Aktionen der Hizbollah

Beliebte Gotteskrieger

Bei Angriffen auf israelische Truppen im Gebiet der Shebaa-Farmen kann die libanesische Hizbollah auf die Unterstützung der Regierung rechnen. Eine Eskalation dagegen ist unerwünscht.

Gäbe es die Hizbollah nicht, dann stünde es jetzt schlecht um den Libanon. Das jedenfalls glaubt Naim Qasem, der stellvertretende Generalsekretär der Partei. »Wäre der islamische Widerstand im Süden (des Libanon) nicht bereit gewesen und hätte er nicht Aktionen gemacht, um seine Präsenz zu zeigen, dann hätte der israelische Feind viele Menschen in vielen libanesischen Dörfern und Städten getötet«, erklärte er in der vergangenen Woche.

Nach dem Einmarsch israelischer Truppen ins Westjordanland hat die »Partei Gottes« ihre Aktivitäten in der Nähe der von Israel besetzten Shebaa-Farmen verstärkt und innerhalb von zwei Wochen nach UN-Angaben zahllose Granaten und mehr als 200 Panzerabwehr- und Katjuscha-Raketen auf das Gebiet gefeuert. Israel und die Uno betrachten es als Teil Syriens, nach libanesischer und syrischer Ansicht dagegen gehört es zum Libanon.

Was nach der Darstellung der Hizbollah »moralische Unterstützung« für die PalästinenserInnen demonstrieren sollte, diente auch Syrien, das mit der Hizbollah zusammenarbeitet, dazu, sich der amerikanischen Diplomatie als wichtige regionale Größe ins Gedächtnis zu rufen. Die Gefahr einer Eskalation des Konflikts brachte US-Außenminister Colin Powell in der vergangenen Woche dazu, seinen Aufenthalt in Israel für eine kurze Reise nach Beirut und Damaskus zu unterbrechen. So hatten der libanesische Präsident Emile Lahoud und sein syrischer Kollege Bashir al-Assad die Gelegenheit, ihre Unterstützung des »islamischen Widerstands« zu betonen.

Gleichzeitig gab sich zumindest der libanesische Premierminister Rafiq Hariri kompromissbereit, schließlich brach er kurz nach Powells vierstündiger und von Protesten begleiteter Visite nach Washington auf, um bei Präsident George W. Bush um Wirtschaftshilfe für den hoch verschuldeten Libanon zu werben. Gegenüber den Amerikanern, bei denen die Hizbollah auf der Liste der Terrororganisationen steht, betonte Hariri den Unterschied zwischen Terror und Widerstand sowie zwischen Angriffen auf die Shebaa-Farmen und Angriffen auf Israel. Die Hizbollah behauptet, sich an diese Unterscheidung zu halten und schiebt die Angriffe auf Israel in den vergangenen Wochen palästinensischen Gruppierungen wie der in Syrien verankerten PFLP-GC zu, die wiederum versichert, ihre Aktionen mit der Hizbollah abzustimmen.

Dem palästinensischen Widerstand ist die libanesische Regierung bei weitem nicht so wohl gesonnen wie dem islamischen. In der vergangenen Woche wurden drei Palästinenser an ein Militärgericht überstellt; ihnen wird vorgeworfen, Raketen auf Israel abgefeuert zu haben. Den Vorwurf der Verletzung libanesischer Interessen gegen palästinensische Gruppen zu erheben, ist dabei ein geschickter Schachzug, um die innere Einheit des Libanon zu wahren. Denn die Regierung kann es sich nicht erlauben, gegen die vor allem in den armen schiitischen Bevölkerungsschichten verankerte und mit zwöf Sitzen im Parlament vertretene Hizbollah vorzugehen.

Zumal sich auch Gruppierungen wie die Progressiv-Sozialistische Partei des Drusenführers Walid Jumblatt mit den IslamistInnen solidarisieren. In einer gemeinsamen Erklärung betonten die beiden Parteien, der »Widerstand« sei die einzige Möglichkeit zur Unterstützung der palästinensischen Rechte. Und Jumblatt selbst erklärte der libanesischen Tageszeitung As-Safir, die Wirtschaft müsse sich mit dem Widerstand zusammentun und darauf aufbauen, mit den Shebaa-Farmen eine »offene Front« zu haben.

So eine Front scheint allerdings derzeit nicht einmal der Iran zu wollen, dessen Außenminister in der vergangenen Woche die Hizbollah zu mehr Zurückhaltung aufrief; der iranische Botschafter im Libanon schob jedoch schnell eine Solidaritätserklärung mit dem »islamischen Widerstand« hinterher.

Nach Einschätzung des Sprechers der UN-Truppe im Südlibanon, Timor Goksel, besteht jedoch weiterhin die Gefahr einer Eskalation, besonders wenn erneut israelische ZivilistInnen getroffen würden. Dann, so Goksel in der libanesischen Wochenzeitung Magazine, sei zwar nicht unbedingt mit ausgedehnten Kämpfen, aber mit israelischen Angriffen auf die libanesische Infrastruktur zu rechnen. Eine Aussicht, die die meisten LibanesInnen ängstigt und so manche auch gegen die Hizbollah aufbringt.

Man wolle nicht den Libanon verlieren, um Shebaa zu gewinnen, schreibt die Tageszeitung An-Nahar und erklärt, das Land könne ohne die Shebaa-Farmen leben, genauso wie Syrien ohne die Golanhöhen. Zuvor hatte der Rektor der Beiruter Universität Saint-Joseph, Selim Abou, in seiner Jahresansprache erklärt, die Shebaa-Farmen seien ein Vorwand, um auch nach dem Abzug Israels aus dem Südlibanon Angriffe zu rechtfertigen: »Man kann übrigens darauf wetten, dass, sollte sich Israel aus der Region zurückziehen, man irgendwo an der Grenze ein paar Quadratmeter finden würde, die mit Waffengewalt zu verteidigen wären.«

Um eine Eskalation zu verhindern, fordern Oppositionspolitiker eine Stationierung der Armee im Süden, die die Regierung seit dem Abzug der Israelis vor knapp zwei Jahren mit dem Argument vertagt hatte, sie diene nur der Sicherheit Israels. In den Tagen nach der Eskalation wurde jedoch die Präsenz von Sicherheitskräften im Süden verstärkt, was die Lage tatsächlich etwas beruhigt hat.

Auch in der Bevölkerung der ehemaligen Besatzungszone, die der Hizbollah grundsätzlich wegen ihres Kampfes gegen Israel wohl gesonnen ist, wächst die Kritik an den Gotteskriegern und ihren palästinensischen Kollegen. So berichtete An-Nahar von einem Bauern und einem Kioskinhaber im Süden, die sich darüber empören, dass durch ihre Ortschaften gut sichtbar Raketen transportiert und ihre Felder zu Waffenlagern umfunktioniert werden. Andere schweigen aus Angst vor Repressalien.

Zwar ist sich die Hizbollah mit zahlreichen NGO und Jugendorganisationen einig in ihrem Aufruf zum Boykott amerikanischer Waren, ansonsten trifft ihre demonstrative Unterstützung der PalästinenserInnen jedoch nicht nur auf Zustimmung. Auf dem Märtyrerplatz in der Innenstadt von Beirut veranstalten seit dem Beginn der israelischen Offensive vor über drei Wochen linke propalästinensiche AktivistInnen ein Sit-in. Ihr Zelt steht auf einem schmalen Gehsteig, denn es in der Mitte des Platzes aufzustellen, wurde ihnen von den Behörden verwehrt.

Seit einigen Tagen steht nun genau dort mit offizieller Erlaubnis ein Zelt in Form der Al-Aqsa-Moschee, aufgestellt von der Hizbollah, neben einem Plakat, das Sharon, Bush und Powell als Kindermörder bezeichnet. Raida Hatoum, eine der linken AktivistInnen, hat dafür folgende Erklärung: »Unser Protest, der antiautoritär ist und sich nicht in die üblichen Partei- und Konfessionsschemata einordnen lässt, stellt eine Bedrohung für die Regierung dar, deswegen hat sie uns den Platz nicht gegeben. Die Hizbollah ist genauso reaktionär wie das Regime, deshalb ist sie kein Problem.«