Deutsch-französische Freundschaft

Szenen einer Ehe

Das deutsch-französische Verhältnis war in den vergangenen Jahren von Dissonanzen geprägt. Eine Verbesserung ist nicht in Sicht.

Im politischen Alltagsgeschäft werden die deutsch-französischen Beziehungen stets metaphernreich beschrieben. Mit Begriffen wie »Motor« und »Tandem« über das »Bündnis im Bündnis« bis zu Willy Brandts Bonmot von der »entente élémentaire« betont der Großteil der politischen Eliten auf beiden Seiten die zentrale Rolle des Bilateralismus im europäischen Integrationsprozess. Die Querelen auf dem EU-Gipfel in Sevilla Ende Juni über die europäische Agrarpolitik warfen jedoch ein anderes Licht auf den Zustand der deutsch-französischen Beziehungen.

Die »Komödie der Freundschaft«, die die beiden Länder dort aufführten, wie Le Figaro schrieb, steht freilich schon länger auf dem Spielplan. Und auch die Rituale der bilateralen Konsultationen und die Rhetorik der gegenseitigen Versicherungen beim Sauerkraut-Diner im Elsass verbergen nur schlecht, dass das Paar in einer Beziehungskrise steckt.

Bis zu den weltpolitischen Umbrüchen im Jahr 1989 basierte die deutsch-französische Arbeitsteilung auf einem Ausgleich zwischen der »Bombe und der D-Mark«. Die »Grande Nation« sah sich als politische Vertretung Europas, während Deutschlands wirtschaftspolitische Paradigmen die ökonomischen Ziele der Union bestimmten. Diese inoffizielle Geschäftsgrundlage wurde von der Wiedervereinigung empfindlich gestört. Während die »deutsche Frage« für die Deutschen beantwortet wurde, stellte sie sich für Frankreich neu: Kann unter den Bedingungen der deutschen Einheit ein vereinigtes Europa mehr als ein deutsches Europa sein?

Bereits in den Debatten um die Ratifizierung des Maastrichter Vertrages im Jahr 1992, in erster Linie jedoch 1994 in der Kritik des Schäuble-Lamers-Papiers zum Thema »Kerneuropa«, wurde das Misstrauen gegenüber der deutschen Europapolitik deutlich. Weite Teile der politischen Klasse in Frankreich fürchteten nicht zu Unrecht, dass die Schaffung eines »Kerneuropas« einiger weniger wirtschaftlich starker Staaten eine Aufwertung Deutschlands in der EU bedeute, da es dann aus währungspolitischen, wirtschaftlichen und demographischen Gründen eine noch dominantere Rolle spielen würde.

Auch in den Jahren der rot-grünen Bundesregierung verschwand diese Skepsis nicht. Im Gegenteil. Bereits kurz vor dem Machtwechsel verkündete Gerhard Schröder, dass er mit Blick auf die Finanzierung der EU die »deutschen Interessen brutal vertreten« werde. Sein damaliger außenpolitischer Berater, Michael Steiner, schrieb in Le Monde, vor der Wiedervereinigung seien die deutsch-französischen Beziehungen eine auferlegte Selbstverständlichkeit gewesen, heute seien sie ein freiwilliger Prozess.

Ein »Händchenhalten über Gräbern« werde es mit ihm nicht geben, verkündete dann der Kanzler Schröder. Beim EU-Gipfel von Nizza im Dezember 2000 sollte mit der Neugewichtung der Stimmen im Rat der Europäischen Union diese Rhetorik auch in Politik verwandelt werden. »Mit dem Aufmarsch von 82 Millionen Deutschen gegen nur 59 Millionen Franzosen rührte Schröder am Fundament der Europäischen Union, das auf der Gleichheit zwischen Deutschland und Frankreich beruht«, kommentierte Klaus Harpprecht in der Süddeutschen Zeitung. Trotz des Rückzugs Schröders in den Verhandlungen werde der »psychologische Schaden des Tabu-Bruchs (...) so rasch nicht heilen«.

Angesichts dieser Schwierigkeiten im deutsch-französischen Verhältnis wuchs in Frankreich die Zahl antideutscher Publikationen. Bücher wie »Die deutsche Versuchung« von Yvonne Bollmann, die »Memoiren aus dem Schatten« des ehemaligen Geheimdienstchefs Pierre Marion oder »Über den nächsten Krieg mit Deutschland« von Philippe Delmas handeln von der »Neogermanisierung« Europas und kultivieren die Angst vor deutschem Großmachtstreben.

In Anlehnung an Louis-Ferdinand Célines Roman »Reise ans Ende der Nacht« will »Die Reise ans Ende Deutschlands« von Alain Griotteray und Jean de Larsan in die Abgründe der deutschen Zivilisation einführen. Berlin wird beschrieben als »neues Rom des Heiligen Germanischen Reiches«, von dem eine Politik ausgehe, die »eine seltsame Mischung aus Pazifismus und Nationalsozialismus verkörpert«.

In Brüssel gelte demnach eine »teutonische Agenda«; Deutschland sei europäisch, weil Europa deutsch sei. Zwar meint Brigitte Sauzay, die als Beraterin des Bundeskanzlers dessen Kenntnisse über die linksrheinischen Verhältnisse erweitern soll, dass sich in diesen Büchern lediglich die »Ängste einer nervösen französischen Bourgeoisie« und damit nur ein kleiner Teil der öffentlichen Meinung widerspiegele. Dennoch war die politische Essayistik in Frankreich immer auch ein Seismograph untergründiger gesellschaftlicher Stimmungen. Abseits des grotesk Übertriebenen und der stets lauernden Ressentiments findet das latente Misstrauen eines Teils der politischen Klasse in Frankreich gegenüber der deutschen Europapolitik seine Entsprechung in der wachsenden Skepsis, die die französische Bevölkerung der ökonomischen Integration entgegenbringt.

Diese Skepsis ist nicht zuletzt eine Folge der Unerbittlichkeit, mit der die deutsche Seite ihre Vorstellungen von monetärer Stabilität durchgesetzt hat. In Frankreich spielte in allen großen politischen Konflikten der vergangenen Jahre die soziale Frage im Zeichen der Konvergenzkriterien und des Stabilitätspaktes eine zentrale Rolle. In Deutschland jedoch werden die sozialen Auseinandersetzungen einer »erschöpften französischen Gesellschaft« (Kees van der Pijl) bis heute als Teil der politischen Folklore abgetan.

Zwar gab es unter den damaligen Finanzministern Oskar Lafontaine und Dominique Strauss-Kahn eine trügerische und kurze Schönwetterphase der deutsch-französischen Beziehungen. Doch die Ansätze einer europäischen Beschäftigungspolitik und einer gemeinschaftlichen Wirtschaftspolitik kamen über symbolische Beschlüsse nicht hinaus.

Nach Lafontaines Abgang sympathisierten die beiden Länder offen mit möglichen anderen Bündnispartnern. Die Bundesregierung unterstrich mit dem Schröder-Blair-Papier ihre britische Option, Frankreich dagegen versuchte bis zum Wahlsieg Silvio Berlusconis mit Italien, aber auch mit Spanien die mediterrane Achse zu stärken. Während die Berliner Politik der Renationalisierung das Wort redete, bemühte sich der vor kurzem zurückgetretene französische Ministerpräsident Lionel Jospin um die Vision eines sozialen Europas - freilich ohne starke Institutionen.

Jacques Chirac, der Staatspräsident und notorische Populist, Gerhard Schröder, der die »vitalen« Interessen Deutschlands betont, oder der unsichere europäische Kantonist Edmund Stoiber sind denkbar zweifelhafte Protagonisten für das deutsch-französische Verhältnis. Es ist kaum anzunehmen, dass die deutsch-französischen Beziehungen angesichts der anstehenden Ost-Erweiterung sich wieder verbessern.

Wahrscheinlicher ist, dass sie im Europa der Einflusssphären und der schleichenden Renationalisierung weiter aufgerieben werden. Bald wird der Elysée-Vertrag, mit dem die Grundlagen für die einst guten Beziehungen gelegt wurden, 40 Jahre alt. Es mehren sich die Stimmen, die eine substanzielle Reform des Abkommens fordern. Doch deutet gegenwärtig mehr auf eine Scheidung hin als auf einen reformierten Ehevertrag.