Zurück zum Schock
Die ersten Spontanreaktionen auf den Terroranschlag in New York waren oft die aufschlussreichsten. Unüberlegt, skandalös, gerade heraus oder völlig wirr wurden zumeist noch unter Schock Positionen formuliert, die letzte Fragen der Politik, Kultur und Religion verhandelten. Das Ereignis diente als Anlass zur großen Aussprache und dazu, Dinge herauszulassen, krass und drastisch zu werden, wie es einem nur zu Zeiten des Ausnahmezustands erlaubt ist.
Unter dem Titel »Kunst und Schock - Der 11. September und das Geheimnis des Anderen« zeigt das Berliner Haus am Lützowplatz nun eine Kollektion solch authentischer Reaktionen auf den großen Knall in der Gegenwartsgeschichte. Die Ausstellung, die in Kooperation mit der deutschen Ausgabe von Lettre International entstand, mischt die Werke von mehr oder weniger direkt betroffenen Künstlern aus New York - wie Robert Longo, Lawrence Weiner und Hans Haacke - mit Arbeiten von Künstlern, die das Ereignis und dessen unmittelbare Konsequenzen vor Ort nur aus dem Fernsehen kennen; so Rebecca Horn, Georg Baselitz und der kubanische Künstler Kcho. In der Ausstellung und im umfangreichen Katalog finden sich Beiträge von Toni Morrison, Jean Baudrillard, Bashir Makhoul, Susan Sontag, José Saramago, Mohsen Makhmalbaf, Jörg Immendorff und Paul Virilio.
Hans Haacke allerdings fühlte sich in dem gesteckten Rahmen überhaupt nicht wohl und sah sich gezwungen, noch im letzten Moment seinem sehr schönen Beitrag einen Text beizugeben, in dem er sich vom Titel der Ausstellung distanziert. Allerdings vermutet er, dass die Ausstellungsmacher die Worte vom geheimnisvollen Anderen nicht wirklich mit Bedacht gewählt hätten; deswegen zog er seinen Beitrag dann doch nicht zurück.
Worum geht's? Um die Antwort der Kunst auf einen Terrorakt, der sich auch und gerade als spektakuläre Bildinszenierung ins Gedächtnis brannte; um die Reaktion auf ein Verbrechen, dessen Spuren ausgerechnet in ein bilderloses Land führen. Was stellt die Kunst mit diesen Zusammenhängen an? So recht vertraut die Ausstellung ihren Bildern jedoch nicht und fügt ihnen einen umfangreichen Textkorpus bei.
Im Katalog erklärt zum Beispiel Frank Berberich von Lettre International, welche Fragestellung zu dieser Sammelaktion motivierte: »Akkumulierte Erniedrigungsgefühle können Energien freisetzen. Dieses Signal (gemeint ist das Attentat; L.E.) hat uns niemals geglaubte Möglichkeiten als dennoch möglich vor Augen geführt: die, dass es zu einem katastrophischen Zusammenprall gleichzeitiger und divergenter Formen von Zivilisation kommen könnte; dass die nach 1989 unangefochtene Entwicklung der Globalisierung an einen prekären Punkt anlangen könnte; dass deren auferlegte Kurzschlüsse mit anders gearteten Kurzschlüssen beantwortet werden könnten; dass ihre Zeitlogik beschleunigter Transformation einmal auf harte, massive Widerstände aus anderen Schichten der Zeit treffen würde. Ein Vorgeschmack auf einen ernsten Zusammenstoß tektonischer kultureller Platten?«
Kulturelle Plattentektonik, Schichten der Zeit, auferlegte Kurzschlüsse - ein Metaphernsortiment, aus dem sich jeder nach Bedarf bedienen kann. Am ehesten noch lässt sich dem Beitrag die Aussage abtrotzten, dass Europa das bessere »Wir« verkörpere.
Sentimental geht eine Vielzahl von Künstler das Thema an, das - so sagen es die Ausstellungsmacher - an die Grenzen des Darstellbaren führt. Mitra Memarzia zeigt einen toten Vogel, Miriam Kahn stellt eine Wiese mit Ziegen einer Zeichnung des World Trade Center gegenüber und nennt ihre Arbeit, die ein schlaues Spiel mit dem Gewohnten sein will, »später / früher«. Michelangelo Pistoletto hat für die Installation »love difference« einen Tisch in einen kleinen Holzkasten montiert, an dessen Seiten zwei Stühle stehen. Robert Longo zeigt eine brennende US-Flagge und fragt: »How have we helped to create this hate?« Marina Abramovic hat eine Zeichnung beigesteuert, auf der sich zwei Gesichter Yin- und Yang-artig gegenüber liegen. Das eine hat einen roten Mund, das andere nicht, eines sagt »Yes!«, eines »No!« und daneben steht: »the mystery of the other«. Jochen Gerz rechnet vor, wieviele Leute täglich an Hunger sterben.
Was sollen diese Bilder sagen? Will Abramovic andeuten, dass es sich bei dem Attentat auf das World Trade Center um das Ergebnis gescheiterter Aufklärungsversuche (mystery of the other) handelt? Will Gerz die USA für den Welthunger verantwortlich machen, will er an andere Opfer anderer Ereignisse erinnern, oder will er sagen, dass der Welthunger zurückgeschlagen hat? Oder die Opfer aufrechnen?
Salman Rushdie dagegen legt dar, dass hier nicht einfach ein paar Armutsopfer den ungleichen Kampf gegen den Verursacher des Welthungers aufgenommen haben, sondern er betont, dass hinter den Attentaten eine äußerst aggressive Ideologie steht. Viele Text- und Bildbeiträge bewegen sich jedoch irgendwo zwischen gefühltem Antiimperialismus, Revanchismus, Idyllensehnsucht oder zeugen vom Schockzustand des jeweiligen Künstlers. Die USA jedenfalls, das ist zu verstehen, haben vor allem mal richtig ordentlich eins auf die Mütze gekriegt. Wir aber, also die Ausstellungsbesucherinnen und -besucher haben mit dem, was hier Künstler aus dem Trikont und aus »dem Westen« den USA anlasten, nichts zu tun.
Insofern war es schon bemerkenswert, dass diese Ausstellung ausgerechnet von Otto Schily eröffnet wurde, der einer Regierung angehört, die sich zu »uneingeschränkter Solidarität« mit den USA verpflichtet hat. Kunst jedoch, um einmal den Kanzler zu zitieren, »darf sowas«. So rühmte Schily denn auch den kulturellen Dialog, der hier angstrebt werde, und freute sich über eine Ausstellung, die das Selbstbild der Europäer aufs Schönste bestätigt. Europa ist die Mitte, das ausgleichende Element zwischen dem zügellosen Kapitalismus der USA und der Armut und Hitzköpfigkeit der dritten Welt. Lediglich der allzu deutliche Antiamerikanismus Baudrillards entlockte Schily ein Wörtchen des Unwillens.
Einen Moment der Verstörung gab es bei der Vernissage, als ein Aktionskünstler zwei Gestalten in Burkas ins Haus führte. Mit ängstlichen Blicken folgte das Publikum den beiden. So sehr man »das Andere« auch unterstützt in seinem Kampf für das Gute, allzu nah soll es einem nicht kommen.
»Kunst und Schock - Der 11. September und das Geheimnis des Anderen«. Haus am Lützowplatz, Lützowplatz , Berlin. Bis 21. Juli