Grünen-Parteitag in Berlin

Wir gehören zur Familie

Bei ihrer Bundesdelegiertenkonferenz präsentierten sich die Grünen als Partei der Kinder und der legitimierten Kriege.

Der Ort war symbolträchtig. Aber in einem anderen Sinne, als Reinhard Bütikofer, der Bundesgeschäftsführer der Grünen, gedacht hatte. Das Tempodrom sei früher für die von vielen belächelte Alternativkultur gestanden, nach dem Neubau aber sei es »aus Berlin nicht mehr wegzudenken«, - genausowenig wie die Grünen aus der Bundespolitik, meinte er.

Das Tempodrom befindet sich am Anhalter Bahnhof in West-Berlin, wo noch eine Ruine aus dem Zweiten Weltkrieg den Platz überragt. Die Reste der Fassade des alten Bahnhofes sind ein Denkmal gegen deutsches Großmachtstreben. Hier fand am Wochenende die 18. Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen statt. Auf demselben Platz, unweit des Tagungsortes, wartet ein Luftschutzbunker aus der Gegenwart, auf dem mit weißer Farbe geschrieben steht: »Wer Bunker baut, wirft Bomben«. Und darüber ist zu lesen: »Gruselkabinett«.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass die Grünen etabliert sind und sich von einer pazifistischen Partei zu einer Partei gewandelt haben, die Kriegseinsätze befürwortet. Den vielen Artikeln, die das in der vergangenen Woche zum Thema machten, war die Enttäuschung abzulesen, dass die Partei, die in einem jahrzehntelangen Prozess auch mit publizistischen Mitteln gezähmt wurde, nun völlig angepasst ihr Programm abspult. »Brave Grüne ohne Botschaft«, beschwerte sich ausgerechnet die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Grünen seien »realitätstauglich« geworden, alles, was sie einmal als »links, sektiererisch, versponnen, kurz, als politisch nicht wirklichkeitstauglich auszeichnete, scheint beseitigt zu sein«.

Operation gelungen, Patient tot? Fürwahr scheinen die Grünen inzwischen tauglich für so ziemlich alles. Ihre Geschichte ist ein Lehrstück dafür, wie eine oppositionelle Bewegung vereinnahmt werden kann. Nicht mal Gegner scheint sie noch zu haben. Diesmal gab es keinen Farbbeutelwurf auf das Ohr des Außenministers und keine Proteste, wie noch beim Kosovo-Parteitag in Bielefeld vor drei Jahren. Aber dafür ein neues Grundsatzprogramm, das das alte von 1980 ablöst. (Jungle World, 31/01)

Vor allem eine Passage aus dem Programmentwurf des Bundesvorstands hatte im Vorfeld des Parteitags dann doch noch für Wirbel gesorgt. Zum Thema Gewaltfreiheit hieß es: »Gewalt darf Politik nicht ersetzen. Wir wissen aber auch, dass sie sich als ultima ratio nicht immer ausschließen läßt. Wir stellen uns diesem Konflikt, in den gewaltfreie Politik gerät, wenn völkermörderische oder terroristische Gewalt Politik verneint.«

Zwar beschrieben diese Sätze nur die grüne Realpolitik der vergangenen Jahre, doch die Basis wollte es wenigstens nicht so deutlich formuliert haben. Völlig überraschend wurde ein Antrag angenommen, der den Passus dahingehend veränderte: »Gewalt darf Politik nicht ersetzen. Wir wissen aber auch, dass sich die Anwendung rechtsstaatlich und völkerrechtlich legitimierter Gewalt nicht immer ausschließen lässt.« Ein Uno-Mandat soll´s im Ernstfall schon sein. Die Gruppe um den Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei hatte sich durchgesetzt.

Ähnlich erging es auch einer Passage zum Thema Globalisierung im Programmentwurf. Die Mehrheit der Delegierten gab einem Änderungsantrag statt, an dem Hans-Christian Ströbele mitgewirkt hatte. War zuvor recht allgemein und unverbindlich von der »Herausforderung« durch die Globalisierung die Rede, so wollten die Delegierten auch ein bisschen Kritik an der Sache üben. Nun heißt es in der Präambel des Programms: »Umweltzerstörung und Hunger in vielen Ländern der Erde, Rassismus, Nationalismus und Gewalt, die Unterdrückung von Frauen und die Ausbeutung von Kindern sind nicht zurückgegangen, sondern größer geworden. Deshalb ist Widerstand gegen diese Globalisierung richtig und notwendig«.

Ströbele wunderte sich selbst über diese kleinen linken Abstimmungserfolge. »Wir stellen uns an die Seite der Globalisierungskritiker. Und wir sind ein Teil dieses Netzes, das finde ich hervorragend«, freute er sich. So könnten die Grünen, nachdem sie es sich in den Verhältnissen wohnlich gemacht haben, nun ihrerseits versuchen, eine neue oppositionelle Bewegung zu vereinahmen. Attac, hereinspaziert!

Dafür werden Parteilinke wie Ströbele gebraucht. Die Änderungen am Entwurf des Vorstandes werden die reale Politik der Partei jedoch kaum beeinflussen. Wie wenig sie bedeuten, wurde schon am Sonntag offenbar, als Joseph Fischer in seiner europapolitischen Rede einmal mehr den Kosovo-Krieg rechtfertigte, der eben ohne Uno-Mandat geführt worden war, und dafür von den Delegierten bejubelt wurde. »Zum ersten Mal seit Ende des Osmanischen Reiches, seit Ende des Habsburger Reiches hat der Balkan eine Chance, sich friedlich zu entwickeln«, meinte der Außenminister. Dass in Jugoslawien über vierzig Jahre Frieden herrschte und dass gerade die deutsche Außenpolitik zu einer unfriedlichen Entwicklung auf »dem Balkan« in den neunziger Jahren beigetragen hat, ist weder für Fischer noch für grüne Parteitagsdelegierte von Relevanz.

Am liebsten würden sie sich damit gar nicht erst beschäftigen. Denn die Grünen haben ihr neues Faible neben der Ökologie entdeckt. Katrin Göring-Eckardt, die aus Thüringen stammende gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, behauptete in ihrer wohl als »engagiert« zu bezeichnenden Rede, eines Tages werde man anerkennen, dass dieses Thema »das zweite Thema« sei, das sie »gesellschaftsfähig gemacht« hätten.

Es geht um die Familie und um die Kinder. »Kinderfreundlichkeit ist im besten Sinne Nachhaltigkeit«, übte Göring-Eckardt sich im Nichtssagen und erhielt dafür tobenden Applaus. Woher das Geld für die kinderfreundliche Familienpolitik, also für die »Politik auf Kindernasenhöhe« (Göring-Eckardt), kommen soll, blieb offen. Vielleicht aus dem Verteidigungshaushalt? Schließlich sind die Grünen »das Korrektiv gegen die Explosion von Militärhaushalten«, wie Angelika Beer, die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, allen Ernstes gegenüber dem Sender Phoenix behauptete.

Kerstin Müller, die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, kam dagegen »mit Power ins nächste Thema«, zur »emanzipierten Sozialpolitik«. Ihr Lieblingswort war »flexibel«, etwa in der Kombination »flexible Arbeitszeitmodelle«. Wie sich diese wiederum mit dem Familienleben vertragen? Auch »ehrenamtliches Engagement« sollte nach Müllers Meinung gefördert werden, und zwar vom »aktivierenden Sozialstaat«. Sie drohte damit, die Sozialsysteme »zukunftsfähig« zu machen und versprach »Kinder und Karriere für Männer und Frauen«. Da wünschte man sich die gute alte und verstaubte Sozialdemokratie zurück, die einem das Bafög, die Sozialhilfe, das Arbeitslosen- oder das Kindergeld überweist und einen auch mal durchatmen lässt. Doch diese Zeiten sind vorbei. 'Flexicurity' ist das neue Zauberwort bei den Grünen, vielleicht haben sie was davon, sollten sie im Herbst die Wahlen verlieren.

Davon aber will Müller nichts hören. »Wir werden die Bundestagswahl gewinnen, sieben Monate sind eine lange Zeit«, gab sie sich zuversichtlich. Andererseits ahnt sie: »Politik der Nachhaltigkeit braucht einen langen Atem«.

Alles war mit einem Mal wieder »nachhaltig«: Die Entwicklung, die Energie, die Finanzpolitik, das Medienecho, die Mega-Leinwände, die leeren Phrasen, die Genügsamkeit der Parteibasis, der Wachschutz und die Polizei. Im neuen Parteiprogramm ist diese nichtssagende Nachhaltigkeit auf über 90 Seiten dokumentiert. Am Sonntag war es beschlossene Sache, und die Geschichte der Grünen konnte weitergehen. Bis zur nächsten Wahl, bis zum nächsten Krieg. Am Höhepunkt der Show waren die Delegierten am Rande der Ekstase, jubelten Fischer ausgelassen zu, die Parteivorsitzende Claudia Roth klatschte ausholend und laut, es wurde geschunkelt und gelacht, und am Ende erschien der Spruch »Die Zukunft ist grün« auf der Leinwand.

Er klang ungefähr so vielversprechend wie eine Sparkassen-Werbung. Aber mehr Zweck als diese hatte er auch nicht. Wie hieß es noch im alten Programm von 1980? »Unser oberster Grundsatz lautet: Humane Ziele können nicht mit inhumanen Mitteln erreicht werden.«