Matthew Herberts House

Hier knistert die 'Sun'

Der britische House-Musiker Herbert bringt mit seinem neuen Projekt Radioboy die beschissenen Verhältnisse zum Klingen.

Wer in der Blütezeit von Rave und Clubhedonismus in die möglichst ausufernden House-Wellen mit »Poppers und Geschrei« (Westbam) eintauchte, kennt sie, die nicht enden wollende ekstatische Entrückung. Die Körperfunktionen waren unwichtig, man verspürte höchstens noch das Brennen der Nasenhöhlen. Nacht für Nacht.

Dann schien die Party erstmal vorbei zu sein, die große Clubeuphorie flaute ab. Doch plötzlich stimmten auch die hedonistischen Subkulturzirkel ihr »No Logo«-Geschrei an, und erstaunlicherweise harmonisierte es prächtig mit dem seligen Pathos des Clublebens. »Back to Politics!« war plötzlich wieder angesagt. House-Produzenten wie Dan Bell, Theo Parrish und Morgan Geist reagierten darauf, äußerten sich politisch und fühlten sich gut dabei.

Für den englischen House-Produzenten Matthew Herbert aber sollte eine politische Leidensgeschichte beginnen. Denn er entdeckte urplötzlich eine von Sterilität und Plastizität überzogene Erdoberfläche, die er fast zwanghaft zur Zielscheibe seiner Agitation erwählen musste. Für ihn erschloss sich nun also eine Welt, die es wagt, Rotwein in Tetrapacks zu verbannen und McDonald's-Produkte zu konsumieren. Wegen ein paar Fritten blieb bei Matthew Herbert, dem wackeren Helden unserer Geschichte, nur noch ein Hauch von der Euphorie übrig, die man früher bei ihm spüren konnte.

Seit man denken kann, bastelt er an einer eigenen ästhetischen Geschichtsschreibung von House. Doch erst mit dem 1998 erschienenen Album »Around The House« konnte Herbert mit komprimierten und reduzierten Soundstrukturen dieselben Effekte erzielen, die so richtig fette und satte Disco-House-Tracks auszeichnen, ohne deren immergleiche Dramaturgie zu kopieren.

Die Zeit des Strictly Rhythm-Taktschlags - lange Zeit bestimmten die Tracks des US-Labels den Status quo von House - schien endgültig vorbei zu sein. Dennoch konnte diese britische Variante minimaler House-Musik Matthew Herbert und der an seinen Produktionen entscheidend beteiligten Dani Siciliano niemals housetypischen Glamour verleihen. Auch ein Disco-, R&B- oder Retro-Popduo-Kick wie bei Aretha Franklin meets George Michael stellte sich nicht ein.

Was genau unterscheidet Herbert von anderen erfolgreichen House-Produzenten wie Nick Holder oder Theo Parrish? Vor allem seine Vorliebe für Didaktik. All die anderen schreiben nicht wie Herbert Manifeste über die Ethik des Samplens, empfehlen ihren Fans nicht Naomi Kleins »No Logo« oder Don De Lillos »Underworld« als Lektüre und inszenieren kein slickes neobourgeoises Familienleben vor den Kameras. Herbert hat eben eine Mission, und um sie zu erfüllen, ist er bereit, alles zu tun.

In dem zurzeit am stärksten forcierten Projekt versucht er wie nie zuvor, politisch zu sein, und bezieht sich dabei vor allem auf John Cage, der forderte, die Welt selbst zum Klingen zu bringen. Herbert will aber nicht nur das, er möchte sie verändern. Zunächst samplete er nur die Geräusche aus dem Radio, sein Radioboy-Projekt nahm eine Form an.

Diese Tracks waren jedoch so überzeugend, dass sie sogar DJ-Ikonen wie Sven Väth und Westbam spielten. Wenn sich deutsche Kids auf solche Skurrilitäten einlassen können, ist der Beweis erbracht, dass das Projekt ausbaufähig sein könnte, muss sich Herbert nun gedacht haben. Und startet als Radioboy jetzt erst so richtig durch.

Auf seiner neuesten Platte »The Mechanics of Destruction« zapft jeder einzelne Track eine andere Soundquelle aus dem Grundrauschen des spätkapitalistischen Alltags an. Wie klingen eigentlich Mc Donald's, GM Food, Gap oder Hollywood? Herbert aka Radioboy hat genau hingehört. Er hat die Produkte dieser Firmen vor dem Mikro geschüttelt oder zerrupft und die dabei entstandenen Geräusche am Sampler zu schroffen Techno-Improvisationshymnen orchestriert. So klingt er, der Kapitalismus.

Auf der Website zu seinem neuen Projekt ist genau nachzulesen, welches Material als Samplequelle benutzt wurde. Im Falle des Tracks »Rupert Murdoch« handelt es sich etwa um das Knistern der Sun, allein schon deswegen, weil die Sunday Times anscheinend keine so guten Geräusche erzeugte.

Herbert erklärt, es gäbe zwei Modi des Politischen: etwas anderes als das Bestehende zu erfinden und Kritik zu üben. Radioboy versucht beides. So subtil seine akustischen Transformationsprozesse der verdinglichten kapitalistischen Realität auch klingen mögen, so einfach und pauschal ist jedoch seine Analyse und Kritik ökonomischer und politischer Macht. Herbert macht sich zwar auf zum akustischen Beutezug in den spätkapitalistischen Konsumzonen, verarbeitet das Erworbene aber dann doch nur privat in seinem Studio weiter.

Wie jedoch anders mit den Orten des Konsums umgegangen werden kann und welche anderen Praktiken des Alltags möglich sind, bleibt offen. So konkret das Ausgangsmaterial ist, so wenig konkret wirken die daraus gewonnenen Tracks. Wie man aus einem beschissenen, unerträglichen Ort wie der Shopping Mall um die Ecke eine andere, schönere und geilere Realität erschaffen kann, auf diese Frage weiß auch Radioboy keine Antwort.

Es ist nur konsequent, dass man Herberts Musik nicht kaufen kann. Sie kann lediglich als MP3 von der Website heruntergeladen oder gegen die Einsendung eines Rückumschlags umsonst bestellt werden.

Herberts Remixe - Secondhand Sounds - Peacefrog / Zomba
Herbert with Dani - »Around the House« wiederveröffentlicht - K7/ Zombat

Radioboy - The Mechanics of Destruction - kann unter www.themechanicsofdestruction.org heruntergeladen werden

Herberts Homepage: www.magicandaccident.com