Frankfurt/Main und die Freien Kameradschaften

Wurst statt Wut

Frankfurt am Main droht zum größten Aufmarschort Freier Kameradschaften am 1. Mai zu werden. Die Stadt ist vor allem um ihr Image besorgt.

Erik Zabel, Jan Ullrich und Kai Hundertmark werden schon wissen, was los ist, wenn es beim Frankfurter Traditionsrennen »Rund um den Henninger Turm« am kommenden Mittwoch plötzlich nicht mehr weiter geht. Denn nicht nur die Radsportfreunde treffen sich am 1. Mai in der Mainmetropole. Auch die neonazistischen Freien Kameradschaften haben erneut ihr Kommen angekündigt.

Was aber haben Ullrich und Co. mit dem Naziaufmarsch zu tun? Eigentlich nichts, möchte man meinen. Doch nun wurden die Radsportler in einem »offenen Brief« aufgefordert, sich an den »demokratischen Protesten gegen den Naziaufmarsch zu beteiligen«. Das Radrennen könnte sich »in vielfältiger Form als schwierig erweisen«, orakeln die unbekannten Autoren, sollte die Stadt den gleichzeitigen Aufmarsch der Neonazis tolerieren.

Der Appell ist deutlich: Wenn die imagebewusste Stadt, die sich gerne einen internationalen und multikulturellen Anstrich gibt, erneut einen neonazistischen Großaufmarsch deckt, soll dies nicht unbemerkt bleiben.

Schon im vergangenen Jahr demonstrierten rund 1 000 Neonazis unter dem Schutz der Polizei in Frankfurt. Etwa dreimal so viele Gegner versuchten, den Aufmarsch zu verhindern. Vor allem der brutale Polizeieinsatz gegen die zumeist sehr jungen Gegendemonstranten und die Kooperationsbereitschaft des Frankfurter Ordnungsamtes gegenüber den Neonazis wurden in der Presse heftig kritisiert.

Das Versagen der liberal-bürgerlichen Verbände kam dagegen kaum zur Sprache. Dabei hatten die Gewerkschaften und die um die Frankfurter Stadtkirchengemeinde organisierte Antinazikoordination damals zu Kundgebungen am anderen Ende der Stadt aufgerufen und die aktive Blockade des Naziaufmarsches boykottiert. Der Widerstand gegen die Freien Kameradschaften wurde fast ausschließlich von linken Antifas und migrantischen Kids getragen. Dass es in diesem Jahr anders werden könnte, dafür spricht derzeit wenig.

Kurz nachdem bekannt wurde, dass der ehemalige FAP-Funktionär Christian Worch einen Aufmarsch in Frankfurt angemeldet hat, ist ein hektisches Gerangel um den richtigen Umgang mit der Nazidemonstration ausgebrochen. Die um breite Bündnisse bemühte Antinazikoordination kündigte eine Prominentenblockade an, die jedoch schon im Vorfeld an der zu erwartenden Absage der CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth scheiterte. Und während immerhin einzelne Gewerkschaftsgruppen in diesem Jahr an der aktiven Blockade teilnehmen wollen, ruft der DGB erneut zu Solidarität und Würstchen fernab des Geschehens auf.

Als Resultat bleibt eine von den Parteien im Frankfurter Römer verfasste »Erklärung gegen Links- und Rechtsextremismus«, die sowohl von den Grünen als auch von der Frankfurter CDU unterschrieben wurde. Zumindest bei der Frankfurter Antifa ist die Botschaft angekommen. Gemeint sei damit »ein hartes Vorgehen gegen Antifaschisten«.

Dass Frankfurt längst nicht mehr »die uneinnehmbare Hochburg der Feinde unseres Volkes« ist, wie der Neonazi Steffen Hupka meint, der den Nazi-Aufmarsch mitorganisiert, zeigte nicht zuletzt die liebevolle Betreuung, die den Rechtsextremen im vergangenen Jahr vom zuständigen Ordnungsamt zuteil wurde. Noch während die Klage gegen ein vorläufiges Demonstrationsverbot beim hessischen Verwaltungsgerichtshof anhängig war, suchten Stadt und Kameradschaften gemeinsam nach unbürokratischen Lösungen. Damals einigte man sich auf eine Route außerhalb der Innenstadt, die auch die Gegenmobilisierung erschweren sollte. Auch in diesem Jahr, so wird erwartet, werden die Kameradschaften marschieren dürfen, wenn auch nicht wie angekündigt im überwiegend von Migranten bewohnten Bahnhofsviertel.

So ist es in der Tat nicht dem »Aufstand der Anständigen« oder der Stadt zu verdanken, dass Neonazi-Aufmärsche in Frankfurt bislang kaum möglich waren. Alle früheren Versuche, im Frankfurter Bahnhofsviertel zu demonstrieren, wurden vor allem von den migrantischen Bewohnern vereitelt. Dieser Widerstand und die Funktion der Stadt als Finanzzentrum machen Frankfurt zugleich zu einem exponierten Gegenstand neonazistischer Agitation. So erklärte Steffen Hupka die Kundgebung des vergangenen Jahres zu einem Marsch auf die »Bastion«, in der »die ausländische Mafia« und »das Kapital zuhause« seien, und auf den »antifaschistischen Sumpf: Linke, Stadtverwaltung, etablierte Parteien, Polizei, Kirche, ausländische Banden, Juden und so weiter«. Dabei können Hupka, Worch und ihre Kameraden, vor allem wenn es gegen »Juden und so weiter« geht, sehr wohl auch auf lokale Unterstützung zählen.

Für den Rückhalt der extremen Rechten in Frankfurt sprechen nicht nur bundesweit aktive Figuren wie die ehemalige Grüne Annemarie Paulitsch, die Vorsitzende der rechtsextremen Bürgerbewegung Unser Land, sondern auch die Wahlerfolge der NPD in der Vergangenheit. Unter der Oberfläche eines multikulturellen Images rumoren auch in Frankfurt rassistische und antisemitische Stimmungen, die sich immer wieder Bahn brechen.

So wusste die hessische CDU im Landtagswahlkampf 1999 mit ihrer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft einen tief verankerten Rassismus zu mobilisieren. Und im Dezember 2000 versuchte ein antisemitisches Bürgerbündnis die Umbenennung der Obermainbrücke in Ignatz-Bubis-Brücke zu verhindern und empfing den CDU-Politiker Michel Friedman bei der Einweihungsfeier mit dem Ruf: »Da kommt der Jude!«

Abzusehen ist daher auch in diesem Jahr, dass der aktive Protest gegen die Neonazis hauptsächlich von linken Antifas und Migranten ausgehen wird - sollten sich nicht Jan Ullrich und Erik Zabel in letzter Sekunde solidarisieren. Ganz ungewollt erhält die Mobilisierung gegen den Aufmarsch der Freien Kameradschaften also doch noch einen politischen Charakter, der über das Ereignis selbst hinausweist. Als Demonstration nicht nur gegen Nazis wie Worch, Hupka und Borchardt, sondern gegen die rassistische Stimmung in einer Stadt, die sich gerne ihres »internationalen Flairs« rühmt und dabei zum größten Aufmarschplatz neonazistischer Kameradschaften am 1. Mai zu werden droht.