Prozess gegen Atomkraftgegner in Lüneburg

Beton soll leben

In Lüneburg hat der Prozess gegen Atomkraftgegner begonnen, die im vorigen Jahr einen Castortransport stoppten.

Diesmal blockierte sich die Bewegung selbst. Ein gutes Dutzend Atomkraftgegner wurde auf seinem Weg zum Prozess gegen vier Robin-Wood-Aktivisten vor zwei Wochen überraschend gestoppt. Eine sechs Meter lange Birke versperrte dem aus Dannenberg kommenden Zug bei Süschendorf den Weg. Castorgegner hatten offensichtlich den Baum gefällt und auf die Gleise gelegt. Der Zug musste umkehren, und den Atomkraftgegnern blieb nichts anderes übrig, als die Fahrt mit dem Bus fortzusetzen.

Auch vor dem Lüneburger Amtsgericht kam es zu turbulenten Szenen. Frei nach dem Motto: »Beton - es kommt darauf an, was man daraus macht«, hatten Atomkraftgegner sechs Betonmischmaschinen mitgebracht, die sie zum Zweck der Demonstration in Gang setzen wollten. Und um den langwierigen Einlasskontrollen zu entgehen, kletterten einige Prozessbesucher kurzerhand durch das offene Fenster des Gerichtsaales. Der Einzug der Angeklagten wurde dann von einer Standing Ovation des Publikums begleitet.

Der Anlass des Prozesses ist die wohl spektakulärste Aktion gegen den Castortransport nach Gorleben im März 2001. Vier Aktivisten der Umweltschutzorganisation Robin Wood, drei Männer und ein 16jähriges Mädchen, schlossen sich damals mit den Armen an einen Betonblock unter dem Gleisbett fest und hielten den Atommüllzug dadurch 16 Stunden auf. Erst mit einem speziellen Gesteinsbohrhammer des Technischen Hilfswerkes (THW) konnte der Betonklotz am nächsten Tag zerstört werden. Ein weiterer Aktivist hatte sich in der Nähe an die Gleise gekettet. Zum ersten Mal musste ein Castortransport den Rückwärtsgang einlegen. Erst einen Tag später konnte der Zug seine Fahrt fortsetzen. Die »Fünf von Süschendorf« wurden zu Helden der Bewegung.

Der 16jährigen soll im Mai der Prozess vor dem Jugendgericht in Dannenberg gemacht werden. Den vier angeklagten Männern wird von der Lüneburger Staatsanwaltschaft »Nötigung« und »Störung öffentlicher Betriebe« vorgeworfen. Die Anklagepunkte »Gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr« und »Sachbeschädigung« wurden bereits vorher fallen gelassen.

In ihren Erklärungen zum Prozessauftakt betonen die Angeklagten, dass die Kriminalisierung von Demonstrationen ihnen keine andere Wahl gelassen habe, als zu blockieren. »Der Staat trägt selbst die Verantwortung dafür, dass der Protest nur noch konspirativ vonstatten geht, jede offene Demonstration war ja verboten«, erklärte Alexander Gerschner, einer der Angeklagten. Rechtsanwalt Wolfram Plener pflichtet ihm bei: »Wenn zu Castorzeiten im gesamten Wendlandkreis die Bürgerrechte ausgehebelt werden, bleibt nichts anderes übrig, als derart deutlich seinen Widerspruch zu bekunden.«

Der Staatsanwalt hatte Schwierigkeiten darzulegen, wer der Genötigte gewesen sein soll. Der Lokführer des blockierten Zuges? Wohl kaum, denn er erklärte: »Ich habe erst durch die Einladung zum Gericht erfahren, dass ich genötigt wurde.« Oder etwa die Deutsche Bahn AG als Auftragnehmer des Castortransportes? Oder gar die Atomspedition Nuclear Cargo Service als Auftraggeberin?

Ähnlich verhält es sich mit dem Anklagepunkt »Störung öffentlicher Betriebe«. Den Angeklagten erscheint er schon deshalb unsinnig, weil die Bahnstrecke zwischen Lüneburg und Dannenberg während der Castortransporte gar nicht für den öffentlichen Verkehr freigegeben ist. Trotz dieser wackeligen Basis der Anklage weigert sich die Staatsanwaltschaft, einer Einstellung des Verfahrens, wie in vergleichbaren früheren Fällen, zuzustimmen. Sie strebt offensichtlich eine Grundsatzentscheidung dazu an, ob das Anketten an Schienen strafbar ist.

Den Angeklagten droht aber nicht nur eine strafrechtliche Verurteilung. Auch zivilrechtliche Ansprüche werden gegen sie geltend gemacht. Die Deutsche Bahn AG, der Bundesgrenzschutz (BGS) und das THW wollen insgesamt 19 300 Euro an Kosten für die Befreiungsaktion eintreiben. Das THW stellt u.a. Tee und Wolldecken in Rechnung, der BGS will sich sogar Gehörschutzkappen und Taschenlampen bezahlen lassen.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hatte nach den erfolgreichen Blockadeaktionen im Wendland im vorigen Jahr einen Erlass herausgegeben, nach dem »alle Kosten erstattungsfähig sind, die durch die unmittelbare Befreiungsmaßnahme entstanden sind«. Für die Robin-Wood-Sprecherin Ute Bertrand geht es bei der Regressforderung »in Wahrheit nicht um eine Schadenswiedergutmachung, sondern um Einschüchterung«.

Eingeschüchtert werden soll auch Robin Wood als Organisation. Die Innenminister mehrerer Länder forderten, Robin Wood und Greenpeace die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Bisher blieb diese für die spendenabhängigen Organisationen lebensgefährliche Drohung ohne Konsequenzen. Bei einem negativen Ausgang des Lüneburger Prozesses könnte sich das ändern.

Gleichzeitig mit dem Prozessbeginn wurde zudem bekannt, dass das Bundeskriminalamt bereits seit Jahren Aktivitäten gegen Atomkraftwerke und Castortransporte in einer speziellen »Anti-Atomkraft- und Anti-Castor-Datei« speichert. Nach der Anfrage eines Anti-AKW-Aktivisten stellte die Datenschutzbeauftragte der rheinland-pfälzischen Polizei, Monika Brauer, ihm seine Daten aus der entsprechenden Datei zur Verfügung. Dort fanden sich dann so strafrechtlich relevante »Daten« wie die Anmeldung eines Infostandes oder die Teilnahme an einer nicht verbotenen Demonstration.

Die Polizei rechtfertigt ihre Datensammlung damit, dass sie »zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten« dazu befugt sei, personengebundene Daten zu verarbeiten. Für Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der PDS, gibt es dafür keine Rechtsgrundlage: »Sie verstoßen damit gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.«

Schwere Verstöße gegen die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit konstatiert auch das Komitee für Grundrechte und Demokratie in seinem jüngsten Bericht über seine Demonstrationsbeobachtungen während des zweiten Castortransportes nach Gorleben im November 2001. In einer in der vorigen Woche übergebenen Petition fordert das Komitee den niedersächsischen Landtag auf, »für den uneingeschränkten Erhalt des Demonstrationsrechtes nach Artikel 8 des Grundgesetzes Sorge zu tragen«. Das Komitee bestätigt die Einschätzung der fünf Süschendorfer. Wegen zeitlich und räumlich ausgedehnter Demonstrationsverbote, der Verbote der Camps, willkürlicher Aufenthaltsverbote und Platzverweise, sowie wegen der präventiven Festnahme großer Gruppen von Demonstranten sei die Wahrnehmung des Demonstrationsrechtes faktisch unmöglich geworden.