Regierung unter Druck

So viele Informationen

Vor den Anschlägen des 11. September gab es reichlich Warnungen. Nun gerät die Bush-Regierung deswegen unter Druck.

Um es gleich vorwegzunehmen: Die erste Warnung vor einem Terroranschlag, bei dem ein Passagierflugzeug entführt und in ein Hochhaus gelenkt wird, wurde geäußert, als der US-Präsident noch Ronald Reagan hieß.

Damals erschien ein Buch mit dem Titel »The Running Man«, in dem ein US-amerikanischer Bürger sein Leben opfert, um stellvertretend für die Geknechteten dieser Welt Rache an einem allgewaltigen Medienmonopolisten zu nehmen. Geschrieben hat es der bekannte Geheimdienst- und Verschwörungsspezialist Stephen King unter dem Pseudonym Richard Bachman.

Als in der vergangenen Woche die US-Administration zugeben musste, bereits im August 2001, also einen Monat vor den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon, vor einer möglichen Flugzeugentführung durch Mitglieder von Ussama bin Ladens Netzwerk al-Qaida gewarnt worden zu sein, meldeten sich erwartungsgemäß weitere bekannte und weniger bekannte Geheimdienst- und Verschwörungsspezialisten zu Wort. Unter dem Motto »Ich habe es schon immer gewusst!« versuchten sie aus dem Schweigen der Bush-Administration eine Verstrickung in die Anschläge herzuleiten.

Die Warnung vor einer möglichen Flugzeugentführung erfolgte im Rahmen des täglichen Briefings über die nationale Sicherheit, das der Auslandsgeheimdienst CIA für den Präsidenten zusammenstellt. Gelesen wird dieses Papier nicht nur von George W. Bush Jr., sondern auch von Vizepräsident Richard Cheney, der Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sowie weiteren hochrangigen Regierungsmitgliedern, zu deren Aufgaben die Wahrung der nationalen Sicherheit gehört.

Als am 11. September Flugzeuge in die Twin Towers rasten, dürfte sich zumindest der eine oder andere an das CIA-Briefing vom 17. August 2001 erinnert haben. Die Regierung schwieg. Auch als im Februar der Kongress eine Untersuchung über das Versagen der Geheimdienste im Zusammenhang mit den Anschlägen einleitete, zog es die Regierung vor, nicht zu reagieren statt zu kooperieren.

Erst nach einem Bericht des Fernsehsenders CBS am Mittwoch der vergangenen Woche sah man sich genötigt, die Existenz einer Warnung einzugestehen. Sprecher des Weißen Hauses fügten hinzu, dass in dem Sicherheitsbriefing vom 17. August nichts über eine vierfache Flugzeugentführung mit anschließenden Selbstmordattentaten stand. Wie auch, denn gewöhnlich werden Flugzeuge entführt, um bestimmte Forderungen durchzusetzen.

Kurz nach der Meldung über den Geheimdienstbericht vom August 2001 folgte die Nachricht, ein FBI-Agent in Phoenix, Arizona, habe bereits im Juli 2001 in einem FBI-internen Memorandum auf »enge Verbindungen« zwischen al-Qaida und einigen Flugschülern aus dem Nahen Osten verwiesen und auf eine verstärkte Beobachtung der Flugschulen gedrängt.

Einer der FBI-Agenten, die im August den französischen Staatsbürger Zacarias Moussaoui, den mutmaßlichen »20. Mann« der Angriffe vom 11. September, festgenommen hatten, hatte ihn mit dem Verdacht konfrontiert, er wolle ein Passagierflugzeug in das World Trade Center lenken. Die Festnahme war wegen Verstößen gegen das Immigrationsgesetz erfolgt. Moussaoui war in den USA nie straffällig geworden und wurde nach Frankreich abgeschoben.

»Hinterher ist man immer schlauer, aber es ist tragisch, dass der FBI-Bericht aus Phoenix (Verdächtige in einer al-Qaida-Ermittlung nehmen Flugunterricht), der mysteriöse Fall Moussaoui (eine zwielichtige Gestalt plant irgendetwas, vielleicht will er ein Passagierflugzeug in das World Trade Center stürzen) und die CIA-Warnung (bin Laden plant eine terroristische Aktion) niemals nebeneinander auf einem Schreibtisch gelegen haben«, meint David Corn, der Washington-Korrespondent der linksliberalen Wochenzeitung The Nation und Autor mehrerer Sachbücher über die US-Geheimdienste. »Auch wenn das geschehen wäre, es hätte vielleicht kein klares Bild der kommenden Ereignisse ergeben. Aber andere Informationen wären vielleicht bedeutender erschienen, CIA und FBI hätten möglicherweise weitere Teile des Puzzles gefunden.«

Im Weißen Haus scheint man diese Ansicht zu teilen. Der Chef der CIA-Spionageabwehr, Cofer Black, wurde am Wochenende entlassen. Nach Berichten des Fernsehsenders ABC wird er für die mangelnde Abstimmung zwischen den Behörden verantwortlich gemacht. Black ist allerdings wohl nur einer von vielen Sündenböcken, die die unter Druck geratene Bush-Administration wird opfern müssen.

»Nicht einmal innerhalb des FBI wurde der Bericht aus Phoenix an das für den Fall Moussaoui zuständige Büro weitergeleitet«, schreibt David Corn und fragt: »Macht es Sinn, mehr als 30 Milliarden Dollar im Jahr für ein umfassendes Geheimdienstsystem auszugeben - und der Kongress ist im Begriff, diesen Betrag um mehrere Millarden Dollar aufzustocken -, wenn dieses System nicht in der Lage ist, wertvolle Informationen zu erkennen und effizient zu handhaben?«

In der Tat erhalten die US-Geheimdienste an jedem Tag Unmengen an Informationen. Und es ist beinahe ein Allgemeinplatz, dass man wichtige Informationen nicht nur geheim halten kann, sondern dass sie auch in einer Flut von falschen oder unwichtigen Informationen untergehen können. Sowohl die CIA als auch das FBI haben eine gewaltige Bürokratie und eine Vielzahl an Unterabteilungen, die sich manchmal nahezu feindlich gegenüberstehen, wie es der Geheimdienstkenner Seymour Hersh bereits im Oktober 2001 im Magazin New Yorker beschrieb.

In einem Artikel mit dem Titel »What Went Wrong« erklärte er mögliche Umstände, die zum Versagen der Geheimdienste im Zusammenhang mit dem 11. September geführt haben könnten: Die Antiterrorabteilung der CIA (CTC) ist beispielsweise nicht autorisiert, ausländische Agenten anzuwerben. Diese Aufgabe ist dem Directorate of Operations (DO) vorbehalten. Zwar wurde das CTC nach dem ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993 finanziell und personell aufgestockt; das DO jedoch wurde nach dem Ende des Kalten Krieges deutlich abgebaut. Zudem hat es andere Prioritäten. Stattdessen verließ man sich auf die Kooperation mit ausländischen Geheimdiensten und die Computerspionage.

Hersh übernimmt in seiner Analyse allzu häufig die Position seiner Interviewpartner. Die sind ehemalige Auslandsspione der CIA, die sich nostalgisch nach den alten Zeiten zurücksehnen, in denen sich Geheimdienste weder um Gesetze noch um lästige Menschenrechtsbestimmungen scheren mussten. Dennoch liefert der Artikel eine plausible Erklärung dafür, warum die Geheimdienste den Anschlag auf das World Trade Center nicht unbedingt vorhersehen konnten.

Die Bush-Administration ihrerseits war nicht dazu in der Lage, die im August erhaltene CIA-Warnung länger als acht Monate lang geheim zu halten. Die Demokraten im Kongress werfen der Regierung nun die Irreführung des Kongresses vor und drängen auf eine Ausweitung der Untersuchungen über das Versagen der Geheimdienste. Der Fraktionschef der Demokraten im Senat, Tom Daschle, hat bereits die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission gefordert.

Regierungssprecher Ari Fleischer warf den Demokraten dafür mangelnden Patriotismus und unverantwortliche Skandaltreiberei in Kriegszeiten vor. Dieser Vorwurf hat mittlerweile allerdings einiges an Zugkraft eingebüßt. Denn genau so bügelte die Regierung bereits vor Monaten den Ruf nach Aufklärung über mögliche Warnungen ab. Unberechtigt, wie sich nun herausstellt.

Zwar hat die Bush-Administration eine Schwäche für Geheimniskrämerei - der Enron-Skandal ist dafür ein weiteres Beispiel -, aber ganz offensichtlich fehlt es ihr in dieser Hinsicht an Talent. Am Wochenende stellte sich heraus, dass die Regierung ihren weltweiten »Krieg gegen den Terror« bereits vor dem 11. September plante. Auch hier verlangt die Opposition nach Aufklärung.

Pläne werden natürlich für alle möglichen Situationen gemacht, von der Konjunkturkrise bis zum Atomkrieg gegen China. Interessant dabei ist, dass die parlamentarische Opposition, wenn auch sehr spät, wieder anfängt, sich als solche zu präsentieren. Im Herbst stehen Kongresswahlen an.