Bilanzfälschungen bei Konzernen

Modus Vivendi

Sie gelten als gierig, skrupellos und mächtig. Spätestens seit den Skandalen um die Konzerne Enron und WorldCom halten viele die Manager des Laissez-faire-Kapitalismus US-amerikanischer Prägung für gemeingefährlich. Von der größten Vertrauenskrise seit Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist die Rede. Und wie der Fall von Vivendi zeigt, ist die Krise längst nicht mehr auf die USA beschränkt, sondern hat auch Frankreich voll getroffen.

Dass die Vorstände von Enron und WorldCom mit geschönten Bilanzen agieren konnten, ohne dass sie eine effektive Kontrolle befürchten mussten, galt in Europa vielen als US-amerikanisches Problem. Als George W. Bush in der vergangenen Woche in einer Rede Konsequenzen ankündigte, kommentierte Le Monde seine Äußerungen mit dem Hinweis, vor wenigen Jahren habe er noch selbst von diesem System profitiert.

Nun ist auch in Frankreich die Angst groß, dass sich die Krise nicht mehr nur auf Vivendi beschränken lässt. Wer will schon noch in Aktien von Unternehmen investieren, wenn niemand sicher sein kann, ob sie de facto nicht schon längst pleite sind. Der größte Finanzskandal in der französischen Wirtschaftsgeschichte könnte erst der Anfang eines noch größeren Spektakels sein.

Man versucht, sich Hoffnung zu machen, indem die Ursachen, wie schon bei Enron und WorldCom, in den persönlichen Verfehlungen oder der Gier der Manager gesucht werden. Im Fall von Vivendi muss der ehemalige Vorstandschef Jean-Marie Messier als Sündenbock herhalten.

Dabei illustriert seine Karriere nur idealtypisch eine weltweite Entwicklung. Am Anfang stand der Abschied von etatistischen Kapitalismusmodellen und die Hinwendung zur »Aktienkultur«. Bezeichnenderweise begann Messier seine Laufbahn im Ministerium für Privatisierung der ersten Chirac-Regierung. »L'exception culturelle française, c'est fini« - für Frankreich gibt es keine Ausnahme, hatte er vor zwei Jahren noch erklärt und damit die Deregulierung von Staat und Wirtschaft begründet.

Aus dem einstigen Wasserversorgungsunternehmen formte er in kurzer Zeit einen global player, der mit dem Hollywood-Konzern Universal ausgerechnet einen Teil der in Frankreich so verabscheuten US-amerikanischen Kulturindustrie übernahm. Auch privat wurde Messier mit seinem enormen Gehalt, durchaus bewundernd, als Inkarnation des modernen Managers beschrieben, der für seinen persönlichen Erfolg alle Regeln bricht. Erst jetzt, da der Traum vom ewigen Aktienboom ausgeträumt ist, sind Spielregeln und der Staat als ihr Wächter wieder gefragt.

Messiers einstigem Unternehmen droht nun eine ähnliches Schicksal wie den US-Konzernen. Nachdem die Börsenaufsichtskommission COB in Paris vergangenen Mittwoch angekündigt hatte, die Vivendi-Bilanzen der letzten zwei Jahre zu überprüfen, stürzte der Kurs ab. Die meisten Anleger gingen davon aus, dass die COB auf neue Unregelmäßigkeiten stoßen wird. Kurz darauf sprach der neue Vorstandschef, Jean René Fourtou, erstmals von »einer prekären Lage« des Unternehmens. Anfang Juli hatten Recherchen von Le Monde bereits ergeben, der Konzern habe versucht, den Verlust von 13,6 Milliarden Euro durch Bilanztricks um 1,5 Milliarden Euro zu drücken.

Messier hat praktiziert, was in der Logik der aktuellen Krise liegt. Sein ehemaliges Unternehmen hatte im globalen Wettbewerb wie soviele andere auf den Börsenboom gesetzt. Als sich die Hoffnung auf unendlich steigende Aktienkurse als Illusion erwies, musste Messier als guter Manager versuchen, die Pleite so lange wie möglich zu kaschieren. Der Konkurrenz erging es schließlich nicht viel anders, und wer am längsten durchhält, überlebt. Am Ende ist es für Messier dumm gelaufen, andere hatten den längeren Atem.