Kein Prozess nach tödlichem Brechmitteleinsatz

Brich freiwillig

Nicht der gewaltsame Brechmitteleinsatz, sondern eine Herzschwäche soll Schuld am Tod von Achidi J. gewesen sein. Weiter ermittelt wird nicht.

Der Tod ihres Sohnes scheint sie nichts anzugehen. Zumindest lehnte es die Hamburger Staatsanwaltschaft ab, die Eltern von Achidi J. die Akten einsehen zu lassen, in denen steht, wie ihr Sohn am 12. Dezember 2001 ums Leben gekommen sein soll. Die juristische Begründung lautete, dieses Recht hätten sie nur in einem Ermittlungsverfahren in Anspruch nehmen können. Dazu kam es aber erst gar nicht. Denn die Staatsanwaltschaft prüfte in ihren »Vorermittlungen«, ob es überhaupt zur offiziellen Untersuchung des tödlichen Brechmitteleinsatzes kommen sollte. Diese »Vorermittlungen« sind nun abgeschlossen. Ergebnis negativ, die Akten sind endgültig geschlossen.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat mitgeteilt, nicht strafrechtlich gegen die Ärztin und die Polizeibeamten vorzugehen, die dem 19jährigen Achidi J. gewaltsam Brechmittel eingeflößt und dadurch seinen Tod verursacht hatten. Es war der erste tödliche Brechmitteleinsatz in der Bundesrepublik.

Achidi J. soll kerngesund gewesen sein, als er am 12. Dezember von der Polizei verhaftet und ins Rechtsmedizinische Institut am Universitätskrankenhaus (UKE) gebracht wurde. Der Vorwurf: Dealen mit Drogen. Er sollte ein Brechmittel nehmen, um die Kokain-Kügelchen wieder von sich zu geben, die er bei der vorangegangenen Polizeikontrolle verschluckt hatte. Achidi J. wehrte sich, mehrere Polizisten mussten den um sich schlagenden jungen Mann festhalten und in den »Behandlungsraum« zerren. Den verließ Achidi J. rund eine halbe Stunde später auf einer Trage des Notarztteams. Er hatte einen Herzstillstand und fiel ins Koma. Zwei Tage später war er tot.

In der Folge wurde bekannt, dass man mit dem Beschuldigten nicht gerade sanft umgesprungen war. Als er sich geweigert hatte, den »mexikanischen Sirup« freiwillig zu trinken, hatten ihn die Polizisten auf einem Stuhl fixiert, ihm die Arme, die Beine und den Kopf festgehalten, und die Ärztin des UKE hatte über die Nase eine Sonde in den Magen eingeführt. Drei Versuche waren nötig, ehe die Medizinerin ihm schließlich das Brechmittel in den Magen pumpen konnte. Achidi J. schrie noch »I will die«, dann kippte er vom Stuhl. Erst nachdem er bereits mehrere Minuten auf dem Boden gelegen hatte, begann die Ärztin mit der Reanimation.

Die Staatsanwaltschaft sagt nun, den beteiligten Polizisten und der Ärztin sei strafrechtlich kein Vorwurf zu machen. Gutachter der Freien Universität Berlin seien zu dem Ergebnis gekommen, dass Achidi J. an einem Hirntod gestorben sei, dem ein Kreislaufzusammenbruch vorausgegangen sei. Dieser sei »auf eine vorbestehende schwere Herzerkrankung des Achidi J. zurückzuführen«. Die Herzkrankheit sei »angesichts des Alters und des physischen Erscheinungsbildes von J. nicht zu erwarten gewesen«, sagt Rüdiger Bagger, der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Selbst mit einer ausgedehnteren Voruntersuchung des Herzens hätte man die Krankheit »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« nicht diagnostizieren können.

Der Vorwurf der Körperverletzung und der unterlassenen Hilfeleistung gegen die beteiligte Ärztin bezog sich unter anderem darauf, dass bei dem Einsatz kein Anästhesist anwesend war. Oberstaatsanwalt Bagger behauptet dagegen, dass »der Eintritt des Todes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch dann nicht vermieden oder zumindest wesentlich verzögert worden wäre, wenn ein Anästhesist zum Zeitpunkt des Kreislaufzusammenbruches zugegen gewesen wäre«. Dennoch muss bei solchen Fällen gewaltsamer »Beweissicherung« inzwischen stets ein Anästhesist in Bereitschaft sein. Das war aber auch die einzige Konsequenz, die der Hamburger Senat, zusammengesetzt aus CDU, Schill-Partei und FDP, aus dem tödlichen Brechmitteleinsatz gezogen hat.

Dagegen fordert die »Kampagne gegen Brechmitteleinsätze« das sofortige Verbot solcher Maßnahmen. Weitere Tote durch »nicht erkennbare Erkrankungen« dürften nicht in Kauf genommen werden. Auch die Grün-Alternative Liste (GAL) spricht inzwischen davon, dass Brechmitteleinsätze »unverhältnismäßig« seien. »Ohne zwangsweise Brechmittelvergabe wäre Achidi J. noch am Leben«, sagt Dorothee Freudenberg, die gesundheitspolitische Sprecherin der GAL. Freudenberg findet diese Form der Beweismittelsicherung »absolut indiskutabel« - zumal es weniger belastende Maßnahmen gäbe, wie etwa abzuwarten, bis die verschluckten Drogenkügelchen auf natürlichem Wege ausgeschieden werden.

Diese Möglichkeit gab es allerdings auch schon, als die GAL noch zusammen mit der SPD Hamburg regierte. Dennoch war es der rot-grüne Senat, der im Sommer 2001 die Brechmitteleinsätze einführte. Somit war es reiner Zufall, dass Achidi J. starb, nachdem nach der Wahl zur Bürgerschaft im September der neue rechte Senat die Regierungsgeschäfte übernommen hatte. Entsprechend hat die GAL bis heute die Brechmitteleinsätze nie grundsätzlich in Frage gestellt, sondern stets nur auf eine medizinische Absicherung gepocht. Nach dem Tod von Achidi J. schlug die GAL lediglich vor, das Einflößen unter Gewalt einzustellen.

Auch seitens der Berufsverbände von MedizinerInnen wird nur verlangt, auf die Gewaltanwendung zu verzichten. Es ist keine Rede davon, dass ÄrztInnen der Gesundheitsförderung und nicht der Regierungspolitik verpflichtet sind. Sowohl die Hamburger Ärztekammer als auch der Deutsche Ärztetag haben in einer Resolution lediglich beschlossen, dass »die Vergabe von Brechmitteln an verdächtige Drogendealer zum Zwecke der Beweissicherung ohne Zustimmung des Betroffenen ärztlich nicht zu vertreten ist«. Zwar heißt es, dass »Ärztinnen nicht gezwungen werden dürfen, direkt oder indirekt an derartigen Maßnahmen mitzuwirken beziehungsweise diese zu ermöglichen«. Das war allerdings noch nie der Fall. Es gab keine standesrechtlichen Maßnahmen gegen MedizinerInnen, die sich gegen ihre Beteiligung an Brechmitteleinsätzen sträubten. Auch nicht, als sich in Folge des Todes von Achidi J. AnästhesistInnen des UKE weigerten, an den gewaltsamen Brechmitteleinsätzen mitzuwirken - und vom Direktorium verdonnert wurden, in einem Nebenraum für Notfälle anwesend zu sein.

Klaus Püschel, der Leiter des Institutes, in dem Achidi J. zu Tode kam, hat niemals in Frage gestellt, weiterhin mutmaßlichen Dealern per Magensonde »mexikanischen Sirup« einzuflößen. Anders als die Eltern des getöteten Achidi J. soll Püschel Einsicht in die Akten der Staatsanwaltschaft bekommen haben.