Neuer CDU-Vorsitzender in Berlin

Stölzls eiserne Faust

Am kommenden Wochenende wählt die Berliner CDU ihren neuen Vorsitzenden.

Es sei ein Neuanfang, so heißt es. Genauer: Er sei der Neuanfang. Franz Christoph Berthold Stölzl, Rufname Christoph, Sprössling einer bayerischen Juristenfamilie, soll jetzt, nachdem sich ein in Affären verstrickter Eberhard Diepgen beleidigt aus der aktiven Politik zurückgezogen und sich sein Nachfolger Frank Steffel bereits höchst lächerlich gemacht hat, das Ansehen der Berliner CDU retten.

Am 25. Mai kürt die Landesunion ihren neuen Vorsitzenden, und das nicht wie gewöhnlich in irgendeiner abseitig gelegenen Halle, sondern im Hotel Maritim in der Berliner Friedrichstraße, mithin an einem feinen Ort. Man möchte signalisieren, dass sich die Hauptstadt-CDU neuerdings auch hauptstädtisch zu benehmen weiß. Und konsequenterweise wird der eloquente und stets gut gekleidete Stölzl in Berlin-Mitte zum Vorsitzenden der Partei der Mitte.

Symbolische Gesten liegen ihm. Empfohlen für seinen neuen Job hatte er sich mit seiner Rede zur Eröffnung der Abgeordnetenhaussitzung nach der Wahl, welche die rot-rote Koalition an die Macht brachte. Er sprach allzu parteilich, nur halbherzig gab er sich für einen um die Demokratie besorgten Unparteiischen aus. »Heute sperrt die Sozialdemokratie dem Kommunismus die Tür zur Macht in Deutschland wieder auf«, orakelte er.

Gleichzeitig bewies der Mann, der den historischen Wert von Joseph Fischers Turnschuhen erkannt und sie zum Ausstellungsstück gemacht hatte, erneut seine Fähigkeit, aus höheren Sphären auf das Zeitgeschehen zu blicken: »Das Auge der Geschichte, das auf Berlin blickt, misst in anderen Dimensionen als aufgeregte Zeitungsleser«. Dabei redete er kaum anders als der Bürgermeisterkandidat Frank Steffel in seinem Wahlkampf, benutzte lediglich den Jargon der feinen, nicht der kleinen Leute.

Ob Stölzl den Landesvorsitz überhaupt wollte, war zunächst nicht klar. Er zierte sich. Er, der sich als Mitbegründer und erster Leiter des Deutschen Historischen Museums wenn schon nicht als großer Ausstellungsmacher, so doch als ein Protagonist der Spektakel- und Förderkultur einen Namen gemacht hat, trat erst vor gut einem Jahr in die CDU ein. Er war unsicher, ob er sich in einer Landespartei als Vorsitzender halten könnte, deren Basis auf Leute fixiert ist, die den gesamten Klüngel überschauen und mit jedem Kleingärtner aus Reinickendorf auf Du sind.

Nicht umsonst gilt Frank Steffel in der Partei weiterhin als kommende Kraft, seiner desaströsen Wahlniederlage zum Trotz. Ihm, der zurzeit als Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus ein ums andere Mal den Kalten Krieg heraufbeschwört, wurden Ambitionen auf das höchste parteiinterne Amt nachgesagt.

Doch im Februar gab Stölzl überraschend in der SFB-»Abendschau« seine Kandidatur bekannt. Noch wenige Tage zuvor hatte er betont: »Ich bin ein leidenschaftlicher Anhänger von Teams und vom Mannschaftsspiel. Das ist immer erfolgreicher als Sololäufe. Wenn man es noch schafft, das Mannschaftsspiel als faire Konkurrenz der Ideen zu organisieren, so wie es vor 1998 Schröder und Lafontaine erfolgreich vorgemacht haben, dann hat man auch das Interesse des Publikums auf seiner Seite.«

Dann kandidierte er, ohne sich vorher mit dem Landesvorstand oder dem Fraktionsvorsitzenden abgesprochen zu haben. »Wenn man täglich gebeten wird, für den Vorsitz zu kandidieren, ist es unredlich, es nicht zu tun«, rechtfertigte er später lapidar sein Vorgehen. Wer ihn damals gesehen hat, wie er sich lächelnd und sehr gespreizt in der »Abendschau« präsentierte, wusste, dass er glaubte, einen Coup gelandet zu haben.

Überhaupt schafft es Stölzl stets, sich dem überwiegenden Teil seiner Zuhörerschaft als unkonventionellen Feingeist zu verkaufen. Die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU schätzt seine »generationsübergreifende Akzeptanz sowie seine Sachkompetenz«, Georg Gafron gab ihm eine eigene Radiosendung, die Welt engagierte den redaktionell Unerfahrenen, nachdem er es nicht geschafft hatte, Vorsitzender der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu werden, für einige Zeit als Feuilletonchef, Gustav Seibt von der Süddeutschen Zeitung nannte ihn begeistert den »bezaubernd operettenhaften Christoph Stölzl«, und die taz wusste immerhin zu berichten, er sei »nicht nur belesen, er zeigt es auch gern, zitiert breit gefächert mal Kästner, mal Kennedy und oft die Bibel.«

Doch die Bibel, Kennedy, Kästner und eine halbwegs flüssige Rede machen noch nicht unbedingt einen Intellektuellen aus. Überhaupt stellt sich die Frage, ob Intellektualität in der Parteipolitik eine zentrale Qualifikation bedeutet. Stölzl warf beispielsweise seinem Nachfolger im Amt des Kultursenators, Thomas Flierl (PDS), vor, er sei ein »sehr streitbarer und sehr theoriefreudiger Gesprächspartner«, was ihn gerade nicht zum geeigneten Kultursenator mache. Die Kultur nämlich brauche »beherztes Ergreifen«.

Den Gewerkschaften war Stölzl bereits als Kultursenator übel gesonnen, da sie als Besitzstandswahrer agierten und einer vernünftigen Kulturpolitik mit der Forderung nach Arbeitsplatzgarantien im Weg stünden. Bereits vor seinem Eintritt in die Politik hatte Stölzl des öfteren betont, dass beide Teile Deutschlands vor der Wiedervereinigung »von Texas aus« wie sozialistische Staaten gewirkt hätten und es nun endlich an der Zeit sei, die sozialen Leistungen des Staates abzubauen und stattdessen kulturelle Ereignisse zu schaffen. Entsprechend befürwortet er natürlich den Wiederaufbau des symbolträchtigen Stadtschlosses.

Trotz seiner offen rechten Ansichten, trotz seines altbackenen, bei genauerem Hinsehen auch reichlich provinziellen heroischen Ästhetizismus und seiner antisozialen Einlassungen gilt Stölzl den meisten Kommentatoren als ein respektabler Liberaler innerhalb der Berliner Union.

Es gibt nur wenige Stimmen wie die Harald Jähners, der in der Berliner Zeitung feststellte, dass Stölzls Reden aus drei Elementen bestünden, »Bildung, Pathos und Trickserei«, und sein politisches Auftreten im Gegensatz zu dem seiner Vorgänger nur Fassade sei: »Seine sprudelnde Eloquenz lässt befürchten, dass er weniger weiß, als er sagt, dass die Lichtgestalt, die er für viele in der gedemütigten Partei angenommen hat, vor allem aus Licht besteht.«

Auch die aktuelle Führungsspitze der Berliner CDU um Frank Steffel glaubt nicht an Stölzls politisches Geschick. Nachdem der Überflieger seine Kandidatur so selbstherrlich verkündet hatte, holte man ihn umstandslos vom Himmel. Noch vor seiner Wahl zum Parteivorsitzenden bescherte man dem eitlen, seinem Freund Helmut Kohl nacheifernden Patriarchen in spe eine herbe Niederlage. Seinen Wunschkandidaten für den Generalsekretärsposten, den Steffel-Gegner Alexander Kaczmarek, musste er aufgeben. Stattdessen bekommt die Kompromisskandidatin Verena Butalikakis das Amt.

Stölzl muss wohl noch lernen, dass es in der alltäglichen Politik bei weitem nicht so heroisch zugeht wie in der von ihm so geliebten deutschen Kultur. Aber das kann sich ja ändern. Denn Stölzls Bekanntenkreis weiß: »Wenn er will, hat er eine Faust aus Eisen«, berichtete ehrfürchtig die taz.