Italienische Küche vs. französische Küche

Cuccina facilità

Wenn Sie einfach, aber gut essen wollen, führt kein Weg an der italienischen Küche vorbei.

Unternimmt man eine Reise durch Italien, dann trifft man von Nord nach Süd auf ein schier unerschöpfliches Sammelsurium verschiedenster kulinarischer Eigenheiten. Kommt der Norden für italienische Verhältnisse recht elegant daher, so wird die Stilrichtung und die Zusammensetzung eines Gerichts immer einfacher, je südlicher man sich bewegt.

Die ursprüngliche süditalienische Küche ist zwar nicht die feinste, jedoch ohne Frage die aromatischste. Das Geheimnis liegt in den hervorragenden Grundprodukten, die das süditalienische Klima mit sich bringt; nahezu genial jedoch sind die fast schon simpel daherkommenden Gerichte.

Hier wird zum Beispiel das Kaninchen einfach mitsamt der Knochen in grobe Stücke geschnitten und gemeinsam mit ganzen Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch, Olivenöl und verschiedensten Kräutern in einen Schmortopf gegeben, der dann für einige Stunden bei milder Hitze vor sich hinbrodelt, bis das Fleisch schließlich fast von selbst vom Knochen fällt.

Dieses Ragout wird dann mit dem entstandenen Sugo, einer grobkörnigen Maispolenta und sizilianischem Rotwein auf kariertem Leinenstoff serviert. Italien scheint eines der wenigen Länder zu sein, welches all die modernen kulinarischen Entwicklungen der letzten Jahre schlichtweg ignoriert hat. Hier wird kein akrobatisches Teller-Ikebana zelebriert (wer baut das schönste Türmchen?), sondern es geht vorwiegend um den Gusto.

Das gastronomische Unwort des vergangenen Jahrzehnts lautet: »Das Auge isst mit.« Mit dieser Aussage haben all die Pseudo-Gurus in weiß praktisch einen Freifahrtschein erhalten, um mehr als Künstler denn als Handwerker zu agieren. Ein Gericht wie das beschriebene Kaninchenragout würde ein französischer chef de la cuisine komplett anders zubereiten.

Zuerst befreit er das Tier von den angeblich lästigen Knochen, aus denen dann in aufwendiger Prozedur eine Jus hergestellt wird. Dann werden die einzelnen Fleischteile, nachdem sie auch von den kleinsten Fett- und Sehnenfitzelchen befreit wurden, separat auf den Punkt gebraten. Die Polenta besteht aus feinem Maisgrieß, der zur Vollendung noch ordentlich aufgebuttert wird und leider keinen Biss mehr aufweist. Dann werden die Tomaten blanchiert, enthäutet und in kleine Würfel geschnitten und ebenfalls separat zubereitet. Das Ganze wird dann auf einem großen weißen Teller zu einem kleinen Kunstwerk drapiert und erreicht den Gast oftmals nur lauwarm, da das Anrichten eben seine Zeit braucht.

Während der französische Koch zehn verschiedene Komponenten für seine Zubereitung benötigt, begnügt sich sein italienischer Kollege mit vier Grundartikeln und begibt sich damit nicht in die Gefahr, dass der Gast eigentlich keinen eindeutigen Eigengeschmack der Produkte mehr herausschmecken kann.

Auch bezüglich der Leichtigkeit, der Kalorien, trumpft die italienische Küche im europäischen Vergleich auf. Kraftvolle Pflanzenöle, vorwiegend aus Oliven hergestellt, scheinen in Italien auf den ersten Blick im Übermaß verwendet zu werden und ein Gericht zu verfetten. Die fast überall versteckte Butter der Deutschen und Franzosen hingegen ist eine Fettbombe par excellence, die einige Stunden nach Verzehr des Menüs deutlich spürbar wird.

Auch die Tischsitten der Italiener tragen sehr zum entspannten Genuss bei. Während in unseren Breitengraden eine Horde voller Bediensteter die Teller abräumt und neues Besteck bringt, also permanent Unruhe am Tisch erzeugt, so wählen die Italiener auch in diesem Bereich die Einfachheit. Der von Beginn an eingedeckte Teller wird das ganze Essen hindurch bis zum »dolce« für jeden Gang wiederverwendet. Das Aufessen der einzelnen Gänge ist Pflicht, mit einer Scheibe Weißbrot wird der Teller für den nächsten Gang »saubergewischt«. So macht Essen Spaß.

Und wenn Mamma Antonia kurz vor Mitternacht noch eine Schüssel »panna cotta« mit Kompott aus vollreifen Aprikosen und einige große Löffel in die Mitte der Tafel platziert und Kellner Mario eine Pulle »vino santo« vom örtlichen Weingut dazustellt, dann vergisst man leicht, dass man kurz vorher eigentlich satt war.

Ralf Hiener ist Koch und lebt im Schwarzwald.