Die 'Jungle World' und die USA

Angriff der Bismarxisten

Nicht jede Kritik am Kriegskurs der US-Regierung ist antiamerikanisch, auch wenn das in Jungle World gelegentlich nahe gelegt wird. Ein Einspruch

Weder euren Krieg noch euren Frieden«, schrieben die Surrealisten am 27. September 1938 in einer Erklärung, die auch gegen die gigantische Mystifizierung gerichtet war, die den kommenden imperialistischen Krieg als Kampf zwischen Totalitarismus und Demokratie ausgab. Offenbar ist diese Parole wieder aktuell.

Seit dem Desaster vom 11. September wird die Welt nicht mehr nur von den westlichen Machteliten in Gut und Böse geteilt, auch ein Teil der deutschen journalistischen Linken hat dieses Schema für sich entdeckt und fordert nun jeden dazu auf, sich auf die richtige Seite der Front zu begeben: Aufklärung oder »Jihadismus«, Zivilisation oder Barbarei, Fanta oder Fatwa - so lauten die Marken, hinter denen sich jeder einzuordnen hat und Stellung beziehen soll in einem Krieg, der als unvermeidlicher »Clash of Civilizations« verkauft wird und der sich - unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung - nach außen gegen die Bevölkerungen des Trikont richtet und nach innen gegen Migranten und aktuelle wie potenzielle Gegner der destruktiven kapitalistischen Verwertung.

Einher geht das Ganze mit dem besinnungslosen Einsatz der als Spielmarken missbrauchten Begriffe »Antisemitismus« und »Antiamerikanismus«. Mit ihrer Hilfe wird jeder erdenklichen Kritik an den Ausdrucksformen bürgerlicher Gewaltverhältnisse, wird vor allem jeglicher Kriegsgegnerschaft entweder der Boden entzogen, oder es wird der Eindruck erweckt, als machten sich alle Kriegsgegner gemein mit den diversen völkischen oder nationalen Erweckungsbewegungen.

Eine neuerliche Glanzleistung in dieser Hinsicht stellt die von Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer anlässlich der Berlinvisite von George W. Bush verfasste Polemik dar (»Beethoven gegen McDonald's«, Jungle World, 22/02), mit der dem Protest der so genannten Globalisierungskritiker zumindest die Nähe zu antisemitischen Stereotypen unterstellt wird. Auch wenn die Autoren das so explizit nicht gemeint haben sollten, ihre Argumentation läuft auf nichts anderes hinaus als auf den antideutschen Dreisatz: Kritik an der US-Regierung gleich Antiamerikanismus gleich völkischer Antisemitismus. Es gibt auch noch eine kürzere Variante: Kritik an der israelischen Regierung gleich völkischer Antisemitismus.

Der Text gehört in eine Reihe ähnlicher, bereits in der Jungle World erschienener Beiträge und ist nur der letzte aktuelle Anlass, der uns nunmehr zum Einspruch nötigt. Schon zuvor sorgten diverse Artikel und Veranstaltungen insbesondere von Thomas von der Osten-Sacken für besondere erkenntnistheoretische highlights. Als Beispiel sei hier eine Nahost-Veranstaltung angeführt, welche die Jungle World jüngst in München abhielt.

Mit bestechender Logik entwarf dort der Referent Thomas von der Osten-Sacken ein Szenario, das auch in seinen Artikeln zum Thema Irak regelmäßig auftaucht. Angesichts der unermesslichen Brutalität des Baath-Regimes gegenüber der Bevölkerung des Irak und einer durch Terror geschwächten innerirakischen Opposition erscheine der demnächst zu erwartendende Kriegsschlag der USA/Nato gegen Saddam Hussein geradezu als das geringere Übel, wenn nicht sogar als wünschenswert im »humanitären« oder gar emanzipatorischen Sinn. Dass man sich auf diese Art gemein macht mit der westlichen Propaganda der »Menschenrechtsinterventionen«, dass diese Argumentation auf nichts anderes hinausläuft als auf eine Zustimmung zum Kriegskurs der USA und der assistierenden Regierungen, wird freilich nie offen ausgesprochen.

Genauso wie auch im Fall Afghanistan kein Jungle World-Autor tatsächlich schrieb: »Ja zu diesem Krieg«. Und doch schimmerte diese Haltung in zahlreichen Debattenbeiträgen durch. Weil man sich indes nicht so recht traute, offen bellizistisch zu argumentieren, nahm und nimmt man eben - quasi als Übersprungshandlung - die Kriegsgegner aufs Korn.

Nicht, dass es an ihnen nichts zu kritisieren gäbe. Aber die ätzende Art und Weise, in der wild um sich geschossen wird, die Diffamierung mit den immergleichen Stereotypen »Antisemitismus« und »Antiamerikanismus«, welche jeglicher Diskussion die - auch zwischenmenschliche - Grundlage entzieht, ist stellenweise unerträglich. Das dient nicht mehr der Erkenntnis, sondern nur noch der Rechthaberei und Ausgrenzung, es ist das glatte Gegenteil von linkem Pluralismus, dem die Jungle World doch ein Forum geben will und soll. Die Suggestionen aller Art, die seit einiger Zeit zum Stil der im Dschungel florierenden Debatte gehören, vergällen uns jede Lust am Streit.

Hinzu kommt, dass die Geschichtsanleihen, mit denen der neue Kriegskurs gestützt wird, vor allem durch ausgesprochene Willkür auffallen. Auslassungen sind fast schon die Regel. Etwa, wenn einfach behauptet wird, die USA hätten im Gegensatz zu Europa niemals über Kolonien verfügt (in »Beethoven gegen McDonald's«, Jungle World, 22/02). Welchen Status hatten oder haben eigentlich Puerto Rico, Kuba, die Philippinen, etc.?

Noch ein Punkt: Dass der Holocaust ein singuläres Ereignis in der Geschichte der Menschheit darstellt, steht außer Zweifel. Das bedeutet aber nicht, dass sich sämtliche politischen Entwicklungen der Gegenwart nur von ihm herleiten lassen. Den traurigen Höhepunkt dieser seltsamen Argumentation markierten jene Auslassungen in der Jungle World, die auch noch die Selbstmordattentate von New York und Washington als direkte Folge der deutschen Geschichte bzw. einer dem deutschen Volk innewohnenden Kollektivneurose darstellten.

Wer Deutschland zum Hort allen Übels in der Welt stilisieren will, ist selbst schon wieder deutschem Größenwahn verfallen. Und die Staaten und Völker, die damals auf der richtigen Seite standen, müssen heute noch lange nicht die Guten sein. Die Anti-Hitler-Koalition, über deren spätes und wohl zuallerletzt durch ein emanzipatorisches Interesse geleitetes Zustandekommen auch einmal ein Wort verloren werden könnte, ist unwiderruflich ein Teil der Vergangenheit. Wir glauben auch nicht, dass der Weltgeist heute im State Department oder im Pentagon zuhause ist.

Womit wir beim nächsten Topos wären, der uns in den Jungle-Beiträgen zur Verteidigung der Zivilisation stört. Der reale und der imaginierte Terror der Jihadisten drängt die Verteidiger der neuerdings offenbar nahezu kommunistischen Errungenschaften McDonald's und Fanta dazu, die beschleunigte Ausweitung oder Differenzierung der warenproduzierenden Gesellschaften - im Neusprech Globalisierung genannt - in jedem Weltwinkel zu fordern, bis sich die Körper aller Weltbürger gleichförmig im Takt der subversiven Love Parades bewegen.

Abgesehen davon, dass in den interventionsbedürftigen Gegenden, die angeblich den Terror naturwüchsig hervorbringen, die totalitären Standards der Warenproduktion längst im Zerfall sind, befinden sich die Kriegspropagandisten im Dienst der Emanzipation bei illustren »Realpolitikern« aus der Vergangenheit in bester Gesellschaft. Rückständiges muss schließlich fallen. Solange solche Bismarxisten (ein Amalgam aus dem Bismarck der Emser Depesche, der um nichts verlegen war, wenn es galt, einen Kriegsgrund zu konstruieren, und dem Marx, der Annektionen und Interventionen durchaus als fortschrittlich ansah) im Dschungel delirieren, fällt es uns schwer weiterzumachen, als wäre da nichts.

Denn muss sich die Linke wirklich im Dienste der Aufklärung gemein machen mit der kapitalistischen Verwertungslogik, muss sie es wirklich toll finden, wenn die herrschende Klasse, frei nach Marx, mit ihrer schweren Artillerie, die nicht nur aus den »wohlfeilen Preisen ihrer Waren« besteht, »alle chinesischen Mauern in den Grund schießt«? Und vor allem: Müssen wir da mitschießen?

Wenn schon, dann halten wir es lieber mit dem Marx der »Kritik der politischen Ökonomie« und dem Utopisten der »freien Assoziation freier Menschen«. Wer sich zu sehr auf die Logik von Krieg, Vernichtung und Vertreibung einlässt, verliert irgendwann aus den Augen, dass diese eine Übersteigerung sonst anerkannter Herrschaftsnormen sind. Zwischen Ursache und Wirkung gibt es kein geringeres Übel, für das man sich entscheiden könnte. Solange eine »dritte Kraft«, die wirklich unabhängig von den konkurrierenden nationalen oder imperialen politischen Konstellationen agiert, nicht in Sicht ist - oder nur als Multitude halluziniert wird -, solange kein neues revolutionäres Subjekt gefunden ist, als Ersatz für das der Linken nicht erst nach dem Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus abhanden gekommene Proletariat, sollte mit den immer noch zaghaften Regungen des Widerstands etwas fairer umgesprungen werden.

Eine Ideologiekritik an bedenklichen Prämissen mancher »Antikapitalisten« ist zwar notwendig, wenn diese aber in die reale Parteinahme für den Krieg und für die bestehenden Verhältnisse umschlägt, ist sie nicht nur »verkürzt«, sondern kontraproduktiv.