Solidarität mit Israel?

Ganz oder gar nicht

Mit Israel solidarisch zu sein bedeutet auch, den Zionismus zu verteidigen. Mit Identifikation hat das nichts zu tun.

Solidarität mit Israel« lautet das Motto, unter dem sich seit einiger Zeit jene versammeln, die der Intifada und ihren UnterstützerInnen Kontra geben. Was dieses Motto jedoch genau bedeuten soll, darüber herrscht alles andere als Klarheit. »Versteht man Solidarität mit Israel als Solidarität mit den Opfern, so verbietet sich jede Identifikation mit Israel und dem Zionismus«, erklärte Stefan Vogt. »Enthält sich Solidarität mit Israel der Identifikation, dann ist sie nicht nur in der Lage, die Politik der israelischen Regierung zu kritisieren, sondern sie kann auch die palästinensischen Opfer einbeziehen«, heißt es in seinem Beitrag weiter. Identifikationen sind abzulehnen, weil sie die Reflexion verhindern. Hier dürfte kein Dissens bestehen. Was aber heißt Solidarität mit Israel?

Stefan Vogt will den Solidaritätsbegriff auf die Opfer - jüdische wie palästinensische - angewandt wissen. Kritisiert werden soll eine Politik, die Opfer auf beiden Seiten produziert, und unterstützt werden sollen jene Kräfte, die in der Lage sind, diese Opfer zu vermeiden.

Selbstverständlich ist das Leiden von Menschen zu minimieren und im optimalen Fall ganz abzuschaffen. Die Empathie denjenigen gegenüber, die Opfer dieser Verhältnisse sind, ist eine Grundbedingung jeglicher Emanzipation. So weit, so richtig, und im vorliegenden Fall: so nichtssagend. Soll Solidarität mit Israel einen politischen Standpunkt zum Nahostkonflikt bezeichnen, dann muss damit mehr verbunden sein.

Richtig ist, dass sich die Linke darüber im Klaren sein muss, im Fall Israel nicht mit einer emanzipatorischen Kraft solidarisch zu sein. In der Tat sind Versuche zurückzuweisen, Israel geschichtsphilosophisch aufzupolieren oder als militärisch ausgerüstete Antifa zu interpretieren. Die auf der Konferenz »Es geht um Israel« in Berlin beschlossene Sammelaktion für die israelische Armee (IDF) ist zu kritisieren, weil sie suggeriert, es gäbe eine militärische Lösung des Konflikts. Um Missverständnisse zu vermeiden: Nicht die Legitimität von Antiterroraktionen der IDF soll bestritten, sondern die Fixierung auf das Militärische innerhalb einer notwendigen Solidarisierung mit Israel kritisiert werden.

Allerdings bedeutet Solidarität mit Israel mehr, als eine abstrakte Solidarisierung mit »den Opfern, die die Aufklärung gefordert hat«. In einem ganz grundsätzlichen Sinn bedeutet diese Solidarität, für den jüdischen Staat gegen alle Angriffe von außen einzustehen.

Der Zionismus, d.h. die Ideologie der jüdischen Nationalbewegung, ist zwar die falsche Antwort auf den Antisemitismus, denn er hat die Schaffung eines weiteren bürgerlichen Staates zum Inhalt. Die richtige Antwort wäre immer noch die Revolution, die eine befreite Gesellschaft hervorbringt, die Staat, Nation und Kapital ein für alle Mal ein Ende setzt und damit die Bedingungen aufhebt, die den Antisemitismus als objektive Ideologie der bürgerlichen Gesellschaft fortwährend aus sich heraus produzieren. Zugleich jedoch ist der Zionismus die dem augenblicklichen Zustand der Welt einzig angemessene Antwort.

Eine so verstandene Solidarität widersetzt sich jeder Logik der Identifikation und steht für den Zionismus und seinen Staat nicht trotz, sondern gerade wegen deren fundamentaler Paradoxien und der damit verbundenen Widersprüche ein. Gerade weil man StaatskritikerIn ist, gilt es, für den jüdischen Staat Partei zu ergreifen.

Die Verteidigung Israels begründet sich auf diese Weise nicht positiv - wegen eines vermeintlichen Selbstbestimmungsrechts des jüdischen Volkes -, sondern rein negativ, aus der angedrohten Vernichtung, die bereits einmal Wirklichkeit wurde. Für eine aufgeklärte Linke geht es nicht um die Etablierung »guter Staaten«, sondern um die Abschaffung von Staatlichkeit überhaupt. Solange dies nicht in Sicht ist, bleibt ein jüdischer Staat notwendig und ist grundsätzlich zu verteidigen. Das bleibt auch dann richtig, wenn Teile der israelischen Linken anderer Auffassung sind.

Zionismuskritik von dieser Seite ist allerdings vom Antizionismus, wie er von arabischen Staaten, der Uno oder nicht jüdischen Linken in der ganzen Welt vertreten wird, zu unterscheiden. Dass israelische Linke gegen die nationalen Mythen Israels zu Felde ziehen, ist jedoch kein Argument gegen die grundsätzliche Notwendigkeit eines jüdischen Staates.

So wenig eine aufgeklärte Linke wegen eines vermeintlichen »Selbstbestimmungsrechts des jüdischen Volkes« den Zionismus verteidigt, so wenig kann ihr das »palästinensische Volk« am Herzen liegen. Dieses existiert in dem Maße, in dem es eine Bewegung gibt, die sich als »Volk« unter einem entsprechenden Souverän subsumieren lassen will. Für Linke können »Völker«, die ein Recht auf Selbstbestimmung einklagen, nur als Drohung an alle verstanden werden, die sich diesem Kollektiv nicht unterordnen wollen oder können. Solidarität kann hier tatsächlich nur den Opfern eines solchen Projekts gelten. Das Für und Wider eines palästinensischen Staates sollte sich für Linke ausschließlich aus seiner potenziellen Funktion für die Stabilität Israels ergeben.

Das bedeutet auch, gegen das so genannte Rückkehrrecht zu opponieren. Sicher muss für eine friedliche Lösung des Konflikts mit der arabischen Welt eine für beide Seiten akzeptable Form gefunden werden, mit diesem Problem umzugehen. Es wäre jedoch das Ende des zionistischen Staates, würden 3,5 Millionen PalästinenserInnen das Recht erhalten, sich in Israel niederzulassen.

Vor allem aber bedeutet »Solidarität mit Israel« anzuerkennen, dass der jüdische Staat sich in einer realen (und keineswegs eingebildeten) Bedrohungslage befindet, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Für eine Gesellschaft, die sich seit Jahren regelmäßig - und in den letzten 18 Monaten wöchentlich bis täglich - mit einem gnadenlosen Terror gegen die Bevölkerung konfrontiert sieht, ist eher der Umstand erklärungsbedürftig, warum dort nicht längst der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, als die Tatsache, dass das Militär einen kompromisslosen Krieg führt.

Der Terror der Selbstmordkommandos lässt sich dabei nicht einfach auf die israelische Besatzung zurückführen, sondern hat längst eine Eigendynamik entwickelt, in der der Antisemitismus eine wichtige Rolle spielt. Er ist jedoch eine Ersatzhandlung, d.h. er verweist nicht auf das, was Jüdinnen und Juden tun, sondern auf die bürgerliche Gesellschaft und ihre Verarbeitung im Bewusstsein der Einzelnen.

Die antijüdische Agitation mag zu Beginn des letzten Jahrhunderts zunächst eine strategische Rolle innerhalb des Konflikts zwischen dem erwachenden arabischen Nationalismus und dem als kolonialistisch wahrgenommenen zionistischen Siedlungsprojekt gespielt haben. Längst jedoch hat sie sich verselbständigt, wobei der Zionismus als Chiffre für das Böse fungiert. Die konkrete Politik Israels ist in diesem Zusammenhang nur noch ein Anlass, keineswegs der Grund, um in Aktion zu treten. Solch universeller Antizionismus sieht eine umfassende zionistische Verschwörung am Werk, auf die alle negativen Ereignisse zurückgeführt werden. Antisemitismus dieser Provenienz findet sich in palästinensischen Schulbüchern, wird in Moscheen gepredigt und von der arabischen Presse in Millionenauflage gedruckt.

Die Schwierigkeit besteht darin, das Verhältnis von antisemitischem Wahn und den materiellen Hintergründen des Konflikts zu bestimmen. Der Hass auf Israel in den besetzten Gebieten lässt sich nicht auf Antisemitismus reduzieren, ist die Erfahrung der Besatzung doch alles andere als wahnhaft. Es gilt, diese Aporie auszuhalten und sie nicht zugunsten einer trügerischen Eindeutigkeit aufzulösen, die das Bedürfnis nach Überschaubarkeit bedient, der Komplexität des Gegenstandes aber nicht gerecht wird.

Das gilt mehr noch für jene, die bis heute von der Genese und dem Wirken antisemitischer Ideologie nichts verstanden haben und den Antisemitismus als verständliche Reaktion auf die Besatzung rationalisieren. Sie tragen nur dazu bei, antisemitische Ressentiments zu rehabilitieren.

Vor 35 Jahren schrieb Jean Améry über die linke Israelfeindschaft im Zuge des Sechs-Tage-Krieges: »Der Augenblick einer Revision und neuen geistigen Selbstbestreitung der Linken ist gekommen. (...) Es gibt keinen ehrbaren Antisemitismus.« Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen.