Interview mit Harry Rowohlt

»Ich will es besser machen«

Harry Rowohlt ist nicht nur der bekannteste Vorleser Deutschlands, er ist auch der Übersetzer von »Pu der Bär« und 108 weiteren Büchern. Seine pöbeligen Auftritte als alkoholisierter Penner in der »Lindenstraße« sind legendär. Rowohlt, der über Jahre die Kolumne »Pooh's Corner« für die Zeit schrieb und damit einen wichtigen Grund lieferte, sich das Blatt regelmäßig zu kaufen, ist mal wieder auf den Bühnen dieses Landes unterwegs und präsentiert bis zu vierstündige Marathonlesungen.

Sie übersetzen ausschließlich Männer. Gibt es dafür einen Grund?

Natürlich. Erstens sollte der Übersetzer dem Originalautor so wesensverwandt wie möglich sein. Zweitens hat das auch etwas mit der Statistik zu tun. Achtzig Prozent der Originalautoren sind Männer, 95 Prozent aller Übersetzer sind Frauen. Wenn eine Frau es einmal geschafft hat, ein Buch zu schreiben, sollte sich doch auch eine andere Frau finden, die ihr das übersetzt.

Haben es Frauen bei der Übersetzung männlicher Autoren schwerer?

Ein Beispiel: In Flann O'Briens Roman »At Swim Two Birds« gibt es eine Westernsequenz. In Lore Fiedlers Übersetzung heißt es an dieser Stelle: »Die Cowboys ritten gestreckten Galopp und ihre sechsläufigen Pistolen baumelten ihnen an den Hüften.« Sechsläufige Pistolen - völliger Schwachsinn! So was hat es zwar durchaus mal gegeben, aber die wären viel zu schwer, um sie im Halfter zu tragen.

Warum wird Ihre Tätigkeit, die nicht selten den Erfolg eines Buches erst herbeiführt, so schlecht bezahlt?

Weil es so viele Übersetzer gibt. Alle haben in der Schule Deutsch und Englisch gelernt, also fühlt sich auch jeder zum Übersetzer berufen. Ich war mehrere Monate Mitglied beim Hamburger Übersetzerstammtisch, der sehr unter diesem unzutreffenden Namen gelitten hat. Da wurde überhaupt nicht gesoffen, man hat nur dauernd Beschlüsse gefasst. Dazu ist mir meine knappe Freizeit aber zu schade. Jedenfalls jammerten die alle über das wenige Geld, bis ich irgendwann sagte: Glaubt ihr denn, dass ihr besser wärt, wenn ihr statt 14 Euro pro Seite 14 000 bekämt?

Als Starübersetzer bekommen Sie sicher bessere Konditionen.

Deshalb habe ich den Haffmanns-Verlag so geliebt - man bekam zwar kein Geld, aber dafür wurde man zumindest theoretisch am Umsatz beteiligt. Irgendwie ist das sehr viel fairer als so eine mickrige Pauschale bei Suhrkamp.

Ihr Arbeitspensum ist enorm. 109 Bücher und fünf Theaterstücke, aber nur ein einziger Film: »Die Toten« von John Huston. Dabei kann man mit Synchronisationen doch viel mehr verdienen.

Das wird unglaublich gut bezahlt. Ich habe den Film gemacht, weil ich mich damals in meiner Funktion als Filmkritiker für die Zeit immer über die schlechten Synchronisationen mokiert habe. Also musste ich es wenigstens einmal selbst gemacht haben, um zu beweisen, dass es auch besser geht. Der Lohn, der mir vom Verleih angeboten wurde, schien mir für meine Verhältnisse als belletristischer Übersetzer so außerordentlich hoch, dass ich unwillkürlich anfing, ihn herunterzuhandeln. Dafür ist die Synchronisation eine einzige Schinderei, ich bin auf- und abgetigert und habe ständig die Dialoge vor mich hingeplappert, bis sie schließlich den englischen Lippenbewegungen entsprachen. Da ich nur das Dialogbuch ohne Regieanweisungen hatte, dürfte es der einzige Film auf der Welt sein, wo sogar die Leute lippensynchron sprechen, die man nur von hinten sieht.

Im Moment übersetzen Sie Phillip Ardaghs Kinderbuch »Schlimmes Ende«. Woher die Vorliebe für die irische Literatur?

Als ich 1961 Flann O'Briens Roman »At Swim Two Birds« in der deutschen Übersetzung von Lore Fiedler las, bin ich neugierig geworden auf diese Land und hingefahren. Dort wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben von vorne bis hinten gut behandelt. Mit meinen Übersetzungen wollte ich mich bei den Iren revanchieren.

Keine Ihrer Lesungen findet ohne den obligatorischen Whisky statt. Ist der Alkohol fester Bestandteil der Performance?

Mittlerweile fühlt sich das Publikum verarscht, wenn ich dieses Klischee nicht bediene.

Sie sind bekannt als Marathon-Leser. Wovon hängt die Länge eines Auftritts ab?

Vom Publikum. Und das hat die Tendenz, im Laufe des Abends immer besser zu werden, je mehr Leute weggehen. Sechsstündige Lesungen im familiären Rahmen bei der Juso-Hochschulgruppe in Frankfurt oder bei meinem Freund Michael Wübbelsmann in Leer mache ich aber nicht mehr.

Was macht ein gutes Publikum aus?

Wenn es zum Beispiel keine plärrenden Wickelkinder mitbringt. Letztes Jahr in Bad Harzburg habe ich ein Pärchen rausgeschmissen. Das Kind hatte lange vor der Lesung bereits zweimal geplärrt, was diese stolzen jungen Eltern natürlich überhaupt nicht mitkriegten. Wenn ich in eine Dichterlesung gehe, bringe ich auch kein Kofferradio mit und drehe das dann voll auf. Für Bad Harzburger Verhältnisse gelte ich jetzt als reaktionäres Arschloch, weil ich an diesem Abend festgestellt hatte, dass Vater und Mutter verschiedene Nachnamen trugen, worauf ich denen hinterhergeschnauzt habe: Heiratet erst mal!

Und was macht einen guten Vorleser aus?

Ich versuche nur, das zu vermeiden, was mich an herkömmlichen Dichterlesungen immer angeödet hat. Dass irgendeine Doppelnamen-Tusse 40 Minuten lang Gedichte vorliest, die sich nicht reimen, dazu stilles Wasser trinkt und anschließend mit dem Publikum diskutiert. Ich habe nichts gegen Zwischenrufe, aber nach meinen Lesungen hat es noch nie eine Diskussion gegeben. Die Leute sind froh, dass sie endlich weg dürfen. Die werden sich hüten, nach drei Stunden noch eine komplizierte Frage zu stellen, wie etwa: Warum schreiben Sie?

Tragen Ihre Übersetzungen autobiografische Züge?

Gerade habe ich wieder festgestellt, dass meine neue Übersetzung ganz starke autobiografische Züge trägt. Was soll ich machen, ich verwende halt Wörter, die mir geläufig sind. Einmal war ich zufällig zugegen, als Kurt Vonnegut in Auerbachs Keller in Leipzig interviewt wurde. Ich hörte, wie der Reporter fragte: »Tragen Ihre Bücher auch autobiografische Züge?« Ich dachte in diesem Moment: Du armes Schwein, du machst wirklich was mit! Aber immer noch besser als die Frage: Warum schreiben Sie?

Herr Rowohlt, warum übersetzen Sie?

Um es besser zu machen. Zum Beispiel habe ich mich damals breitschlagen lassen, »Pu der Bär« neu zu übersetzen, weil mir schon als Kleinkind Formulierungen wie »Verflixt, jammerte Pu« unangenehm aufgefallen sind. Der erste Übersetzer traute sich nicht einmal, das Wort »Verflucht« zu benutzen. Eine biedere Sprache wie bei Fix-und-Foxi-Heften! Damals habe ich dem verpennten Rowohlt-Verlag auch das Thema Asterix empfohlen. Die wussten aber noch nicht, dass Comics keine Schundhefte sind. Ich hatte mich sogar erbötig gemacht, die Bände ins Deutsche zu übersetzen, und habe dadurch garantiert viel mehr Kalauer gerettet, als das später bei Ehapa geschehen ist. Den Schmied hätte ich zum Beispiel »Solingenolix« getauft.

Wird es nach 109 Übersetzungen nicht langsam Zeit für Ihren ersten Roman?

Der große Eckhard Henscheid hat mir einmal ausrichten lassen, er hätte nichts dagegen, wenn ich so weitermachen würde wie bisher. Wenn ich aber mit Lyrik oder Prosa anfangen würde, dann bricht er mir den rechten Arm. Und ich bin ja nicht doof.

Was werden Sie auf der neuen Tour lesen?

Meinen alten Scheiß. Dazu kommen noch 14 Ekel erregende Hundegedichte von David Sedaris. Meine Tingeltouren führen mich immer wieder in Käffer, die ohne erklärenden Zusatz gar nicht verständlich wären: Oberursel im Taunus, Rottenburg am Neckar, Singen am Hohentwiel, Löchgau an der Ems und Seligenstadt am Main. Da gibt es noch vieles zu beackern.