Fußball-WM: Krieg oder Vergnügen

Den Ball flach halten

Die Fußball-WM ist vorbei, und Deutschland ist nicht Weltmeister geworden. Doch hat uns das alles Spaß gemacht? Oder nervt das Gekicke nur? die redaktion ist tief gespalten

Wette gewonnen

Was mich nervt, sind die Leute, die bei internationalen Fußballturnieren behaupten, nur deshalb vor dem Fernseher abzuhängen, weil es so schön ist, die deutschen Mannschaft verlieren zu sehen. Völliger Quatsch, irgendwie sind die doch immer vorne dabei. Daher habe ich gewettet, dass die deutsche Mannschaft mindestens Platz vier belegen würde. Hohn war die Antwort, fast niemand wollte sich darauf einlassen. Man will ja kein fieser Abzocker sein, da Frauen doch keine Ahnung vom Fußball haben. Jetzt stehe ich gut da, habe eine tolle Wette gewonnen und kann nun über alle lästern, die sich jedes Spiel ansehen mussten, bis die Deutschen endlich mal verloren. kerstin eschrich

Kahn Kong

Warum die WM ein herrlicher Spaß ist? Weil ich hetero bin. Ein Sache, die nicht jedem zugute kommt. Glücklicherweise unseren Spielern, die allein aus gentechnischen Gründen auch hetero sein müssen. Kerls eben wie Kahn, dessen Geschichte tragisch ist. Alles begann damit, dass Bild mich und die andern Kerls erstmalig belog: »Wir freuen uns für unsere türkischen Freunde.« Keine deutsche Befindlichkeit befand so, und Kahn war wohl auch rechtschaffen froh, dass man nicht gegen die überlegenen Osmanen antreten musste. Stattdessen schwulte Brasilien feinst ziseliert mit dem Ball rum und seine Affinität zu diesem annihilierte das deutsche Torsteherwunder. Lustig vom Staatsapparat verkleidete Koreamenschen bejubelten das deutsche Wesen, und war ihr Ruf stets King Kahn gewesen, wurden sie nun Zeuge einer schoedsackschen Tragik, obschon kein schönes Mädchen dabei war. In jener Sekunde, da die Kugel traf, kippte Kahn wankend vornüber und stürzte. Stürzte und proll auf. Nicht die Kugel tötete ihn, sondern die Liebe hatte Khan Kong zugrunde gerichtet. Die Liebe zum Ball, den er haben musste und den er zuletzt nicht bekam. naatz (der)

No Sports

Fußball ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Und Krieg ist die Fortsetzung des Fußballs mit anderen Mitteln. Der Beweis für diese These wurde bereits 1969 erbracht, als es nach der Belästigung der honduranischen Mannschaft durch Fans in El Salvador zum Fußballkrieg zwischen beiden Staaten kam. Wäre der Armee El Salvadors auf dem Weg nach Tegucigalpa nicht das Benzin ausgegangen, würde Honduras nicht mehr existieren. Dieser Tage droht ein Krieg zwischen Nord- und Südkorea, weil einige nordkoreanische Stalinisten den dekadenten Südkoreanern ihre WM-Tore nicht gönnen.

Für jeden friedliebenden Menschen sollte das Grund genug sein, sich von diesem Spiel zu distanzieren. Krieg kann unter extremen Bedingungen notwendig sein, Fußball ist es nie. Diese Ansicht vertrat bereits Winston Churchill, übrigens auch ein Experte im Umgang mit Deutschland, das immer wieder dem Wahn verfällt, in einer der beiden Disziplinen den Rest der Welt besiegen zu können. Auf die Frage nach dem Geheimnis seines hohen Alters antwortete er: »First of all: no sports.« jörn schulz

Fieber!

Klar fragt man sich bei so einer WM, warum man eigentlich für das deutsche Team war. Schließlich wirklich nicht deshalb, weil da die begnadetsten Kicker angetreten sind, bekanntlich war ja eher das Gegenteil der Fall. Aber so ein Mitfiebern entsteht durch Identifikation. Und da kann man machen, was man will, noch so sehr das Gefüge von Nationalstaaten ablehnen und so weiter. Auch wenn man es bestimmt nicht immer gerne ist und am Deutschsein auch sonst alles scheiße findet - gegen die deutsche Mannschaft zu sein, weil sie eben deutsch ist und das Deutschsein an sich schließlich abzulehnen ist, finde ich albern.

Zu sagen, für die deutsche Mannschaft zu sein, hieße, sich auch sonst in das Deutsche als Teil einer nationalen Schicksalsgemeinschaft einzugliedern, stimmt einfach nicht. Gewonnen hätte ja nicht die große deutsche Nation, sondern eine Truppe von Kickern, von denen man die meisten genauso lächerlich findet wie diejenigen, die den Fußball tatsächlich für ihre politischen Zwecke einer nationalen Überhöhung umarmen.

Ziege, Jancker und wie sie alle heißen, man findet sie scheiße und trotzdem will man, dass sie Tore schießen. Einfach deswegen, weil man wenigstens beim Fußball wirklich keine Lust darauf hatte, sich die Frage stellen zu müssen, was an Deutschland alles so hassenswert ist. andreas hartmann

Gute Verlierer

Ende gut, alles gut: Fast versöhnlich ist meine Stimmung nach dem Finale der Kicker-WM. Zwar musste man sich anderthalb Stunden deutsches Gestolper anschauen, das im Nachhinein natürlich als großartige Leistung gewertet wird. Aber einige Bilder haben sich doch unauslöschlich eingeprägt: Etwa der grandiose Pass des bayrischen Wadenbeißers Oliver »König« Kahn vor die Füße von Ronaldo zum 1:0. Oder Gerhard Schröder auf der Tribüne - hinter sich natürlich Schwarz-Rot-Gold -, der aussah, als rechnete er jeden brasilianische Angriff unmittelbar in verlorene Wählerstimmen um. Yes - das bringt's! Und zu hören gibt's auch was: Nix »Arbeit, Kampf, Leistung, Sieg« - nein, nein: »gute Verlierer«, »trotzdem stolz auf unsere Mannschaft«, »können vollauf zufrieden sein«. Selten so gelacht! Weiter so! carlos kunze

Gotteswerk

Es gibt ihn wirklich. Gott. Nicht deshalb, weil brasilianische Kicker ihm für jedes gelungene Dribbling dankten oder weil Ronaldo, Rivaldo & Co. einen göttlichen Fußball spielten. Das tun sie zwar, aber ein hinreichender Gottesbeweis ist das nicht. Das schon: Ja gut, auch jemand anderes hätte sich eine solch geile Dramaturgie ausdenken können. Aber wer außer Gott hätte die Macht, diese Dramaturgie auch wahr werden zu lassen? Da war Oliver Kahn derart zum unbezwingbaren Garanten deutscher Siege stilisiert worden, dass man den Eindruck gewann, die Alemanen hätten ein Nachfolgemodell der V2 in ihrem Tor stehen.

Dummerweise hielt dieser Mann tatsächlich wochenlang alles, was ihm in die Quere kam. Im Spiel - aber, was heißt hier schon Spiel, in der Schlacht auf dem Rasen - brüllte Kahn seine Vorderleute zum Sieg. Dazwischen sandte er seine Botschaften an die Heimat. Sein zorniges Gebrabbel war zwar nur bei großer Anstrengung zu verstehen, aber die mit zusammengekniffenen Augen und schmerzverzerrtem Mund stets wiederholten Worte »Kampf«, »Wille« und »Sieg« begeisterten die Landsleute und lehrten die Welt das Fürchten. Am Ende begannen auch wir zu zweifeln. Und wurden mit diesem traumhaften Finish belohnt. Die Deutschen waren nicht nur die schlechtere Mannschaft.

Entscheidend ist, dass ein Fehler von Kahn, von »King Kahn«, die Niederlage verursachte. »Kahneval« eben, wie die B.Z. noch am Tag des Finales geschrieben hatte. Der kleine Makel an dieser irren Dramaturgie ist, dass sich Deutschland nun »Vizeweltmeister« nennen darf. Aber, spricht Hiob, »haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?« (Hiob 2,10). deniz yücel

Post-WM-Depri

Diese WM war ein großartiges Ereignis; wir haben viele schöne Spiele gesehen, sympathische Mannschaften und begeisterte Fans. Sie hat unseren Tag strukturiert und mit Freude erfüllt. Es war spannend und manchmal war es auch ein bisschen traurig. Dass die Italiener rausflogen war sogar sehr traurig, denn da war Pech im Spiel. Ergreifend war auch, wie Kahn ganz am Ende das Tor einfach nicht verlassen wollte. Nun sind die Spiele vorbei, eine leichte Post-WM-Depression durchquert die Psyche, und es wird Zeit, in den Urlaub zu fahren. heike runge