Österreichs Fußball in der Krise

Eine Liga ohne Sieger

Österreichs Fußball befindet sich in der Krise. Während der amtierende österreichische Meister pleite ist, hat Lothar Matthäus den Traditionsklub Rapid Wien in die Bedeutungslosigkeit geführt.

Gemeinsam samma stark«, tönte es am letzten Wochenende aus den Stadion-Lautsprechern am Innsbrucker Tivoli, der Heimstätte des aktuellen österreichischen Fußballmeisters FC Tirol. Diesmal waren die Männer mit den strammen Waden angetreten, um sich in die Herzen ihrer Fans zu grölen. Die Kicker des FC Tirol spielten auf eine andere Art als sonst auf und verscherbelten die brandaktuelle Meistersingle sogleich für günstige sechs Euro an das ebenfalls grölende Publikum.

Für einen guten Zweck, wie die Vereinsführung stolz versicherte. Dass der Erlös der »mir san supa und gemeinsam schaff ma olles«-Kakophonie nicht direkt in die leere Kasse des Vereins wanderte, verwundert zwar ein wenig, würde bei der derzeitigen Finanzlage des Meisters aber ohnehin nichts ändern.

Sportlich ist der FC Tirol top, finanziell aber ein Flop. Bereits vier Spieltage vor dem Ende der österreichischen Meisterschaft sicherten sich die Innsbrucker Kicker den dritten österreichischen Meistertitel in Folge. Dass Tirols Trainer Joachim Löw den neuerlichen Erwerb der Meisterschale mit den Worten: »Irgendwann werde ich mich freuen« kommentierte, klingt wegen der vorangegangenen Ereignisse verständlich.

Der FC Tirol ist nämlich pleite. Die Passiva haben die Höhe eines zweistelligen Millionenbetrages erreicht, munkelt man im Verein sowie in den Sportteilen der österreichischen Gazetten. Genaueres weiß man nicht, denn Othmar Bruckmüller, Reifenhändler und Präsident des FC Tirol, hält sich noch bedeckt. Bereits im letzten Jahr hatte Bruckmüller eine Generalhaftungserklärung bis zum 30. Juni unterzeichnet, um zumindest die Lizenz für die laufende Saison zu retten. Was für internationale Großklubs wie den FC Barcelona, Real Madrid oder den AS Rom nur einen kurzfristigen finanziellen Engpass bedeuten würde, könnte für den österreichischen Meister zur Existenzfrage werden.

Bereits im Winter des vergangenen Jahres informierte der Kreditschutzverband KSV die österreichische Öffentlichkeit über eine drohende Insolvenz des Klubs. Der damalige FC Tirol-Trainer Kurt Jara reagierte am schnellsten und floh noch während der laufenden Saison nach Hamburg, wo er heute den HSV trainiert. Als Ersatz verpflichtete man den ehemaligen Trainer des VfB Stuttgart, Joachim Löw, der den sportlichen Erfolg Jaras zwar fortsetzte, die Kasse jedoch blieb weiterhin leer. Da half auch Bruckmüllers präsidiale Haftungserklärung nichts mehr.

Ende März war es dann so weit. Die Spieler wollten nicht länger auf ihr Geld warten und stellten dem Verein ein Ultimatum: Zahlung der ausstehenden Gehälter oder ablösefreie Freigabe. So ein Streik auf dem grünen Rasen aber ist gerade für einen Erstligisten eine mehr als peinliche Sache. Nicht auszudenken, wenn die Spieler jeweils beim Beginn des Spiels in Straßenkleidung angetreten wären, um wenige Minuten später wieder aus Protest den Platz zu verlassen. Die Raiffeisen Landesbank Tirol sprang also zweimal ein und beschwichtigte die Kicker, zumindest kurzfristig und finanziell.

Nicht nur der Trainer, auch die Spieler reagieren auf die undurchsichtige Lage mit gedämpfter Stimmung. So plagen Tirols Mittelfeldregisseur Stefan Marasek ob des finanziellen Desasters zwar keine Existenzängste, mentale Verwirrungen sind aber allemal festzustellen: »Schließlich habe ich zwei gesunde Hände und Füße. Aber an der Psyche hat das schon genagt.« Auch bei Verteidiger und Betriebsrat Oliver Prudlo dürfte sich die Leere auf dem Konto auf den psychischen Zustand ausgewirkt haben: »Die Stimmung ist immer noch gut, ich kann's auch nicht erklären, das hängt wohl mit der sportlichen Situation zusammen. Wären wir Siebter, wär' wahrscheinlich eh schon der dritte Weltkrieg.«

Zwar präsentierte die Klubführung ein generöses Sanierungskonzept und erhielt nach einer ausführlichen Untersuchung von den Wirtschaftsprüfern vom Bundesligasenat am letzten Wochenende die Lizenz für die Spielsaison 2002/2003. Die Auflagen haben es jedoch in sich. Der Schuldenstand muss im nächsten Jahr weiter abgebaut werden. Und wegen der Nichteinhaltung von Auflagen muss der Meister mit einem Minus von fünf Punkten in die nächste Saison starten.

Aber auch die diesjährige Saison könnte für den FC Tirol noch einige Überraschungen bereithalten. Bis zum 31. Mai muss der Klub satte 4,5 Millionen Euro an Eigenkapital aufstocken, um noch ausstehende Verbindlichkeiten wie Spielergehälter und Meisterprämien zu tilgen. Gelingt dies nicht, könnte ein in Österreichs Fußballgeschichte noch nie da gewesener Fall eintreten.

Dem Meister FC Tirol würde die Lizenz rückwirkend entzogen und der Meistertitel aberkannt. Eigentlich eine gemeine Regelung: Wer nichts im Portemonnaie hat, wäre auch sportlich eine Niete. »Es muss Bürgschaften geben und das sollte auch möglich sein«, gab sich Trainer Löw nach der Entscheidung des Bundesligasenats optimistisch. Wer dieser generöse Finanzier sein könnte, ist jedoch noch ungewiss. Zumal die finanzielle Tristesse des Klubs auf Fehler des Managements zurückzuführen ist. Nach dem Meistertitel vor drei Jahren träumte der Verein von der großen Welt der Champions League und stockte den Kader auf über 25 Spieler auf. Fast allen wurden hohe Gehälter zugesagt. Die Qualifikation für die Liga der Besten misslang aber, die Gehaltskosten stiegen dennoch.

Auch in der darauf folgenden Saison kickte sich Tirol zum österreichischen Meistertitel, die Bemühungen um internationalen Erfolg fanden jedoch in der Qualifikation zur Champions League ein jähes Ende. Da half selbst die freundliche Nachlässigkeit des Schiedsrichters nichts. Das verlorene Rückspiel gegen Lokomotive Moskau musste wegen einer Regelwidrigkeit wiederholt werden. Der Schiedsrichter hatte einem Moskauer Spieler zweimal die gelbe Karte gezeigt, ohne ihn vom Feld zu schicken. Das Wiederholungsspiel brachte nichts ein, die Schulden wurden nur noch größer.

Ein durchaus österreichisches Phänomen. So schlitterte der österreichische Rekordmeister Rapid Wien bereits vor einigen Jahren knapp am Konkurs vorbei und konnte nur durch die Unterstützung einer ehemaligen Staatsbank vor dem Aus bewahrt werden. Die finanzielle Lage des Klubs ist derzeit zwar stabil, doch sportlich sieht es ganz anders aus.

Das liegt nicht zuletzt am schlechten Trainer. Unter Lothar Matthäus steuert der traditionelle Arbeiterklub auf die schlechteste Saisonplatzierung der Klubgeschichte zu, und aus den Gerüchten, »die Zeitbombe in Trainingshosen« (Der Spiegel über Matthäus) wieder nach Bayern zu schicken, wurde in der vergangenen Woche Gewissheit. Nach der blamablen 1:6-Niederlage gegen den SC Salzburg waren Fans wie Vereinsführung gleichermaßen sauer, Matthäus wurde wenige Tage später entlassen.

Der frühere Kapitän der deutschen Nationalmannschaft ist jedoch selbstredend dagegen gewappnet, für die Niederlagen auch die Verantwortung übernehmen zu müssen. Er sah bis zuletzt die Hauptschuld bei seinen Spielern: »Manche von euch haben wohl keinen Charakter. Auch ich mache Fehler, aber ich hatte das Gefühl, dass einige nicht nur mir eins auswischen wollten, sondern auch mit Rapid abgeschlossen haben.«

Gleichzeitig machte er sich in Deutschland ungemein beliebt, indem er verbal auf Stefan Effenberg einprügelte. Matthäus machte, wohl um die schlechte Stimmung in Deutschland gegenüber Effenberg wissend, den Mittelfeldspieler für die Niederlagen der Bayern verantwortlich. Dass er selbst eben Rapid ans Ende der Tabelle gebracht hatte, spielte da keine Rolle.

Österreichs Fußball also ist und bleibt eine Katastrophe. Der Meister ist pleite und die Versager reißen die Klappe auf. Matthäus jedenfalls würde man in Österreich kaum vermissen, denn ein deutscher Versager ist als Trainer für den gewöhnlichen österreichischen Fan schlicht zu viel. Offenbar also bedarf es in Österreich nicht einmal eines Leo Kirch, um die Bundesliga zu zerstören.