Entscheidung über die Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea

Hart an der Grenze

Am 13. April entscheidet eine internationale Kommission über die Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea. Beide Regierungen haben Probleme, einen Kompromiss in ihren Ländern zu vertreten.

Was als Abschluss eines Friedesprozesses gedacht war, bringt die Regierungen Äthiopiens und Eritreas in ernste Schwierigkeiten. Fast vier Jahre nachdem ein kleiner Grenzstreit zu einem Krieg eskalierte, wird die unabhängige International Boundary Commission (IBC) im niederländischen Den Haag ihre territorialen Ansprüche beurteilen. Die Entscheidung über die Grenze ist bereits zweimal verschoben worden, am Samstag soll sie nun bekannt gegeben werden.

Im Friedensabkommen, das im Dezember 2000 von der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) vermittelt wurde, versprachen beide Regierungen, die Entscheidung der IBC zu akzeptieren. Entsprechend optimistisch gibt sich Legwaila Joseph Legwaila, der Gesandte der UN-Friedensmission in Äthiopien und Eritrea (Unmee): »Wir erwarten keine Probleme.« Er räumt allerdings ein, dass »wir nicht genau wissen können, wie die Sicherheitslage sich nach der Entscheidung entwickelt«. Deshalb sei die Unmee auf alle Eventualitäten vorbereitet. Ihr Mandat wurde am 15. März um fünf Monate verlängert.

Die Spannungen im Grenzgebiet wie auch in beiden Hauptstädten haben sich in den letzten Monaten verstärkt. Auch nach dem Waffenstillstand vom Juli 2000 hatte sich der Krieg der Worte nie wirklich gemäßigt, und seit die Länder ihren Fall im vergangenen Dezember dem IBC präsentierten, werden Beleidigungen und Beschuldigungen mit neuer Energie ausgetauscht.

UN-Vertreter drängen auf eine Einigung, eine Delegation des Sicherheitsrats kam Ende Februar zu Besuch. Doch beide Regierungen haben Probleme, einen eventuellen Verzicht auf ihre Ansprüche vor der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen. So meinen Teile der äthiopischen Opposition, da das Land den Krieg gewonnen habe, müsste es über die Grenze entscheiden. In den ersten Jahren des Konflikts war Eritrea die stärkere Partei, aber während der Offensive im Frühjahr 2000 besetzte die äthiopische Armee große Teile Eritreas. Schätzungsweise eine Million Eritreer, ein Drittel der Bevölkerung, waren gezwungen zu fliehen.

Oppositionelle Organisationen der Amhara, der in Äthiopien historisch dominanten Bevölkerungsgruppe, haben den äthiopischen Ministerpräsidenten Meles Zenawi als Söldner Eritreas dargestellt. Zunächst habe er 1991 der Unabhängigkeit Eritreas zugestimmt, obwohl Äthiopien dadurch seinen Zugang zum Meer verlor. Dann ließ er eine günstige Gelegenheit ungenutzt, als vor zwei Jahren die Panzer rollten. Die Äthiopische Demokratische Partei (EDP), derzeit die stärkste Oppositionspartei, sammelte 100 000 Unterschriften für eine Petition, die eine Ablehnung der IBC-Entscheidung fordert, wenn diese nicht zu Äthiopiens Gunsten ausfällt.

Ein noch größeres Problem für Zenawi ist, dass Hardliner seiner eigenen Bevölkerungsgruppe, der nordäthiopischen Tigreer, ebenfalls unzufrieden damit sind, dass er nicht ein vorteilhafteres Friedensabkommen ausgehandelt hat. Sie glauben, dass Äthiopien zumindest die Regierung des Nachbarstaates hätte stürzen sollen. Da Tigreer die Armee kontrollieren, riskierte Zenawi einen Putsch, als er die Dissidenten, ihre Familien und einige hochrangige Sympathisanten verhaften und wegen Korruption anklagen ließ. Es gelang ihm, seine Gegner auszumanövrieren, doch die öffentliche Unterstützung für ihre Position zwang ihn, einen Teil ihrer Ideen zu übernehmen. Die Kriegspropaganda war so effektiv, dass viele Äthiopier die Eritreer jetzt mehr hassen, als es der Regierung lieb ist.

Nun bemüht man sich um Mäßigung. »Die von einigen extremistischen Gruppen vorgebrachte Idee, das Land in einen neuen Krieg zu stürzen, ist unakzeptabel«, heißt es in einer Erklärung des Informationsministeriums vom vergangenen Montag. Zenawis Taktik erklärte Dr. Kinfe Abraham vom Ethiopian International Institute for Peace and Development (EIIPD), ein Vertrauter der Regierung, auf einer Pressekonferenz am 27. März: Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, sie wird der Bevölkerung als Sieg präsentiert werden.

Zenawis Regierung stellt den gesamten Krieg noch immer als überwältigenden äthiopischen Erfolg dar. Die tatächliche Bilanz aber ist immer noch unklar. Schon die direkten äthiopischen Kriegsausgaben werden auf 2,9 Milliarden Dollar geschätzt, doch diese Summe berücksichtigt die indirekten Kosten der verhinderten Entwicklung nicht. Auch die Zahl der Opfer ist nicht bekannt. Der eritreische Präsident Isaias Afeworki gab im vergangenen Jahr an, dass sein Land 19 000 Soldaten verloren habe. Doch Militärbeobachter schätzen, dass die Gesamtzahl der Kriegstoten zwischen 70 000 und 100 000 liegen könnte.

Auch die eritreische Regierung steht unter innenpolitischem Druck. Afeworki hat bereits an Unterstützung verloren, nachdem er eine Reihe von Dissidenten inhaftieren ließ, die eine Demokratisierung gefordert hatten. Wenn die Grenzkommission die eritreischen Ansprüche zurückweist, wird die Bevölkerung fragen, wofür sie in den Krieg gezogen ist. Die Politiker mögen es leugnen, aber die Ansicht ist weit verbreitet, dass Eritrea die erste große Offensive in diesem Krieg begann, auch wenn sie wahrscheinlich durch kleine äthiopische Grenzverletzungen provoziert wurde.

Allerdings ist Eritreas juristische Position möglicherweise besser als die Äthiopiens. Die eritreischen Ansprüche basieren auf Kolonialverträgen, die Anfang des vergangenen Jahrhunderts zwischen Äthiopien und Italien geschlossen wurden. Bei der späteren Annexion Eritreas wurden die Verwaltungsbezirke entsprechend diesen Grenzen gebildet. Doch in den späten achtziger Jahren, als der größte Teil Eritreas befreit war, verwalteten Kämpfer der TPLF, die jetzt Äthiopien regiert, und der EPLF, die jetzt Eritrea regiert, aus praktischen Gründen Teile des Territoriums des anderen Staates. Als Eritrea die Unabhängigkeit erhielt, wurde diese Angelegenheit nicht geregelt, da man davon ausging, das Problem werde freundschaftlich gelöst.

Die Schlüsselfrage für die IBC ist es, ob aus der Tatsache, dass Äthiopien für zehn Jahre Teile Eritreas verwaltete, nach internationalem Recht territoriale Ansprüche abgeleitet werden können. Nach der Entscheidung wird es mehrere Monate dauern, die Grenze zu markieren und Stacheldrahtrollen zu verlegen. Dieser neue eiserne Vorhang wird mitten durch Schlachtfelder führen, auf denen noch Landminen und Leichen liegen. Die Unsicherheit über die Grenze und die schätzungsweise eine Million Landminen erschweren auch den verbleibenden Flüchtlingen die Rückkehr. Etwa 73 000 Eritreer, die dort wohnten, wo nun die Temporary Security Zone ist, leben noch immer in Lagern.

Die Entscheidung des IBC hat jedoch nicht nur für Äthiopien und Eritrea ihre Bedeutung. Wenn das Urteil nicht erkennbar unparteiisch und unpolitisch ist, könnte es eine Einladung für eine eine Reihe afrikanischer Staaten sein, ebenfalls Grenzen in Frage zu stellen. Und auch wenn die Regierungen Äthiopiens und Eritreas die Entscheidung tatsächlich akzeptieren, könnten sie wegen der neuen weltpolitischen Lage wieder zu den Waffen greifen. Die USA stützen sich bereits auf Äthiopien, um Guerilleros der al-Qaida und der al-Ittihaad in Südsomalia zu bekämpfen, und Eritrea wird beschuldigt, äthiopischen Guerillagruppen zu helfen.