Die Gewerkschaften und die Tarifverhandlungen

Sie beißen nicht

Kommt es während der Fußballweltmeisterschaft zum Druckerstreik? Wahrscheinlich nicht. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) hat zwar das Verfahren zur Urabstimmung eingeleitet. Doch nach dem Abbruch der sechsten Verhandlungsrunde und nach dem Urabstimmungsbeschluss der Tarifkommission wurde ein neuer Verhandlungstermin vereinbart.

Das ist ziemlich ungewöhnlich. Doch Kuriositäten gab es auch schon während der Verhandlungen. Wie in fast allen Branchen fordert Verdi für die 220 000 Beschäftigten in der Druckindustrie 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt. Die Schmerzgrenze liege bei 3,6 Prozent, war dann nach der fünften Verhandlung zu hören. Eine Harakiri-Strategie: Bei laufenden Verhandlungen wird öffentlich gesagt, wie hoch ein möglicher Abschluss sein kann. Das macht die Gewerkschaft nur noch leichter erpressbar, als sie es ohnehin schon ist.

Und damit nicht genug. In der sechsten Runde war von Verdi zu hören, bei 3,4 Prozent könne es zum Abschluss kommen. Die Gewerkschaft handelt sich selbst nach unten, das ist eigentlich unglaublich und verunsichert nur die Mitglieder.

Zugegeben, ein Phantast war, wer annahm, in diesem Jahr gebe es für die abhängig Beschäftigten einen großen Erfolg zu verzeichnen. Zu Recht sagt der künftige DGB-Vorsitzende Michael Sommer, die Gewerkschaften müssten die Meinungshoheit in ökonomischen Fragen von den Unternehmern zurückerobern. Denn die Propaganda der Gegenseite zeitigt ihre Wirkung, fast überall ist zu vernehmen, dass die Zeit für kräftige Tariferhöhungen nicht reif sei. Wird das den Menschen lange genug eingebläut, dann glauben sie es auch. Für die Unternehmer und die Regierung kommen Gewerkschaftsforderungen immer zur Unzeit und passen nie zur jeweiligen politischen oder wirtschaftlichen Lage.

Tariffragen sind Machtfragen, lautet eine alte Gewerkschaftserkenntnis. Was am Verhandlungstisch nicht möglich ist, muss auf der Straße erkämpft werden. Der IG Metall ist es immerhin gelungen, die Basis zu mobilisieren. In lausigen Zeiten ist das schon etwas. Doch jetzt hat die IG Metall ein Problem. Das Ergebnis der zweiten Urabstimmung zeigt: Nur jeder zweite Metaller in Baden-Württemberg ist mit dem Ergebnis zufrieden. Das verwundert kaum. Eine Vier vor dem Komma sollte es unbedingt sein. Herausgekommen aber sind zwei Monate ohne Lohnerhöhung, für zwölf Monate vier Prozent mehr Lohn und Gehalt und für den Rest 3,1 Prozent. Über die gesamte Laufzeit des Tarifvertrags gerechnet, also bis zum 31. Dezember 2003, sind das nur 3,5 Prozent.

Dabei hätten vier Prozent mehr Lohn lediglich die Inflationsrate und die Produktivitätsentwicklung ausgeglichen. Um zumindest teilweise die realen Lohnverluste der vergangenen Jahre wettzumachen, hätte es noch einer Umverteilungskomponente bedurft. Nun aber geht der Reallohnverlust eineinhalb Jahre lang weiter.

Des Kanzlers und der Wirtschaft liebste Gewerkschaft, die IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE), gab mit einer Forderung nach 3,6 Prozent mehr Lohn die Marge und somit auch die »wirtschaftliche Vernunft« vor. »Für uns kann das nicht die Messlatte sein«, tönte Klaus Zwickel, Vorsitzender der IG Metall.

Warum aber war dann der Konflikt, kaum dass die Streikmaschine anlief, so schnell beendet? Hat womöglich der Kanzler ein Machtwort gesprochen? Tatsache ist, dass die IG Metall ihre Kraft nicht voll eingesetzt hat. Womöglich folgt nun Verdi diesem schlechten Beispiel.

Doch wer die Zähne zeigt, muss auch beißen! Damit die Gewerkschaften in der nächsten Tarifrunde nicht gleich wieder einknicken, ist es dringend notwendig, der publizistischen Übermacht der Unternehmer endlich etwas entgegenzusetzen.