Die Krise in der IT-Branche

Kein Schwein ruft mehr an

Die europäische Telekommunikationsbranche befindet sich in einer schweren Krise. Mobilcom steht vor ihrer Übernahme, die Aktie der Telekom versinkt im Allzeittief.

Sicherlich ist Büdelsdorf nicht der Ort, an dem Geschichte gemacht wird. Dennoch darf sich dieser Flecken Schleswig-Holsteins der gespannten Aufmerksamkeit in Paris, Bonn und New York sicher sein. Es ist die Welt der Finanzen und der Telekommunikation, die sich für die Geschichten von Herrn und Frau Schmid interessiert. Denn Büdelsdorf ist der Sitz der Mobilcom AG, die zur Hälfte dem Ehepaar Gerhard Schmid und Sybille Schmid-Sindkram gehört. Und France Télécom hält 28,5 Prozent der Aktien.

Nun will der französische Konzern den Anteil des deutschen Ehepaars erwerben. Doch die Vorstellungen in Büdelsdorf und in Paris sind nur schwer auf einen Nenner zu bringen. Dem Ehepaar Schmid schwebt ein Preis von 22 Euro pro Aktie vor und zwar in bar. Dagegen ist dem französischen Konzern eher an einem Aktientausch gelegen. Die Pariser wollen die Aktien ihrer Tochtergesellschaft Orange gegen die Papiere der Schmids eintauschen. Dabei ist ihnen der verlangte Preis zu hoch. Gerhard Schmid aber beruft sich auf Vereinbarungen, die schon im Frühjahr dieses Jahres getroffen worden sein sollen.

»Ich sehe nichts, was den Wert des Unternehmens seither gesenkt hat«, erklärte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Was diesen Wertpapierhandel zudem spannend macht, sind die momentanen Kursbewegungen der Aktien von Mobilcom, France Télécom und Orange. Sie fallen nämlich um die Wette.

Will ein Aktionär mehr als 30 Prozent einer Gesellschaft erwerben, dann muss er den bisherigen Besitzern ein Pflichtangebot unterbreiten. Dabei sollte sich dieses Angebot, so will es die hiesige Wertpapieraufsicht, aus dem Durchschnittskurs der letzten drei Monate berechnen. Anfang Juni wären das bei der Aktie der Mobilcom 15,6 Euro gewesen, Ende Juni nur noch 12,30. Insofern spielen die Pariser auf Zeit, die gegen ihre Geschäftsfreunde im Nachbarland läuft. Doch Ende Juli muss der norddeutsche Telekommunikationsanbieter für 4,7 Millionen Euro geradestehen. So viel Geld aber hat in Büdelsdorf keiner. Mobilcom droht der Konkurs, 5 000 Arbeitsplätze könnten verloren gehen.

Gerhard Schmid hat sich mit Mobilcom verspekuliert, die Geschäftsführung ist ihm bereits aus der Hand genommen worden. »Mit dem 50jährigen Schmid tritt einer der tatkräftigsten und schillerndsten Unternehmer der letzten Jahre ab«, schreibt die Neue Züricher Zeitung. 1991 gründeten Schmid und seine Freunde die Mobilcom. Ihre Geschäftsfelder waren der Mobilfunk, das Festnetz und das Internet. Mit einer aggressiven Preispolitik jagte die Mobilcom der Deutschen Telekom AG erhebliche Marktanteile ab. 1997 war Mobilcom das erste Unternehmen, das am Neuen Markt notiert wurde. Sein Aktienkurs erreichte im März 2000 ein Allzeithoch von 210 Euro.

Zum Schlagabtausch zwischen der Deutschen Telekom und der Mobilcom kam es bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen im Jahr 2000. Schmid griff nach den Sternen, denn mit der Lizenz wollte er sich in den Besitz einer neuen Technik und einer eigenen Infrastruktur bringen. Dafür holte er die France Télécom ins Boot, um eine der sechs deutschen UMTS-Lizenzen zu einem Preis von rund acht Milliarden Euro zu ersteigern. Doch mit dem Platzen der Spekulationsblase am Neuen Markt kam es zum Streit zwischen Büdelsdorf und Paris, im Zuge des UMTS-Debakels wurden auch unlautere Geschäftspraktiken bekannt. Schmid trat zurück, und die France Télécom berief Thorsten Grenz zum neuen Vorstandssprecher.

Inzwischen läuft die Zeit auch gegen die France Télécom. Während die Krise der New Economy zunächst die wachstumsstarken, aber kapitalschwachen Dotcoms erfasste, sind seit Herbst vergangenen Jahres auch große Unternehmen dran. Bislang konnten sich die Telekommunikationskonzerne der Finanzmärkte bedienen. Wenn sie Geld brauchten, warfen sie Aktien auf den Markt oder zeichneten Anleihen. Doch wie die Versteigerungen der UMTS-Lizenzen zeigten, überschätzten sie die Zukunftschancen ihrer Technologie, die irrationale Aufbruchseuphorie trübte den Realitätssinn. Inzwischen sind an den Börsen kaum noch neue Aktienpakete abzusetzen. Der Geldfluss ist versiegt.

Die ehemaligen Käufer solcher Aktien, wie Versicherungskonzerne und Investmentgesellschaften, wollen mittlerweile ihren schwindsüchtigen Besitz loswerden. Dabei versuchen sie, wieder im Immobilien- und Anleihengeschäft unterzukommen. Obgleich der Umstieg diese Märkte vorübergehend stabilisiert, baut sich ein riesiges Problem auf. Das rückläufige Wachstum beeinträchtigt die Liquidität der Unternehmen, sie können ihre Bankschulden und Finanzanleihen nicht zurückzahlen.

Zwischen einem Unternehmen und seiner Hausbank kann so etwas noch intern geregelt werden. Doch auf den Anleihenmärkten an den Börsen muss es früher oder später öffentlich werden. Wobei der Zeitpunkt von der Bereitschaft zur Bilanzfälschung abhängt.

Die Befürchtungen der Börsen richten sich nun gegen die Telekommunikationsbranche. Wie schnell ist dieser Sektor zu Rationalisierungen in der Lage? Kann France Télécom seine deutschen Anteile unter Kontrolle bringen? Können sich die Anleger von dieser Straffung auch eine Bereinigung des deutschen Marktes versprechen? Die Baisse aufgrund dieser »Sorgen« der Börsianer hält bereits 120 Wochen an. Damit kommt sie der Depression der dreißiger Jahre, die 140 Wochen dauerte, schon sehr nahe.

France Télécom streicht mittlerweile die Investitionen zusammen. Der Grund hierfür sei »die verzögerte Einführung der neuen Mobilfunkgeneration«, erklärte der Finanzvorstand Jean-Louis Vinciguerra der Financial Times. Die Wall Street versucht zu retten, was zu retten ist. Ihre Ratingagenturen, die über die Bonität, also die Zahlungsfähigkeit der Schuldner an den Börsen befinden, stufen ihre Kandidaten inzwischen reihenweise herunter.

»Die Ratingagentur Moody's«, berichtet die Financial Times Deutschland, »senkte die Bonitätseinschätzung für France Télécom und deren Mobilfunktochter Orange und schickte die Aktien beider Unternehmen auf Talfahrt.« Der Kurs der Aktie von France Télécom fiel an diesem Tag um 16,2 Prozent und der von Orange um 10,8 Prozent.

Ähnlich sieht es bei der Deutschen Telekom aus. Auf der Hauptversammlung ihrer Aktionäre standen Ende Mai die Selbstbedienung des Vorstands, die umstrittene Bewertung der Immobilien und eine wenig glückliche Hand bei der Übernahme anderer Firmen auf der Tagesordnung.

Auch die Mitarbeiter werden immer unzufriedener. Sie beklagen die Sparpolitik des Konzerns, die zu schlechtem Kundenservice führe und fürchten den Personalabbau. Zwar erreichte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in der vorigen Woche einen Tarifabschluss, der eine Lohnerhöhung von 4,1 Prozent in diesem Jahr und 3,2 Prozent im nächsten Jahr vorsieht, aber es droht weiterhin der Abbau von 22 ooo Stellen.

Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) will zwar die Konsolidierung der Telekom. Für 2002 habe er »Geld auf der hohen Kante«, gestand er der Börsenzeitung. Nächstes Jahr brauche der Bund allerdings noch einmal Erträge aus Privatisierungen, die »zum gegebenen Zeitpunkt« erlöst würden. Wiederum war man von einem dynamischeren Markt ausgegangen, für den sich eine gewaltige Kapitalneuanlage in der Kommunikationstechnik gelohnt hätte.

Dabei ist man auch schon Finanzverpflichtungen eingegangen, die immer schwieriger zu bedienen sind. Für den Ernst der Lage spricht die Bereitschaft der Deutschen Telekom, für Geld, das an den Börsen aufgenommen wird, über acht Prozent Zinsen zu zahlen. Das bisherige Niveau lag zwischen vier und sechs Prozent. Auch die Telekom wurde von der Agentur Moody's herabgestuft, für so ein großes Unternehmen ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Börse. Ron Sommer, der Vorstandsvorsitzende des Konzerns, hat sich damit einen blauen Brief aus New York eingefangen.

Und das Ehepaar Schmid aus Büdelsdorf glaubt weiter, sich mit seiner Feilscherei über die Bereinigungsaufgaben des Telekommunikationssektors und die Notverwaltung des UMTS-Debakels hinwegsetzen zu können.