Antisemitismus eines Mitarbeiters der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Gelehrt, aber nichts gelernt

Die Leitung der Gedenkstätte Bergen-Belsen hat einen Mitarbeiter wegen antisemitischer Äußerungen entlassen.

Israel betreibt gegenüber den Palästinensern eine neokolonialistische Besatzungspolitik, die sich seit 1951 an kein Abkommen hält und den Terrorismus durch Selbstmordattentäter noch fördert, indem die Palästinenser seit Jahrzehnten systematisch unterdrückt werden. (...) Meine Meinung: Die Besatzungspolitik der Israelis unterscheidet sich kaum von der der Nazis in Polen - und ich dachte, die Juden hätten aus ihrer Geschichte gelernt.«

Nein, es ist nicht der NPD-Anwalt Horst Mahler oder der stellvertretende FDP-Vorsitzende Jürgen Möllemann, der hier seine Sicht der Dinge so frank und frei kundtut und den Israelis mal schnell die Verantwortung für die Opfer palästinensischer Selbstmordattentate zuschiebt, sondern Julius H. Krizsan, ein ehemaliger Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Über ein Jahrzehnt war er dort beschäftigt und leitete mehr als 2 000 Führungen durch das ehemalige Konzentrationslager. Auch nach seiner Pensionierung im Mai dieses Jahres hat der 65jährige Pädagoge als Honorarkraft weiter Schulklassen durch das Gelände geführt.

Die Gedenkstätte wird von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung betrieben. Über 70 000 Menschen wurden im Konzentrationslager Bergen-Belsen von den Nazis umgebracht, die meisten waren Juden. Krizsan arbeitete bis vor kurzem bei der Besucherbetreuung der Gedenkstätte. Die für den Monat August vorgesehenen Führungen wird er jedoch nicht mehr betreuen können, denn der Leiter der Gedenkstätte, Thomas Rahe, hat ihm Anfang Juli fristlos gekündigt.

Begonnen hatte alles mit einem Artikel in der Zeitschrift Denkpause der parteilosen, ehemaligen grünen Abgeordneten im Europaparlament Ilka Schröder. Sie wandte sich darin gegen einen möglichen Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten: »Die Schuld an der Eskalation wird von der europäischen Politik und von den Medien allein auf der Seite Israels ausgemacht. Unvorstellbar wären Gedanken über eine Eingreiftruppe, hätten 'nur' die organisierten palästinensischen SelbstmordattentäterInnen ihre Morde an Israelis ausgeführt. Krieg scheint für viele europäische AkteurInnen erst in dem Moment zu beginnen, in dem der Staat Israel zum Schutz seiner BürgerInnen gegen den Terror vorgeht.«

Krizsan, der ein Gründungsmitglied der Grünen war und von 1983 bis 1985 für diese Partei im Bundestag saß, schickte daraufhin einen Leserbrief mit den eingangs zitierten Äußerungen an die Abgeordnete. Er schrieb dabei zwar auf einem privaten Briefbogen, verwandte aber die Frankiermaschine der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Ilka Schröder veröffentlichte dann »die zitierfähigsten Fetzen« aus Krizsans Brief in der jüngsten Ausgabe der Denkpause.

Auf die Anschuldigungen Schröders, er habe »schlimme antisemitische Äußerungen« gemacht, reagierte Krizsan empört. Er habe sich »sehr geärgert, denn ein Antisemit bin ich nun wirklich nicht, der ich seit Jahrzehnten in der Gedenkstätte auch Gruppen aus Israel betreue. (...) Dass sie mich in diese Ecke stellt, konnte ich leider nicht verhindern.«

Der Leiter der Gedenkstätte, Thomas Rahe, wollte die Vorwürfe gegen seinen Mitarbeiter zunächst nicht glauben. Ihm sei die »Äußerung von Herrn Krizsan nicht bekannt und ich habe sie mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen. Sie spiegelt auf gar keinen Fall die Position der Gedenkstätte Bergen-Belsen wider.« Krizsan habe ihm »versichert, dass er von Frau Schröder falsch zitiert worden sei und keine Gleichsetzung der nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Polen und der israelischen Politik hergestellt oder sich in diesem Sinn geäußert habe«.

Doch um ein gefälschtes Zitat handelte es sich nicht. Eine von der Europa-Parlamentarierin übersandte Kopie des Briefes und des in der Gedenkstätte frankierten Umschlages überzeugte Rahe dann doch, und er handelte sofort: Krizsan wurde gekündigt.

Horst Lahmann von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung erklärte zu dem Vorgang in einer offiziellen Stellungnahme: »Die Äußerungen des pensionierten Mitarbeiters Julius H. Krizsan der Gedenkstätte Bergen-Belsen, in denen eine Gleichsetzung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in Polen und der aktuellen israelischen Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten vorgenommen wird, stellen in keiner Weise die Auffassungen der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung und der Gedenkstätte Bergen-Belsen dar. (...) Es ist erschütternd, wie ein langjähriger Mitarbeiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen in seinen Auffassungen zu diesen Formen der Geschichtsklitterung sowie einer Relativierung und Revision der NS-Verbrechen gegen die jüdische und polnische Bevölkerung kommt.«

Um den guten Ruf der Gedenkstätte ist ihr Leiter Rahe nach eigener Ausage nicht besorgt, da er so schnell und umgehend »die Konsequenzen« gezogen habe. Ganz im Gegenteil: »Ich schätze es sehr, wenn solche Vorgänge an die Öffentlichkeit geraten.« Allerdings wurde aus der Umgebung der Gedenkstätte bekannt, dass es sich bei Krizsans Äußerungen keineswegs um einen einmaligen Ausrutscher gehandelt haben soll. Ahistorische Vergleiche seien demnach in der pädagogischen Arbeit der Gedenkstätte Bergen-Belsen weit verbreitet. Dieses Denken sei jahrelang für die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung kein Problem gewesen.

Dass »Geschichtsklitterung« und eine »Relativierung und Revision« von NS-Verbrechen nicht nur eine Spezialität Kriszans sind, zeigte schon das Projekt »Unrechtssysteme«, das die Landeszentrale im Jahr 2000 vorstellte. Dabei handelte es sich um eine Kooperation der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn und der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Verglichen wurden die »Unrechtssysteme« des Nationalsozialismus und der DDR. Teilnehmer waren Schulklassen.