Europäische Nahostpolitik

Mit Scheck, Charme und Soldaten

Seit dem Ausbruch der neuesten Intifada fließt mehr Geld als je zuvor an die Palästinenser. Mit europäischer Hilfe will Deutschland die letzten Tabus brechen.

Auf Euro und Cent« will die EU der israelischen Regierung das Ausmaß der Zerstörung vorrechnen, droht Gunnar Wiegand, der Sprecher des EU-Außenkommissars Chris Patten. Gemeint sind die von der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten geförderten palästinensischen Infrastrukturprojekte, die von der israelischen Armee zerstört wurden. Dazu gehören das Gebäude des palästinensischen Rundfunks (3,3 Millionen) sowie die Landebahnbeleuchtung und die elektronische Ausrüstung des Flughafens Gaza (7,5 Millionen).

Der Rat der EU-Außenminister beschloss bereits Anfang des Jahres, dass »die Europäische Union an die israelische Regierung appelliert, diese Praxis zu beenden, und sich das Recht auf Schadensersatz in angemessener Form vorbehält«. Die österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) erklärte: »Es muss klar sein, dass die EU eine Schmerzgrenze hat.« Eine Schmerzgrenze der Israelis bei antisemitischen Selbstmordattacken sieht die Außenministerin der rechtspopulistischen österreichischen Regierung mit ihren EU-KollegInnen dagegen nicht.

Das Europäische Parlament folgte im Februar der Linie des Rates, sich das Recht vorzubehalten, »finanzielle Entschädigung von der israelischen Regierung für Schäden an den palästinensischen Infrastrukturen einzufordern, deren Schaffung von der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten finanziert worden war«.

Für zerstörte Bombenbauwerkstätten forderte die EU bisher noch keinen Schadensersatz von der israelischen Regierung. Die Grenze ist aber fließend. Das für antisemitische Hetzpropaganda und Mordaufrufe benutzte Rundfunkgebäude wurde häufig genannt, wenn es um Schadensersatzforderungen an Israel geht.

Aus den EU-Kassen fließen noch heute Millionen Euro in die Palästinensergebiete, und gerade in den letzten Monaten wurden weitere Zusagen gemacht. Im Haushalt der Bundesrepublik Deutschland nehmen die Zahlungen für die palästinensischen Autonomiegebiete die Spitzenposition im Pro-Kopf-Vergleich mit anderen Empfängergebieten ein. Auf der Website des Auswärtigen Amtes heißt es: »Die EU-Hilfen für die Palästinensischen Gebiete, zu denen Deutschland rund 25 Prozent beiträgt, haben angesichts der Verschärfung der politischen und wirtschaftlichen Krisensituation im Nahen Osten eine wichtige stabilisierende Funktion. Nachdem mit Ausbruch der zweiten Intifada Israel den Transfer von Zoll- und Steuereinnahmen an die Palästinensische Autonomiebehörde eingestellt hatte, drohte deren finanzieller Zusammenbruch.«

Die Europäische Union zahlt also seit Juni 2001 nicht nur für einzelne Projekte, sondern auch für die laufenden Kosten der palästinensischen Autonomiebehörde. Während vor einiger Zeit nach jedem Selbstmordattentat die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates von der EU betont wurde, wird die Intifada jetzt noch finanziell belohnt.

Die Verwendung der Millionen bleibt weitgehend im Dunkeln. So sollten auf Bestellung der palästinensischen Autonomiebehörde im Januar 2002 mit dem Frachter Karine-A für zehn Millionen Dollar Waffen aus dem Iran in den Gaza-Streifen geliefert werden. Darunter befanden sich 2 200 Kilogramm Sprengstoff für Selbstmörderbomben - das ist dem Gewicht nach etwa fünfmal so viel, wie seit der Staatsgründung in Israel explodiert ist. Außerdem befanden sich in dem von der israelischen Armee geenterten Schiff zahlreiche Raketen, die bis zu 20 Kilometer weit reichen, Maschinengewehre, Minen, panzerbrechende Waffen und Granaten. Indizien für eine direkte europäische Finanzierung des Waffenkaufes gibt es nicht, allerdings finanziert die EU mit ihren Zahlungen an Arafat eine Behörde, die offensichtlich zehn Millionen Dollar für den Kauf von Waffen übrig hat.

Für den Nachweis, dass Geld der EU dieses Geschäft ermöglicht hat, braucht man keinen Überweisungsschein, der europäische Zahlungen an die Waffenhändler belegt. Für eine politische Bewertung der EU-Hilfen reicht der offensichtliche Eindruck, dass jede Förderung der EU den Spielraum vergrößert, diese oder eben andere Fördermittel aus arabischen Staaten für Waffengeschäfte einzusetzen.

Wie selbstverständlich die Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde davon ausgehen, dass die EU sie in ihrem Krieg gegen Israel unterstützt, macht auch eine Begebenheit auf dem Treffen der EU-Außenminister im April in Valencia deutlich. Neben einem Pauschalbetrag von 722 Millionen Dollar für die Institutionen der Autonomiebehörde wurden dort auch 15,5 Millionen Dollar für die Familien von toten Selbstmordattentätern verlangt. Die Welt zitiert einen »europäischen Diplomaten« mit den Worten: »Es ist ein Skandal, dass die Palästinenser die Frechheit haben, uns diese Forderung in dieser Form einzureichen.« Seine Aussage suggeriert, dass die Forderung in einer anderen Form, vielleicht als Pauschalzahlung für die Verwaltung, unbeanstandet genehmigt worden wäre.

Dafür spricht auch die vom EU-Außenkommissar Patten im eindeutigen Zusammenhang von Selbstmordattentaten formulierte Sorge um alle palästinensischen Familien, die eines ihrer Mitglieder beraubt wurden; diese Sorge ist genauso groß wie seine Sympathie für israelische Familien, die einen ihrer Angehörigen bei Selbstmordattentaten verloren haben.

Die Reaktion der EU auf weitere Beweise für die finanzielle Förderung von palästinensischen Terroristen mit EU-Mitteln ist dürftig. Keine Untersuchung, keine Konsequenzen, kein politisches Problembewusstsein, heißt die Schlussfolgerung des Kommissars Patten in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments. Der EU-Kommissar versteckt sich hinter legalistischen Haushaltsregeln der Europäischen Union, anstatt die politische Dimension der Terrorhilfen an die Palästinensische Autonomiebehörde ernst zu nehmen. Als eine Selbstverständlichkeit wird es hingegen angesehen, dass Israel den bei der Zerstörung der von der EU finanzierten palästinensischen Infrastruktur entstandenen Schaden ersetzen soll.

Im März 2002 bekundete das Europäische Parlament seine Bereitschaft, »beträchtliche Beiträge der Europäischen Union für die wirtschaftliche und politische Unterstützung der Region zu leisten, um die Suche nach einem gerechten und dauerhaften Frieden zu erleichtern«. Damit sind natürlich wieder nur Zahlungen an die Palästinenser gemeint, die nach Ansicht der parlamentarischen Mehrheit wohl auf der Suche nach dem Frieden sind.

Auch der Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, sieht in von Europa bezahlten palästinensischen Beamten erfolgreiche Friedensengel, wenn er die nächste Beihilfe in Höhe von 50 Millionen Euro für die Palästinenserbehörde bekannt gibt: »Sie ist Teil unserer langfristigen Hilfe für die Palästinenserbehörde, um die Haushaltsdefizite auszugleichen, aber unter den gegenwärtigen Umständen ist sie auch ein Zeichen unserer Unterstützung für eine Lösung auf dem Verhandlungsweg.« Neben den Zahlungen an seine Gegner verwendet die EU das Handelsabkommen als weiteres Druckmittel gegen Israel.

Die Europäische Union schloss mit Israel im Jahr 1995 ein Assoziierungsabkommen. Es enthält vor allem Vereinbarungen über wirtschaftliche Liberalisierung, freie Kapitalbewegungen, Wettbewerbsregeln und die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Ein regelmäßiger politischer Dialog und die soziale und kulturelle Zusammenarbeit stehen im Hintergrund. Das Europäische Parlament forderte im April 2002 »die Kommission und den Rat auf, unverzüglich den Assoziierungsrat EU-Israel einzuberufen, um der israelischen Regierung seinen Standpunkt darzulegen und sie aufzufordern, den jüngsten UN-Resolutionen Folge zu leisten und positiv auf die derzeit von der Europäischen Union unternommenen Bemühungen, eine friedliche Lösung des Konflikts herbeizuführen, zu reagieren«. Gleichzeitig forderte das Parlament den Rat und die Kommission auf, »das Europa-Mittelmeer-Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Israel auszusetzen«.

Auch mit der Androhung eines militärischen Eingriffs wird Israel unter Druck gesetzt. Das Konzept für einen Nahost-Einsatz der ab 2003 zur Verfügung stehenden EU-Interventionsarmee ist dem Plan zur Vertreibung der Serben aus dem Kosovo sehr ähnlich. Im Fall des Kosovo war das angebliche Massaker in Racak das Hauptargument für den militärischen Angriff auf einen in antifaschistischer Tradition stehenden Staat. Das palästinensische Racak sollte Jenin heißen, offensichtliche Lügen sollten hier wieder einen Einsatz für völkische, islamistische Interessen legitimieren. Diese Inszenierung wurde allerdings recht schnell von den Tatsachen eingeholt (siehe auch Jungle World, Nr. 18 bis 20/02).

In einer Resolution des Europäischen Parlaments vom April 2002 heißt es, »dass die Entsendung einer internationalen Interpositions- und Beobachtertruppe der Vereinten Nationen erwogen wird«. Noch bevor aber mit der Erwägung begonnen wurde, forderte das Parlament schon einmal »die Mitgliedsstaaten auf, unverzüglich ihren Beitrag zu dieser Truppe vorzubereiten«.

In den Ausführungen des Beauftragten für die gemeinsame EU-Außenpolitik, Javier Solana, vor dem Parlament oder des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder vor der Bundeswehr-Kommandeurstagung in Hannover wurde deutlich, dass eine Zustimmung zu dieser Resolution einer Zustimmung zu einem UN-Kampfeinsatz nach Kapitel VII der UN-Charta gleichkommt.

Die PDS-Gruppe im Europäischen Parlament stimmte trotzdem zu, distanzierte sich dann aber in einer Erklärung davon und will nur UN-Blauhelme nach Artikel VI zur Absicherung eines Waffenstillstandes in den Nahen Osten schicken. In der PDS wird offensichtlich bereits die von manchen Grünen bei Kriegsentscheidungen des Bundestages bekannte Strategie geübt: für Kriegseinsätze stimmen und danach erklären, dass man ja eigentlich dagegen ist.

Die palästinensischen Attentate in Israel spielen in der Diskussion der Fraktion Vereinigte Linke (der sowohl die PDS-Abgeordneten als auch die Autorin angehören) kaum eine Rolle. Als ob Israel die Attentäter bestellen oder zumindest begrüßen würde, erklärt der Fraktionsvorsitzende Francis Wurtz: »Die Regierung Sharon wartete nur auf einen Vorwand, um mit dieser offenbar gründlich vorbereiteten Offensive zu beginnen.« Mit dieser Äußerung kommt er einem antisemitischen Argumentationsmuster, mit dem Juden für den Antisemitismus selbst verantwortlich sind oder ihn als »Vorwand« benutzen, gefährlich nahe.

Mit ihrer einseitigen Position ist die überwältigende Fraktionsmehrheit der Vereinigten Linken im Europäischen Parlament nicht allein. Der grüne Abgeordnete Per Garthon meint, das israelische Vorgehen rechtfertige dem Boykott Südafrikas und dem Eingreifen im Kosovo ähnliche Reaktionen. Auf einer von der Vereinigten Linken und den Grünen gemeinsam veranstalteten Konferenz fragte er die Gäste aus Israel schon einmal, ob denn europäische Beobachtertruppen, wenn sie ohne Zustimmung Israels versuchten, in Gaza zu landen, wohl von der israelischen Armee beschossen würden.

Die sozialdemokratische Fraktion fordert indes die israelische Arbeiterpartei auf, die amtierende israelische Regierungskoalition zu verlassen, und droht im Falle der Nichtbefolgung ihres Ratschlags mit dem Ausschluss aus der sozialistischen Internationale. Diese Drohung sprechen jene sozialdemokratischen Parteiführer aus, die Angriffe auf Jugoslawien befohlen haben, bei denen recht wahllos aus der Luft bombardiert wurde. Die Zahl der eigenen Opfer wird so minimiert, während die Toten auf der Gegenseite als Kollateralschäden verbucht werden können.

Die ständige Vertretung der Liga der arabischen Staaten in Brüssel hat also allen Anlass, »die europäischen Positionen im Hinblick auf die Unterstützung des palästinensischen Volkes und seiner gewählten Führer« zu begrüßen. Die Aufforderung der Vertretung an die EU, ihre Anstrengungen fortzuführen, um »den Angriffen ein Ende zu setzen«, und die Entsendung einer Eingreiftruppe zu ermöglichen, um »den Schutz des palästinensischen Volkes sicherzustellen«, sind Erfolg versprechend.

Dass der Schutz der Palästinenser die einseitige Aufgabe einer UN-Mission sein würde, ist ein unausgesprochener Konsens in Brüssel. Niemals hätte man sich über eine Eingreiftruppe Gedanken gemacht, hätten nur die organisierten palästinensischen SelbstmordattentäterInnen ihre Morde an Israelis begangen. Der Krieg beginnt für viele europäische PolitikerInnen erst in dem Moment, in dem der Staat Israel gegen halbstaatlichen Terrorismus vorgeht.

Für eine den eigenen Interessen entsprechende, militärische Außenpolitik findet die deutsche Regierung in Brüssel fruchtbaren Boden. Selbst der Focus hat die Absichten des deutschen Bundeskanzlers erkannt: »Schröder tastet sich an das letzte Tabu deutscher Außen- und Militärpolitik nach Adolf Hitler heran.« Dieses rot-grüne Projekt lässt sich leichter mit einer von der EU zusammengestellten und an maßgeblichen Positionen von Deutschen geführten Armee bewerkstelligen als unter der schwarz-rot-goldenen Fahne. Und wenn der Konsens wenigstens bei den entscheidenenden Abstimmungen bis zur PDS reicht, dann ist das umso besser für die Tabubrecher.

Ilka Schröder ist Mitglied des Europäischen Parlaments.