Italienische Küche vs. französische Küche

La haute cuisine

Wenn Sie dagegen essen wollen wie Gott in Frankreich, führt kein Weg an der französichen Küche vorbei.

Dünsten Sie fünf sehr fein gehackte Schalotten bei nicht zu großer Hitze in 80 Gramm Butter glasig. Löschen Sie mit einem großen Glas trockenen Weißwein ab. Lassen Sie das Ganze einkochen, bis von dem Wein fast nichts mehr übrig ist. Geben sie einen Viertelliter flüssige Sahne und einen Zweig Thymian dazu. Reduzieren Sie wieder auf etwa ein Drittel. Schmecken Sie mit Pfeffer und Salz ab.

Wenn Sie bis hierhin meinen Anweisungen gefolgt sind, dann brauchen Sie nicht weiter zu lesen. Dann ist es mir nämlich schon längst gelungen, Sie da zu packen, wo Sie wehrlos sind: direkt an den Sinnen, an der Nase, an der Zunge, am Gaumen. Leugnen hilft nichts: Auch an der Gier habe ich Sie gepackt.

Wenn Sie nicht zumindest in Gedanken mitgekocht haben, dann, so fürchte ich, wird es mir auch unter Aufbietung meiner gesamten Überzeugungskunst nicht gelingen, Sie von der grundsätzlichen Überlegenheit der französischen Küche über alle Küchen der Welt zu überzeugen. Ich will es trotzdem versuchen.

Das einfache Sößchen, das ich eingangs skizziert habe, ist in der französischen Küche eine Grundzubereitung, die so fundamental ist, dass die meisten Köchinnen und Köche noch nicht einmal einen Namen dafür kennen. Eine etwas verfeinerte Variante geisterte vor 20 Jahren unter der Bezeichnung »Beurre blanc« als »die Wunderwaffe der nouvelle cuisine« durch die Kochliteratur. Dabei erfüllt ihr Wohlgeruch schon seit Anbeginn der Zivilisation die Bistros und Brasserien.

Von der escalope de veau bis zur daurade en papillote widersteht nichts ihrem Charme. Fast grundsätzlich wird am Schluss noch einmal Weißbrot nachbestellt, um den Poren des Tellers auch noch die letzten Moleküle zu entziehen, die sich dort vielleicht festgesetzt haben könnten. Kleinere Variationen - eine Prise Safran statt des Thymians, trockener Wermut (Noilly Prat, im Holzfass unter der Sonne des Roussillon gereift; nicht das pappige Zeug aus italienischen Fabriken) statt des Weißweins - werden gern gesehen, doch am Schluss kommt man immer wieder auf das einfache Grundrezept zurück.

Jeder, der es noch nicht probiert hat, fragt, wie »die Franzosen« das eigentlich machen, welche raffinierte Zutaten sie verwenden, welchen welschen Aufwand sie für die Zubereitung eines schlichten Werktagsmenüs betreiben, das doch letztlich nur dem einen Zweck dient: das Loch im Magen zu stopfen, damit sich nach der Mittagspause die Arbeitskraft wieder ungehindert Bahn brechen kann. Wer so argumentiert, der hat doppelt Unrecht: Erstens ist das Verhältnis des Aufwands zum Ergebnis der französischen Küche nicht zu übertreffen, und zweitens wäre jeder Aufwand gerechtfertigt, um ein solches Ergebnis zu erzielen.

Dass ein Koch sich eine halbe Stunde einer Sauce aus nur drei Zutaten widmet, ist in den meisten Küchen der Welt so undenkbar, wie dass der Gast, der meist geschäftlich unterwegs ist, länger als 30 Minuten auf sein Fischgericht wartet.

In Frankreich dagegen macht man Geschäfte bis heute hauptsächlich deswegen, weil man den dabei erzielten Gewinn in gutes Essen zu investieren gedenkt. Man fände es daher absurd, wegen eines Geschäfts auf ein gutes Essen zu verzichten. Schließlich hat man ohnehin die Erfahrung gemacht, dass die besten Geschäfte bei einem ausgedehnten Mittagsmahl zustande kommen.

Daher hat Frankreich auch nicht wie das benachbarte Italien eine erfolgreiche Fastfood-Kultur hervor gebracht. Pizza und Spaghetti in allen Ehren, aber man macht einfach kein gutes Gesicht bei ihrem Verzehr. Italienische Paste können von aller Welt imitiert werden - und alle Welt imitiert sie, mit meist bedauerlichen Ergebnissen -, ein schlichtes französisches Arbeiteressen wie Tripes à la mode de Caen aber wäre schon zu viel verlangt.

Die französische Küche verlangt nach erhöhter Aufmerksamkeit beim gesamten Kochvorgang. Während der größte Teil eines italienischen Lebensmittelladens zum rohen Verzehr gedacht ist, könnte man in einer Epicerie glatt verhungern, wenn man eingesperrt wird und der Strom ausfällt. Ein Franzose jedoch, der in dieser Situation nicht verhungert, sieht zu, dass der Vorfall nicht bekannt wird. Schließlich könnte sich jeder diese degoutante Peinlichkeit ausmalen.

Lucien Maigret ist Feinschmecker und lebt in Brüssel.