»Sold out« thematisiert afrikanische Fußballer in Europa

In der Gosse der Bosse

Viele junge afrikanische Fußballer träumen von einer Profikarriere in Europa, viele Klubs und Spielervermittler versprechen sich eine Menge Geld. Für die meisten afrikanischen Nachwuchskicker wird es mit der Karriere allerdings nichts.

Dass sich Fußball und Kriminalgeschichten nicht zwangsläufig ausschließen, erfuhren die Fernsehzuschauer in der Jubiläumsfolge des »Tatort« am Pfingstmontag. Die simple Geschichte handelte davon, dass am Tag vor dem entscheidenden Spiel des fiktiven Fußballklubs FC Bremen zum Aufstieg aus der Regionalliga der Vereinstrainer tot in der Dusche liegt. Als Hauptverdächtiger wird zunächst ein junger schwarzer Spieler ausgemacht, schließlich aber treten allerhand windige Gestalten auf: Spielervermittler etwa, die vom Verkauf junger Talente aus Sierra Leone leben.

So weit ist die Fiktion von der Wirklichkeit nicht entfernt. Zumindest was den alltäglichen Umgang mit jungen afrikanischen Fußballtalenten in Europa betrifft. Da ist zum Beispiel Charles, er ist 22 und lebt derzeit in Belgien von der Wohlfahrt. Der Nigerianer kam vor knapp zweieinhalb Jahren auf Drängen eines belgischen Spielervermittlers, der ihm den großen internationalen Durchbruch versprach. Das junge Talent, das immerhin schon einmal für die nigerianische Nationalmannschaft nominiert war, reiste gutgläubig nach Europa.

Bereits nach wenigen Wochen war sein großer Traum jedoch vorbei. Die Aufenthaltserlaubnis lief nach drei Monaten ab, weder der vermeintliche Manager noch ein Klub wollten etwas von einem Vertrag wissen. Charles landete auf der Straße, ohne Geld, ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung und ohne die Chance, Fußball zu spielen.

Die Geschichte von Charles ist ein Schicksal, das in der Dokumentation »Sold out - From Street to Stadium« des austrobritischen Filmemachers John Buche erzählt wird. Mehr als ein Jahr lang recherchierte er in Ghana, Sierra Leone, Nigeria und Kamerun. Dort nämlich gibt es für viele Jungen nur einen Weg zu Geld und Ansehen, und er führt über den Fußballplatz. Gezielt suchen in diesen Ländern Talentscouts im Auftrag europäischer Vereine nach »rohen Diamanten«, wie es einer der Späher ausdrückt.

Mit ansehnlichem Erfolg. Nach Recherchen Buches warten allein in Italien rund 2 500 Spieler aus afrikanischen Staaten auf ihren sportlichen Durchbruch und oft auch auf die Legalisierung durch die Behörden. In Belgien sind es 500, in der Türkei 200 bis 300 und in Deutschland ebenfalls mehrere Hundert.

Belgien gilt wegen seiner verhältnismäßig liberalen Einwanderungsgesetze als wichtiges Land für den Handel mit Menschen. Das weiß auch der 16jährige Monday Omo. Mit den ewig gleichen Versprechungen lockte der belgische Spielervermittler Bart Debryne das Nachwuchstalent aus Ghana nach Gent. Nicht ohne vorher das Alter von Monday auf 18 Jahre schätzen zu lassen, denn so alt müssen afrikanische Spieler nach dem Fifa-Reglement sein, um einen Vertrag unterzeichnen zu dürfen.

Und so kickte Monday zunächst 29 Spiele lang für einen Regionalklub, ohne dafür bezahlt zu werden. Sein Traum endete in einem Genter Heim, das eigens für minderjährige afrikanische Fußballtalente wie ihn eingerichtet wurde. »Nur 20 Prozent der Spielervermittler sind seriös«, sagt auch der Präsident des FC Bayern, Franz Beckenbauer, in »Sold out«. Nur in den seltensten Fällen gelinge die Traumkarriere in Europa.

Eine der wenigen Ausnahmen ist Samuel Kuffour. In seiner Jugend kickte er für den ghanesischen Klub King Faisal. Durch einen Spielervermittler kam er zunächst nach Italien und gewann schließlich mit Bayern München sogar in der Champions League. Noch heute zeugt der »Kuffour Express«, ein klappriger Spielerbus, der mit dem Erlös aus demVerkauf Kuffours angeschafft wurde, vom finanziellen Talent der Clubführung. Heute beläuft sich der Marktwert des Stars auf mehrere Millionen Euro.

Spieler, besonders aus Afrika, sind schon länger zum Spekulationsobjekt europäischer Teams geworden. So haben viele Vereine in Afrika eigene Fußballschulen errichtet, die sportliche Fähigkeiten voranbringen sollen, aber auch eine gewisse Allgemeinbildung garantieren. Eine dieser Schulen an der Küste Ghanas wird vom niederländischen Erstligisten Feyenoord Rotterdam betrieben. Die »Akademie« will die Schüler auf europäische Verhältnisse vorbereiten.

Rund 400 000 Euro kostet der Schulbetrieb - ein zu vernachlässigender Betrag, denn die Rechte an den Fußballkids behält Feyenoord Rotterdam natürlich. Und wenn es auch nur ein Zögling in einen europäischen Verein schafft, sind die Kosten für ein ganzes Jahr gedeckt. Selbst der in Finanzangelegenheiten nicht immer begabte Fifa-Präsident Sepp Blatter wird da politisch sehr korrekt: »Die haben die Rechte an den Spielern. Das könnte man auch Neokolonialismus oder Sklaverei nennen.« Viel tut die Fifa jedoch nicht gegen diese Umtriebe. »Die Fifa kann sich nicht um alle Details kümmern«, sagt Franz Beckenbauer im Film.

Tatsächlich hat das Fußballspiel koloniale Ursprünge. Besonders die Briten versuchten, die Einwohner in ihren Kolonien mit dem seltsamen Spiel zu domestizieren. 1903 entstand an der Küste Ghanas der erste afrikanische Fußballverein, natürlich unter kolonialer Anleitung und nicht ohne Hintergedanken. Immerhin glaubten die ehemaligen Kolonialherren den »neuen Mitbürgern« mittels Teamsport westliche Werte wie Disziplin und Teamgeist beibringen zu können.

Der erste Afrikaner erhielt bereits 1889 in England einen Profivertrag. »Othello« Wharton, wie der Profisportler genannt wurde, war ein sportliches Multitalent. Er spielte Cricket und erreichte Bestzeiten über 100 Yards. Wharton starb dennoch völlig verarmt und wurde schnell vergessen.

Obwohl die Zeiten, in denen barfüßige afrikanische Teams durch Europa tourten, längst der Vergangenheit angehören, ist gerade beim Fußball das Zeitalter der Kolonialisierung noch lange nicht vorbei. Auch wenn bei der kommenden Weltmeisterschaft im Juni dieses Jahres mit Kamerun zum ersten Mal ein afrikanisches Team realistische Titelchancen hat, bleibt das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bestehen.

Deshalb wird wohl auch Faruk, ein 15jähriger Ghanaer, weiter von seiner sportlichen Karriere träumen. Täglich steht der Junge um fünf Uhr morgens auf, um eine Stunde mit dem Rad zum Fußballplatz zu fahren. Faruk gehört zu den besten Spielern der Jugend-Mannschaft »Mighty Jets« und wird wohl zur Aufbesserung der Vereinskasse beitragen können. Der Klub hat die Rechte an dem Jungen, und wenn er 18 Jahre alt und nach wie vor ein begnadeter Fußballer ist, wird er an einen europäischen Klub verkauft.

»Sold out - from Street to Stadium« (A 2001). R: John Buche. In Österreich bereits angelaufen