Vorbeitungen in Deutschland auf das Europäische Sozialforum

Italienische Reise

In Hannover bereiteten sich deutsche Gruppen auf das Europäische Sozialforum in Florenz vor. Dort sollen die sozialen Bewegungen auf dem Kontinent zusammengeführt werden.

Für »Parteien, die für den Krieg sind«, werde kein Platz sein beim ersten Europäischen Sozialforum, das Anfang November in Florenz stattfinden wird. Das betonte Hugo Braun, der Vertreter des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Ansonsten war man sich in Hannover, wo am vorletzten Wochenende eine Arbeitsgruppe zusammentraf, die den deutschen Beitrag zum Forum vorbereiten soll, weitgehend einig: Ein möglichst breites gesellschaftliches Bündnis wird angestrebt.

Zwar wird über die gemeinsamen Absichten noch zu reden sein. Aber an große inhaltliche Debatten trauten sich die circa 60 Teilnehmer des Treffens noch nicht heran. Die Vertreter von Attac, PDS, Linksruck, Urgewald, Fels, People's Global Action und der Bundeskoordination Internationalismus (Buko) mussten sich erst einmal kennen lernen und allerlei Organisatorisches besprechen.

In Florenz wollen die europäischen Vertreter der globalisierungskritischen Bewegung auf dem alten Kontinent das Hochgefühl wieder beleben, das Anfang Februar in Brasilien herrschte. Sven Giegold, Sprecher der deutschen Sektion von Attac, spürte seinerzeit auf der Demonstration mit 50 000 Teilnehmern in Porto Alegre eine »Energie«, die er von den Protesten auf der Nordhalbkugel nicht kenne: »Man merkt, dass die Leute hier noch viel stärker von den negativen Auswirkungen der Globalisierung betroffen sind.«

Die Bewegung speist ihre Wut und damit auch ihre Kraft aus dem globalen Strukturwandel nach dem Kollaps der bipolaren Weltordnung mit seinen dramatischen Verschlechterungen im sozialen und ökologischen Bereich. Das reichste Fünftel der Weltbevölkerung besitzt heute 74mal mehr als das ärmste Fünftel, 1990 lag das Verhältnis noch bei 60 zu eins und 1960 bei 30 zu eins. Die drei reichsten Menschen der Erde besitzen mehr Vermögen als die Bruttoinlandsprodukte der 49 ärmsten Länder zusammengenommen. 800 Millionen Menschen hungern. Das Entsetzen über diese Zustände bewegte fast 100 000 Menschen aus mehr als 3 000 linken Basisgruppen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zur Teilnahme am zweiten Weltsozialforum.

Die Prinzipien von Porto Alegre sollen auch für den europäischen Ableger bindend sein und sind deshalb wohlweislich vage gehalten. Das Forum sei »ein offener Raum der Begegnung« für verschiedene »Strukturen und Bewegungen der Zivilgesellschaft, die sich dem Neoliberalismus und der Beherrschung der Welt durch das Kapital und jede Form des Imperialismus widersetzen«, heißt es in der dort verfassten Charta.

Nun hält so mancher die Idee für ganz sympathisch, jenseits des üblichen Sektierertums »Reformer« und »Revolutionäre« am großen runden Tisch zu versammeln. Zumal nach der Grundsatzerklärung sogar der Versuch geächtet wird, dem Forum eine einheitliche politische Linie zu verpassen, die per Mehrheitsvotum hergestellt werden müsste. In der Praxis wird das kaum durchzuhalten sein. Schon in Porto Alegre tauchten Klagen auf, Attac dominiere mit seiner großen Mitgliederzahl und der mit Abstand größten Medienwirkung das Forum. Auch weitere Konflikte zeichnen sich innerhalb der deutschen Arbeitsgruppe bereits ab.

In einem Positionspapier fordert die Bundeskoordination Internationalismus (Buko) beispielsweise, dass die »internationale Protestbewegung ihr Verhältnis zum Staat grundlegend überdenkt«. Bisher dominiere in den verschiedenen Nichtregierungsorganisationen die Tendenz zu »außerparlamentarischer Sozialdemokratie«, die mit einem »konsens- und dialogorientierten Politikverständnis« auf »staatsinterventionistische Maßnahmen« setze, »um den angeblich über die Ufer getretenen Weltmarkt wieder zähmen zu können«. Die Buko arbeitet trotzdem weiter mit Attac und anderen zusammen, weil man gegenwärtig an der »Bedeutung der Strömung« nicht vorbeikomme. Sie liege »darin, wichtige Fragen auf die Tagesordnung gesetzt und so aufbereitet zu haben, dass sie eine hohe Mobilisierungswirkung entfalten«.

Tatsächlich hat vor allem Attac seine Globalisierungskritik, die auf die Einführung der Tobinsteuer, den demokratischen Umbau der globalen Finanzarchitektur und die Schließung von Steueroasen vertraut, innerhalb nur eines Jahres von den Straßen in die Parlamente getragen. Nicht nur Abgeordnete im Bundestag, auch Vorstandsmitglieder von Daimler-Chrysler bekunden mittlerweile ihren Glauben an die Wirksamkeit dieser Maßnahmen, die verhindern könnten, dass internationale Finanzkrisen und einseitige Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds jährlich Millionen Menschen in bittere Armut stürzen.

Und wenn sogar Bundespräsident Johannes Rau Reklame für Attac macht, fühlen sich die Globalisierungskritiker zwar geschmeichelt, wie ihr Pressesprecher Felix Kolb einräumt. Gleichzeitig ist aber klar, dass dieses Lob von höchster Stelle auch gefährlich ist. Es könnte der Bewegung den Wind aus den Segeln nehmen, wo doch alle Politiker immer nur das Beste für die Welt wollen.

Attac steht am Scheideweg. »Entwicklungen sind sowohl in Richtung Radikalisierung wie in Richtung Sozialdemokratie/Lobbyismus möglich«, glaubt das Hamburger Mitglied Georg Wißmeier. Ob im weiteren Verlauf der internen Debatte »eine stärkere Pointierung in Richtung Herrschaftskritik und emanzipatorische Bewegung gelingt oder sich die Reregulierungs- und Staatsoption durchsetzt, hängt auch von der Beteiligung radikaler Linker in diesem Prozess ab«.

Wohin die Reise geht, wird sich spätestens auf dem Europäischen Sozialforum zeigen, wenn Globalisierungskritiker auf ausgesprochene Kapitalismuskritiker treffen. Auch auf solche aus Osteuropa, die in Porto Alegre stark unterrepräsentiert waren. Um ihnen die Kontaktaufnahme zu erleichtern, fand das letzte europäische Vorbereitungstreffen in Wien statt. Die italienischen Gastgeberorganisationen regten dort bereits an, in Florenz eine »Charta für Europa« zu verabschieden, »die sich als Gegenmodell zu den Verfassungsentwürfen der EU versteht«. Nach Ansicht von Hugo Braun, der auch im Juli zum nächsten Vorbereitungstreffen nach Thessaloniki reisen wird, werde das Europäische Sozialforum das Bündniss mit den Gewerkschaften suchen, die eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die neoliberale Globalisierung spielen könnten.

Da sich die internationale Protestbewegung in Florenz erstmals regional beschränkt, dürfte auch die Frage des kulturellen Protektionismus auf die Tagesordnung kommen. So sehen etwa die Kritiker des französischen Bauernführers José Bové in dessen Aktionen gegen McDonald's keinen Protest gegen ein immer stärker konsumorientiertes Freizeitverhalten, sondern einen schlichten Abwehrreflex des eigenen Kollektivs gegen das unheimliche Außen. Dass in der Charta von Porto Alegre, deren Akzeptanz von allen Teilnehmern am Sozialforum in Florenz verlangt wird, viel von »Bürgerinnen und Bürgern aller Nationen« und von der »Souveränität der Völker« die Rede ist, aber kaum von einzelnen Individuen, hat die Kritiker ohnehin schon hellhörig gemacht.