Das südliche Afrika vor einer Hungersnot

Der Mais und sein Preis

Im südlichen Afrika sind Millionen Menschen von einer Hungersnot bedroht. Die Liberalisierung der Agrarmärkte hat zu dieser Krise und zum Versagen der afrikanischen Staaten beigetragen.

In einer Krise gibt es immer auch Gewinner. »Die Regierung Zimbabwes hat genetisch modifizierten Mais aus den Vereinigten Staaten angenommen«, frohlockte am Mittwoch vergangener Woche Walter Kansteiner, der Staatssekretär für Afrika im US-Außenministerium. Wegen der gesundheitlichen Risiken und der Gefährdung von Exporten in Länder, in denen genetisch veränderte Nahrungsmittel umstritten oder verboten sind, hatte Zimbabwe die angebotenen 20 000 Tonnen Mais zunächst abgelehnt. Die drohende Hungersnot zwang die Regierung nun, ihre Meinung zu ändern.

Die USA hatten bereits im Juni auf dem Welternährungsgipfel in Rom recht erfolgreich für ihre genetisch modifizierten Agrarprodukte geworben. »Wir sind hier, um Biotech zu verkaufen, und das haben wir getan«, erklärte ein Teilnehmer der US-Delegation damals dem Guardian Weekly. Um die Ursachen und die Eindämmung der akuten Ernährungskrise in 19 afrikanischen Staaten ging es in Rom nur am Rande. Daran dürfte sich Ende August auf der UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg wenig ändern.

Allein sieben Millionen Menschen in sechs Ländern des südlichen Afrikas benötigen nach Schätzungen des United Nations World Food Programme (WFP) sofortige Nahrungsmittelhilfe. Bis zum Ende des Jahres könnte die Zahl der Bedürftigen auf dreizehn Millionen steigen, fast die Hälfte von ihnen lebt in Zimbabwe. In Lesotho, Malawi, Swaziland, Mosambik, Zambia und Zimbabwe fehlen nach Angaben des WFP zur Versorgung der Bevölkerung bis März rund vier Millionen Tonnen Getreide. Für fast drei Viertel dieser Menge wollen die betroffenen Länder mit staatlichen Programmen und kommerziellen Importen selbst aufkommen. Das WFP plant, 1,2 Millionen Tonnen beizusteuern und gibt den finanziellen Bedarf für diese Nothilfe mit 507 Millionen US-Dollar an.

Die Landwirtschaft in der Region wird seit drei Jahren durch Dürre, heftige Regenfälle oder Frost im hoch gelegenen Lesotho schwer geschädigt. Für eine Erklärung des Notstandes reichen die schlechten klimatischen Bedingungen allerdings nicht aus. Das nationalistische Regime in Zimbabwe, die korrupte Staatsklasse in Malawi, die Militärjunta in Angola oder die durch zweifelhafte Wahlen an die Macht gekommene Regierung Zambias wurden von bürgerlich-liberalen Kommentatoren schnell als Hauptverantwortliche der derzeitigen Krise ausgemacht. Ihnen gehe es ausschließlich um Machterhalt, persönliche Bereicherung und die Unterdrückung der demokratischen Opposition, sie hätten ihre Länder heruntergewirtschaftet.

Es blieb der Financial Times vorbehalten, auf strukturelle Ursachen hinzuweisen. Das Hauptnahrungsmittel Mais ist derzeit zwar oft noch erhältlich, doch für die Masse der Bevölkerung unerschwinglich. Der Wertverlust des südafrikanischen Rand gegenüber dem US-Dollar im vergangenen Jahr sei der wichtigste Faktor für die Preisexplosion, sagte Bully Botma, der Vorsitzende des Verbandes der südafrikanischen Maisfarmer GrainSA.

Die ausfallenden Exporte von Tausenden in Zimbabwe enteigneten Großfarmen hätten ein Übriges getan. In Malawi übersteigt dem WFP zufolge der Preis für Mais die tägliche Kaufkraft einer durchschnittlichen Familie um das Dreifache. Der Getreidehandel sei »die extremste Form des freien Marktes. Die Maispreise werden nach Angebot und Nachfrage festgelegt, und im Moment ist die Nachfrage sehr hoch«, stellte Botma fest.

Wichtige Akteure auf diesem »freien Markt« sind freilich die Industrieländer. Mit einer Milliarde US-Dollar täglich, einem doppelt so hohen Betrag, wie ihn das WFP für das gegenwärtige Hilfsprogramm jährlich benötigt, subventionieren die Regierungen der OECD-Staaten die einheimische Agrarwirtschaft. Gleichzeitig schränkt die Weltbank, auch im südlichen Afrika der wichtigste Kreditgeber, die Programme für ländliche Entwicklung seit dem Beginn der neunziger Jahre kontinuierlich ein, wie das International Food Policy Research Institute kritisiert. Die Liberalisierung des Agrarsektors als Gegenleistung für Kredite habe in Malawi dazu geführt, dass weder der Staat noch die Privatwirtschaft die Versorgung mit Nahrungsmitteln gewährleisten können.

Diese Wirtschaftsdoktrin, die vom Süden die Öffnung der Märkte verlangt und die Märkte der Industriestaaten gegen eventuell konkurrenzfähige Produkte abschottet, ist eine wichtige Ursache für den Umbau der Staaten im südlichen Afrika. Den öffentlichen Haushalten standen mit der Strukturanpassung der achtziger und neunziger Jahre immer weniger Mittel zur Verfügung, um in die Infrastruktur oder in den Bildungs- und Gesundheitsbereich zu investieren. Sinkende Weltmarktpreise z.B. für zambisches Kupfer oder die Schließung unrentabler südafrikanischer Minen, in denen viele Männer aus Lesotho beschäftigt waren, geben den Nationalökonomien den Rest. Die Verelendung gegenüber den weltwirtschaftlichen Zentren verstärkt sich wegen der Dominanz des regionalen Hegemon Südafrika.

Als die finanziellen Ressourcen der postkolonialen Staatsklasse schwanden, musste deren Legitimation und die Verteilung des verbliebenen gesellschaftlichen Reichtums anders organisiert werden, als es den Idealvorstellungen vom bürgerlichen Staat nach westlichem Vorbild entspricht. Mit der Strukturanpassungspolitik beschleunigte sich die Klientelisierung der Herrschaftsstrukturen.

Politische Gefolgschaft wird nun vor allem entlang vertikaler gesellschaftlicher Beziehungen - Verwandtschaft, gemeinsames Herkunftsgebiet, ethnische Identitäten - durch die direkte Vermittlung materieller Vergünstigungen erkauft. Der Ausschluss der Oppositionellen von der Nahrungsmittelhilfe, von dem in Zimbabwe berichtet wird, oder die mafiöse Spekulation mit Maisvorräten in Malawi, nachdem die gesamte staatliche Reserve verhökert wurde, sind lediglich besonders krasse Erscheinungen einer auch zu besseren Zeiten alltäglichen Praxis.

In Zimbabwe ist dieser Prozess der Informalisierung staatlicher Herrschaft besonders rasant verlaufen. Die Liberalisierung Anfang der neunziger Jahre konnte die strukturellen Probleme der Wirtschaft nicht lösen, sondern beschleunigte die Verarmung. Als die Macht der Staatspartei deshalb in Gefahr geriet, betrieb diese gezielt die Schwächung formeller Institutionen und band landlose Bauern durch die Verteilung enteigneter Großfarmen an sich.

In den Ländern Zentral- und Westafrikas wie den beiden Kongo-Staaten, Angola, Liberia und auch Sierra Leone, in denen recht leicht transportable Ressourcen wie Offshore-Öl oder Mineralien und nicht die Landwirtschaft die Grundlage der patrimonialen Herrschaft bilden, zeigt sich der Klientelstaat in seiner extremen Form als gang-rule, als offen mafiöse Herrschaft. Unter diesen Bedingungen können Machthaber von der Bevölkerung nur schwer auf gesellschaftliche Mindestnormen wie die Sicherstellung einer ausreichenden Ernährung für alle verpflichtet werden.