Wahlen in Algerien

Die Alten sind zurück

Am deutlichsten war die Ablehnung in der aufrührerischen Kabylei. »Nein zu den Wahlen der Schande«, lautete hier die Parole, und der von den Aktivisten der Protestbewegung angekündigte Boykott (Jungle World, 23/02) wurde erfolgreich durchgeführt. Doch auch in anderen Regionen Algeriens bleib die Mehrheit der 18 Millionen Wahlberechtigten zu Hause.

Nur 46 Prozent wollten am Donnerstag der vergangenen Woche über die Zusammensetzung des Parlaments abstimmen, in der Hauptstadt Algier waren es knapp 32 Prozent. Die algerische Tageszeitung Liberté bezeichnete diese Abstinenz als »Ohrfeige« für die Regierung, »Urnen für nichts« überschrieb Le Matin seinen Kommentar.

Zudem ging es vielen allein darum, einen Stempel auf ihrer Wählerkarte vorweisen zu können. Unter der Einparteienherrschaft des FLN (Nationale Befreiungsfront) von 1962 bis 1988 war ein solcher Stempel von großer Bedeutung bei Behördengängen, zum Beispiel um einen Pass zu erhalten. Das ist zwar seit dem Zusammenbruch der FLN-Diktatur nicht mehr so. Doch viele befürchten, diese Liberalisierung könnte rückgängig gemacht werden und konstatieren »die Rückkehr der Alten«. Daher könne eines Tages ein solcher Stempel wieder von Vorteil sein.

Tatsächlich sind Teile der alten Oligarchie seit dem Amtsantritt von Präsident Abdelaziz Bouteflika im Jahr 1999 wieder an die Macht zurückgekehrt. Der Sieg der früheren Staatspartei, die am Donnerstag 35,5 Prozent der Stimmen erhielt, bestätigt diesen Eindruck. Das geltende Mehrheitswahlrecht verschafft dem FLN im Parlament 199 von 389 Sitzen. Dieser Erfolg ging auf Kosten des RND, der 1995 unter Präsident Liamine Zéroual vom FLN abgespalten wurde, um eine neue Staatspartei zu formen.

Die meisten deutschen und viele französische Beobachter hatten Erfolge der Islamisten prophezeit. Doch sie haben an Boden verloren, der Wahlerfolg des Fis (Islamische Rettungsfront) vom Dezember 1991 hat sich nicht wiederholt. Die Ergebnisse spiegeln durchaus das reale Gewicht des islamistischen Blocks in der algerischen Gesellschaft wider. Die illegale Islamistenbewegung hatte diesmal zu einer Beteiligung an den Wahlen aufgerufen, denn eine Massenbewegung kann nicht über Jahrzehnte der politischen Bühne fernbleiben, ohne dass sich ihre Anhänger zerstreuen. Die Reste des 1992 verbotenen Fis und einige ehemalige Führer bewaffneter Islamistengruppen hatten zur Wahl des MRN aufgerufen, der Nationalen Reformbewegung des Predigers Sheikh Djaballah.

Bisher war der MRN die kleinste der drei legalen islamistischen Parteien. Die dem verbotenen FIS näher stehende Organisation war diesmal jedoch erfolgreicher als MSP/Hamas und En-Nahda (Wiedergeburt). Diese beiden »moderaten« Islamistenparteien waren seit 1997 an der Regierung beteiligt und hatten das soziale Desaster mit verwaltet. Nunmehr ist der MRN mit zehn Prozent zur stärksten Partei im islamistischen Block geworden, der insgesamt auf 21 Prozent der Stimmen kommt.

Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass die Ergebnisse durch Wahlbetrug in größerem Ausmaß beeinflusst wurden. Das Regime hatte Manipulationen überhaupt nicht nötig. Die Ergebnisse erklären sich vor allem durch den allgemeinen Eindruck, ohnehin werde keine der Parteien etwas an den gravierenden sozialen Problemen ändern. Also stimmte man lieber für jene Politiker, die man kennt.

In allen Regionen des Landes kommt es seit einem Jahr immer wieder zu sozialen Riots und Hungerrevolten. Für eine große Mehrheit der Algerier ist der politische Islamismus keine Alternative mehr. Nur ist bisher noch kein anderes gesellschaftliches Projekt an seine Stelle getreten.