Sonic Youth auf Tour

Neu und gut

Wenn man jemandem, der Sonic Youth nicht kennt, erklären muss, wer die Band ist und was sie bedeutet, kann man leicht ins Schlingern geraten. Man erzählt etwas von Avantgarde seit über 20 Jahren und fragt sich gleichzeitig, ob das überhaupt geht, 20 Jahre vorne zu sein. Dann erzählt man vielleicht noch, dass ohne Sonic Youth Nirvana und Grunge vielleicht gar nicht möglich gewesen wären. Doch was hat Grunge nun wiederum mit Avantgarde zu tun? Dabei ist es gerade diese Offenheit nach allen Seiten, die Sonic Youth zu dieser ungemein wichtigen Instanz in Sachen Popmusik hat werden lassen. Hätte es für diese Band jemals ein Entweder/Oder gegeben, würde sich wohl kaum noch jemand für ihre inzwischen 16. Platte interessieren. Die Tonträger, die in den unzähligen Nebenprojekten entstanden sind, seien hier nicht mitgezählt. Es fällt einem schließlich auch so schon schwer, den Überblick zu behalten.

Haben die letzten Sonic Youth-Platten, sei es nun »Washing Machine«, »A Thousand Leaves« oder »NYC Ghosts & Flowers« bei irgendjemandem wirklich bleibende Eindrücke hinterlassen? Bleibend wie bei Klassikern wie »Daydream Nation«, »Confusion Is Sex« oder »Goo«?

Zuletzt hatte man nicht mehr wirklich das Gefühl, Sonic Youth könnten nochmals entscheidende Akzente setzen, nochmals ihr eigenes Soundmodell aus Noise und Melodie, eben den typischen Sonic Youth-Sound, komprimieren. Irgendwie blieb eher der Eindruck zurück, die Band würde sich langsam verzetteln. Alle Bandmitglieder betrieben ihren Kunstprojekte oder möglichst Abseitigem, kümmerten sich gemeinsam um ihre zwar engagierte, aber auch nervig didaktisch anmutende Hommage an Neue Musik, das Projekt »Goodbye 20th Century«, um dann hin und wieder ein »richtiges« Album zur Aufbesserung des gemeinsamen Kontostands aufzunehmen. Und dann sind sie ja auch noch alt geworden, man sieht es ihnen sogar an. Die ewigen New York-Hipster, die sonische Jugend, ist eine Truppe aus Fourty-Somethings mit grauen Haaren, nicht nur an den Schläfen.

Doch nun ist doch noch mal alles ganz anders. Denn Sonic Youth haben ein neues festes Mitglied, einen, der noch nicht mal Mitte dreißig ist und doch schon einen ähnlichen Oberguru-Status als Tausendsassa in allen Bereichen besitzt und damit einerseits bestens zur Stammband passt, ihr andererseits aber auch neue Impulse verpassen konnte. Man hört es deutlich auf »Murray St.«

Mit Jim O'Rourke - dem kleinen Pummeligen, der solo spannende Platten mit dem Laptop aufgenommen hat und der sich der Suche nach dem ganz großen Popsong in der Tradition der Beach Boys gewidmet hat - wirken Sonic Youth kompakt wie selten zuvor und enervierend noisig, aber das im besten Sinne.

Auf »Murray St.« kommen großartige Songs zum Erklingen, werden abgebrochen, von Gitarren/Saxophon-Zerstörern angegriffen und laufen irgendwann ins Leere, ohne dass man um den Genuss einer Katharsis gebracht worden wäre. Nach all den Jahren haben Sonic Youth, just in dem Moment, als man die Hoffnung schon aufgeben wollte, ein packendes Spätwerk abgeliefert.

Sonic Youth: Murray St., Geffen (Universal)
Tour: 8. Juli Dresden, 9. Juli Berlin, 10. Juli Hamburg, 11. Juli Köln