OSZE-Tagung in Berlin

Friedliche Koexistenz

Bei der Tagung des OSZE-Parlaments in Berlin wurde der Streit zwischen der EU und den USA fortgesetzt. Es ging um die Bekämpfung des Terrors und um den Antisemitismus.

Auf manche Leute kann man sich einfach verlassen. Wenn der Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismus-Forschung über den Gegenstand seiner wissenschaftlichen Tätigkeit spricht, ist der Tenor klar: Antisemitismus ist in Deutschland kein Problem. »Der langfristige Trend antisemitischer Einstellungen ist fallend«, und bei der dramatisch ansteigenden Zahl antisemitischer Straftaten - allein im ersten Quartal 2002 verdreifachte sich die Zahl gegenüber dem Jahr 2000 - handelt es sich »lediglich um Propaganda-Delikte«. Für Juden sei es folglich »nicht gefährlich in Deutschland zu leben«.

Mit dieser Einschätzung wartete Professor Wolfgang Benz zuletzt auf der öffentlichen Anhörung zum Thema »Antisemitismus in Europa« am Rande der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auf. Zu der Jahresversammlung des OSZE-Parlaments, die vom 6. bis 10. Juli in Berlin stattfand, waren über 300 Delegierte aus 55 Staaten angereist.

Bundesaußenminister Joseph Fischer eröffnete die Tagung zum Thema »Terrorismus als globale Herausforderung im 21. Jahrhundert« und schlug dabei gegenüber den USA den neuerdings üblichen Ton an.

Nicht die Bedrohung durch den fundamentalistischen Terror machte er zum Gegenstand seiner Rede, sondern die Menschenrechte, die durch die Bekämpfung des Terrors auf dem Spiel stünden.

Die OSZE stehe für die »Durchsetzungsfähigkeit der unveräußerlichen Menschenrechte«, sagte Fischer. Den Kampf gegen den Terror könne man nicht führen, »ohne sich den Ursachen des Terrors zuzuwenden«. Neben Armut und Unterdrückung sei der Terror, wie er sich in der Zerstörung des Word Trade Center am 11. September 2001 ausdrückte, eine Folge von »fehlendem Respekt vor religiöser oder kultureller Identität«.

Respektlosigkeit gegenüber der »kulturellen Identität« der Länder, in denen sich der politische Islam zur hegemonialen Kraft entwickelt hat, bildet in Fischers Logik den Nährboden für bestialische Anschläge. Das Problem ist also wieder einmal der angebliche amerikanische Kulturimperialismus mit Coca Cola und McDonald's.

»Der Kampf gegen den Terror darf kein Vorwand sein, um Menschenrechte auszuhöhlen«, erklärte der deutsche Außenminister. Um »die Herrschaft des Rechts weltweit durchzusetzen«, bedürfe es jedoch »starker Instrumente«. Und ein liebgewordenes Instrument der Deutschen, im Konkurenzkampf mit den USA durchzusetzen, ist der Internationale Strafgerichtshof.

»Er ist ein Meilenstein des Völkerrechts« und folglich das einzig wirksame Mittel gegen die globale Bedrohung. Seine Nicht-Anerkennung würde »die Autorität der Vereinten Nationen erschüttern« und komme faktisch einer Absage an die Wahrung der Menschenrechte gleich, warnte Fischer.

Das waren harte Worte vom uneingeschränkten Bündnispartner. Oder doch nur ein Zwergenaufstand? In der Auseinandersetzung mit den USA bemüht Europa schon seit einiger Zeit die Menschenrechte. Doch die Mahnung, zivilisatorische Mindeststandards einzuhalten, wird neuerdings von den US-Amerikanern postwendend zurückgeschickt.

In Vorbereitung der OSZE-Tagung hatte die US-Delegation bereits Ende Mai eine Expertenanhörung zum wachsenden Antisemitismus in Europa veranstaltet. Der US-Senat und der US-Kongress verabschiedeten eine Resolution, in der das OSZE-Parlament aufgefordert wurde, eine deutliche Verurteilung antisemitischer Hetze und Gewalt in den Ländern der OSZE vorzunehmen. Darüber hinaus sollte am Rande der Parlamentarischen Versammlung eine Anhörung stattfinden, um dem Anliegen in Europa auch öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Gerade noch rechtzeitig gelang es der deutschen Delegation, als Mitveranstalter dieses »Zusatztreffens« aufzutreten.

»Antisemitismus ist der Zwillingsbruder des Selbsthasses« und »er richtet sich im Kern gegen uns Deutsche« - mit solchen hohlen Phrasen äußerten sich die deutschen Parlamentarier dann zum Thema. Außer Wolfgang Benz war für die deutsche Seite jedoch auch der Leiter des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums, Professor Julius Schoeps, geladen. Er sprach von einer »neuen Unbefangenheit« in Deutschland und wies darauf hin, dass die Zahl antisemitischer Anrufe und Zuschriften seit dem jüngsten so genannten Antisemitismusstreit stark zugenommen habe. Durch solche Debatten werde der latente Antisemitismus an die Oberfläche gespült, was zu vermehrten Übergriffen und »Propaganda-Delikten« führe. Schoeps widersprach Wolfgang Benz. Die Zunahme verbaler wie physischer Aggression zeige, dass die jüdische Bevölkerung in Deutschland »gefährdet« sei.

Die amerikanische Delegation hatte aber nicht nur Deutschland, sondern auch alle anderen europäischen Länder im Blick. Und sie fand deutliche Worte. Abraham Foxman, der Vorsitzende der Anti-Defamation-League, präsentierte deren neueste Studie. Ihr liegt eine vergleichende Erhebung in fünf europäischen Ländern zugrunde. Neben Deutschen wurden auch Franzosen, Engländer, Belgier und Dänen nach ihrer Meinung zu den Juden, zu Israel und zum Nahost-Konflikt befragt.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass es in Europa ein antisemitisches Potenzial von 30 Prozent der Bevölkerung gibt. 45 Prozent der Befragten (und 54 Prozent der Deutschen) äußerten beispielsweise Zustimmung zu der Aussage, dass Juden sich eher Israel gegenüber loyal fühlten als den jeweiligen Ländern, in denen sie leben. Den Topos der »mangelnden Loyalität der Juden zu Staat und Nation« nannte Foxman »eines der gängigsten antisemitischen Klischees«, das immer wieder ein Vorwand für die Verfolgung und die Diskriminierung von Juden gewesen sei. Foxman schätzte die Situation in Europa als äußert gefährlich ein. »Feindliche Gedanken führen zu feindlichen Taten«, sagte er und betonte, dass die Verfolgung der Juden schon immer mit verbaler Diskriminierung begonnen habe.

Der Leiter des Pariser Büros des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Shimon Samuels, wies auf den Zusammenhang der internationalen Dämonisierung Israels und dem weltweit anwachsenden Antisemitismus hin. Er erinnerte an die Konferenz der Vereinten Nationen (UN) in Durban im vorigen Jahr, die unter dem Titel »Weltkonferenz gegen Rassismus« zu einem nie dagewesenen internationalen Tribunal gegen Israel ausgeartet war (Jungle World, 34/35/01). Dass dies unter dem Deckmantel der UN und ohne ernstzunehmende Proteste der westlichen Staaten passieren konnte, sei ein Skandal. Er warnte eindringlich vor der Verbindung von Antisemitismus und Antiamerikanismus, wie sie im Gefolge des 11. September immer häufiger wahrzunehmen sei.

Die US-Delegation forderte die Politiker in Europa auf, deutlicher gegen den Antisemitismus Position zu beziehen und antisemitische Ausfälle oder Straftaten nicht länger als Kavaliersdelikte durchgehen zu lassen. In den meisten europäischen Ländern vermisse man eine klare Abgrenzung vom Antisemitismus. Die OSZE solle diesem Thema in Zukunft größere Bedeutung beimessen. Doch in Europa setzt man im Moment offensichtlich andere Prioritäten.