Wehrmachtsausstellung und Entschädigungsgesetz in Österreich

Kollektive Unschuld

Kurz vor der Eröffnung der Wehrmachtsausstellung in Wien verabschiedet die Bundesregierung ein neues Entschädigungsgesetz für ehemalige NS-Soldaten.

Kein Marsch mit Antizionisten«, titelte die liberale Tageszeitung Der Standard anlässlich der Demonstration gegen Neonazis, die am kommenden Sonntag gegen die Eröffnung der Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht in Wien protestieren wollen. Die Israelitische Kultusgemeinde könne ihren Mitgliedern nicht empfehlen, gemeinsam mit Organisationen zu demonstrieren, die ansonsten die Intifada in Palästina protegieren.

Das Bündnis war bereits zwei Wochen vorher geplatzt. Einige Organisationen aus dem antinationalen Spektrum sowie antirassistische Gruppen hatten die Plattform gegen den Nazi-Aufmarsch verlassen und einen eigenen Aufruf »gegen den Nazi-Aufmarsch und den nationalen Konsens« verfasst. In der Plattform befänden sich auch »antiisraelische bis antisemitische Gruppen« wie die Bewegung für soziale Befreiung oder die Kommunistische Aktion; jüdischen Organisationen sei es deshalb unmöglich, sich an der Mobilisierung gegen die Neonazis zu beteiligen, hieß es in einer Begründung. Es wäre ein fatales Zeichen, gemeinsam mit »Leuten auf die Straße zu gehen, die mit ihrem Antizionismus dem Antisemitismus zumindest Vorschub leisten«.

Eigentlich müsste sich kein österreichischer Rechtsextremer um die Ehre der Wehrmachtssoldaten wirklich Sorgen machen. Zwar ist auch in Österreich die außenpolitische Funktionalisierung der »Vergangenheitsbewältigung« längst im Gange. Es sei nicht einzusehen, dass Israel seine Beziehungen zu Österreich nicht normalisiere, meinte Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) vergangene Woche in der konservativen Tageszeitung Die Presse. Sie rechnete den Israelis die Entschädigung der Zwangsarbeiter und die Wiedergutmachung vor und ärgerte sich, dass Europa nur auf die arabischen Regierungen Einfluss habe, »zu wenig aber auf den jüdischen Staat.«

Doch gleichzeitig sorgt sich Österreich um seine Wehrmachtssoldaten. Ende Januar beschloss die Bundesregierung eine Novelle des Entschädigungsgesetzes für ehemalige Wehrmachtsangehörige. »56 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erfahren endlich auch die Gefangenen der Westalliierten Gerechtigkeit«, erklärte Sozialminister Herbert Haupt (FPÖ). Er musste sich zuvor von der SPÖ »himmelschreiende Ungerechtigkeit« vorwerfen lassen. Vor allem ihr Pensionistenvertreter, der ehemalige Innenminister Karl Blecha, beschwerte sich, dass die blau-schwarze Koalition im vergangenen Jahr nur Kriegsgefangene entschädigte, die sich in russischer Haft befunden hatten.

Rechtzeitig vor der Eröffnung der neuen Wehrmachtsausstellung in Wien war also erreicht, worüber sich Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) schon ein Jahr zuvor anlässlich des Beschlusses im Ministerrat gefreut hatte: »Damit werden endlich auch die Verdienste der Kriegsgeneration gewürdigt.« An der Wehrmachtsausstellung hingegen hat Riess-Passer keine rechte Freude. »Da wird eine ganze Generation verunglimpft«, sagte sie dem Nachrichtenmagazin profil.

Genau diese Sorge treibt auch die Neonazis auf die Straße. Seit Wochen kursiert im Internet ein Aufruf der Kameradschaft Germania, »gegen die Lügen und Diffamierungen über unsere Großväter« zu demonstrieren. »Ruhm und Anerkennung« verdienten die Wehrmachtssoldaten dafür, dass sie bis zuletzt für ihr Vaterland gekämpft hätten. Leider, so einer der Initiatoren, unterstützten die österreichischen Parteien die Demonstration nicht. Warum auch? Die Anerkennung wird den ehemaligen Wehrmachtssoldaten ohnehin in Form einer Zusatzpension monatlich gutgeschrieben.

In der Novelle zum Entschädigungsgesetz berücksichtigte der Nationalrat aber auch, dass Zivilisten an der Heimatfront ebenfalls für den Endsieg im Einsatz waren und nach der Niederlage offenbar politisch verfolgt wurden. In den Genuss der Pension sollen nämlich auch jene kommen, die während oder nach dem Krieg »aus politischen oder militärischen Gründen« in Lagern der Alliierten festgehalten wurden. Darunter fallen neben »Volksdeutschen« in Osteuropa auch jene Nazifunktionäre und SS-Schergen, die bis 1947 beispielsweise im US-Internierungslager Glasenbach in Salzburg einsaßen.

Natürlich sieht das Gesetz auch Ausschlussgründe vor. Keine Entschädigung sollen Personen erhalten, »deren Verhalten in Wort oder Tat mit den Gedanken und Zielen eines freien, demokratischen Österreich unvereinbar war«. Dieser Aussage zufolge müsste ehemaligen Angehörigen der deutschen Wehrmacht - abgesehen von Deserteuren - eine Entschädigung verwehrt werden. Doch wer im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen oder NS-Delikten nach dem Krieg verurteilt worden ist, braucht sich heute, angesichts der großzügigen Amnestien und Rehabilitationen in den fünfziger Jahren, in der Regel darüber keine Sorgen mehr zu machen.

So viel Fürsorge wird den ehemaligen Wehrmachtsdeserteuren nicht zuteil. Ende März teilte Sozialminister Haupt mit, dass sie ihre Haftzeiten in den NS-Lagern nicht als Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung anrechnen können. Die Deserteure seien schließlich zu Recht verurteilt worden. Entschädigt und rehabilitiert wurden sie ohnehin nie. Gerade Österreich konnte es ihnen offensichtlich nie verzeihen, dass sie das Richtige getan und dem Vernichtungskrieg den Rücken gekehrt hatten.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel nannte die Entschädigung für Kriegsgefangene eine »spiegelgleiche Lösung zur Zwangsarbeiterentschädigung«. Was sich in dem Gesetz vor allem spiegelt, ist die neueste Version der österreichischen Opferthese. Als Nachfolgepartei der Austrofaschisten ist die ÖVP von dem Wahn durchdrungen, Österreich sei das »erste Opfer des Nationalsozialismus« (Schüssel) gewesen. Das scheinbare Gegenteil vertritt die FPÖ. Niemand sollte sich der Kriegsteilnahme und seiner Nazi-Vergangenheit schämen müssen. Der Schlachtruf der Ehemaligen lautete daher: »Gegen die Sieger- und Rachejustiz der Alliierten«.

Die Schnittmenge beider Thesen enthielt immer den Wunsch, sich der Verantwortung für die Nazi-Verbrechen zu entledigen. »Wenngleich geschehenes Unrecht nie wieder gutgemacht werden kann, so sollen die Entschädigungen wenigstens eine Geste der Anerkennung sein«, erklärte Sozialminister Haupt im vergangenen Jahr.

Seine Anerkennung galt allerdings nicht den ehemaligen ZwangsarbeiterInnen, sondern den Kriegsgefangenen der Alliierten. Nach dem jahrelangen Abwehrkampf gegen den Vorwurf der Kollektivschuld wird nun der Kriegsgeneration - im nationalen Konsens - eine kollektive Unschuld bescheinigt.