert. Und zum anderen wurde auch nicht auf die Angst der Israelis eingegangen, ins Meer getrieben zu werden, wie es der israelische Gewerkschafter Itzhak Ortmann im von uns abgedruckten Interview formuliert hat.

Eine andere Form des »Protestes« wählte die Antifa Saar bei einer Veranstaltung am 10. März. Dort wurde die Flugschrift wieder vom Tisch genommen mit der Begründung: »So etwas legen wir nicht aus, und der Titel 'Solidarität mit Israel' ist scheiße.«

Ihr habt Eure Position äußerst vorsichtig formuliert und räumt ein, dass es auch »notwendige Kritik an der israelischen Politik« gebe. Gab es denn eine Resonanz auf die Diskussionsangebote an Eure KritikerInnen?

Nein. Es ist schon sehr auffallend, dass alle unserem Vorschlag zu einer öffentlichen Diskussion aus dem Weg gehen. Es gab ein internes Mitgliedertreffen, und es gab schriftliche Kritik, aber öffentlich diskutieren will mit uns bisher niemand.

Wie erklärt ihr Euch diese Diskussionsverweigerung?

Da kommen die alten analytischen Raster zur Anwendung, wonach Israel ein US-Satellitenstaat sei. Die historischen Gründe für die Existenz Israels zu begreifen - den eliminatorischen Antisemitismus deutscher Prägung, aber auch die antisemitischen Pogrome in Frankreich, die Dreyfus-Affäre oder die damalige Situation in Russland -, würde bedeuten, das eigene politische Weltbild in Frage zu stellen. Ebenso würde das Zulassen dieser Diskussion bedeuten, sich mit dem historischen linken Antisemitismus zu beschäftigen, beispielsweise dem der KPD der Weimarer Republik.

Ihr kritisiert, dass die Diskussionen um den Nahost-Konflikt von Positionen geprägt seien, »die man durch die Debatte um Antizionismus in den letzten Jahren längst als erledigt ansah«. Seht Ihr die Reaktionen auf Euer Heft als symptomatisch für allgemeine Tendenzen in der deutschen Linken?

Ja, durchaus. Es ist wirklich erstaunlich, wie wenig die vergangenen Diskussionen über linken Antisemitismus bewirkt haben. Ich erwarte gerade von der deutschen Linken eine sehr differenzierte Betrachtung des Nahost-Konflikts, die den Antisemitismus nicht ausblendet. Stattdessen verharrt die Diskussion viel zu oft im Jargon der siebziger Jahre. Außerdem kann der offen forcierte Antizionismus nur sehr schwer seine antisemitische Herkunft verschleiern. Auch in der Antiglobalisierungsbewegung sind oft Vorstellungen etwa vom Finanzkapital vorhanden, die dem Stereotyp des »ewigen Juden« und seiner vermeintlichen Weltmacht gefährlich nahe kommen.

Ihr werft der Friedensbewegung vor, sich durch die Brandmarkung des »israelischen Terrors« der Bundesregierung anzudienen, da »die dieses so offiziell nicht formulieren darf«. Ein »Solidaritätsbündnis für Palästina« hat die Bundesregierung in einem Demonstrationsaufruf sogar aufgefordert, »ihre Blockadehaltung innerhalb der EU aufzugeben, um endlich Druck auf die israelische Regierung auszuüben«. Ist das der offene Schulterschluss?

Sicherlich. Es gibt eine völlige Verblendung in Teilen der Friedensbewegung, was die Rolle der EU angeht. Die EU wird von vielen Linken mit einer unglaublichen Naivität als friedenspolitischer Heilsbringer gesehen, was auf das Nichtvorhandensein historischen Bewusstseins schließen lässt. Gerade Europa hat in den letzten 500 Jahren weltweit alternative Vorstellungen von Entwicklung und Zusammenleben radikal zerstört. Wer sich heute positiv darauf bezieht und die herrschenden militärischen und politischen Eliten dazu auffordert, für Frieden zu sorgen, hat entweder einen Sonnenstich vom letzten Urlaub oder will sich in der Tat andienen.

Aus was für einem Spektrum kommen die Leute, die jetzt aus Eurer Organisation ausgetreten sind? Klassische antizionistische Antiimps dürften nicht unbedingt Eure Klientel gewesen sein.

Die Ausgetretenen kommen aus unterschiedlichen Bereichen. Was mich überrascht hat, war aber, dass gerade aus dem kirchlich-katholischen Spektrum einige Leute wegen dieses Themas ausgetreten sind. Was ich von diesen Leuten zum Teil an Äußerungen gelesen habe, war schon enttäuschend.

Gab es denn auch positive Reaktionen?

Es gab einige wenige positive Reaktionen. Aber insgesamt war es sehr erschreckend, wie reflexartig Leute mit Schaum vor dem Mund loslegen, weil wir das klassische Anti-Israel-Bild in Deutschland hinterfragen.

Die Flugschrift kann bestellt werden unter: a3wsaar@t-online.de