Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Theodor W. Adorno

»Ein Communist wie Doctor Männ«

Der Briefwechsel zwischen Theodor W. Adorno und Thomas Mann aus den Jahren 1943 bis 1955 zeigt einen politischen Schriftsteller und einen optimistischen Philosophen.

Ende des letzten Jahres sollte Thomas Mann doch noch für Deutschland gerettet werden. Heinrich Breloer setzte sein dreiteiliges Dokudrama »Die Manns« in die Welt, begleitet von einem Spiegel-Titel (Jungle World, 50/01). Diesen Unternehmungen war die Absicht gemein, Thomas Mann zu entpolitisieren. Der Dichter wurde als entrückter Greis vorgeführt, mit autoritär-skurrilen Zügen und homophilen Neigungen. Allerdings konnte Breloers Mann so schön aufs Papier zaubern, wie nach ihm sonst keiner mehr. Diese gefällige Darstellung räumte alles ab, was es hierzulande an Filmpreisen gibt: den deutschen und den bayerischen Filmpreis in vielen Kategorien und auch noch einige Grimme-Preise.

Nun ist ein Briefwechsel erschienen, in dem sich das finden lässt, was Breloer unterschlagen musste. Das beginnt schon bei der Person Theodor W. Adornos, der in dem Dreiteiler nicht erscheint, obwohl er maßgeblichen Einfluss auf Manns großen Deutschland-Roman »Doktor Faustus« hatte.

Die beiden Briefpartner fanden sich 1943 im kalifornischen Exil. Mann lebte dort als der bekannteste Repräsentant deutscher, antinationalsozialistischer Kultur im Ausland, zumal er 1929 den Nobelpreis erhalten hatte. Bei Recherchen zu »Doktor Faustus« studierte er die »Philosophie der modernen Musik« des 1933 arbeitslos gewordenen und vertriebenen jüdischen Privatdozenten Theodor W. Adorno. Mann benötigte unbedingt »fachliche Exaktheiten« eines kompetenten Gesprächspartners, um die musiktheoretische Konzeption des Romans zu gestalten.

Der Roman erzählt »Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn« (Untertitel), der einen Pakt mit dem Teufel schließt. Leverkühn ist ein romantischer Nachtschwärmer und der Typus des deutschen Künstlers, der in einem irrationalen Rausch seine Werke aus sich hervorbringt. Mann zeichnet aber vor allem ein Zeitpanorama des deutschen Faschismus und dessen Vorgeschichte. So berichtet der Erzähler im Laufe des Romans mehr und mehr von den Zuständen im Nationalsozialismus auf dem Weg zur Hölle. Die Zusammenarbeit mit Adorno war hier entscheidend, da Mann klar war, dass er mit seiner Vorliebe für Schopenhauer-Wagner-Nietzsche bei seinem Romanvorhaben nicht weit kommen würde. Heute gilt dieses Buch als deutlichster Zeitkommentar innerhalb seines literarischen Werkes.

Von diesen Schwierigkeiten handelt der Beginn der Korrespondenz. Die ersten Briefe zeugen von wohlwollender Freundlichkeit und gegenseitiger Neugier, hier laufen sich beide warm, um gemeinsam die komplizierte Konstruktion des Romans zu bewerkstelligen. Die Merkwürdigkeit dieser ungleichen Konstellation, hier der bekannte Dichter, dort der noch recht unbekannte Philosoph der Moderne, erkennt auch Adorno: »Als ich Sie, hier an der entlegenen Westküste, treffen durfte, hatte ich das Gefühl, zum ersten und einzigen Mal jener deutschen Tradition leibhaftig zu begegnen, von der ich alles empfangen habe: noch die Kraft, der Tradition zu widerstehen. Dies Gefühl und das Glück, das es gewährt - Theologen würden von Segen sprechen - wird mich nie mehr verlassen. Im Sommer 1921 bin ich einmal, in Kampen, unbemerkt einen langen Spaziergang hinter Ihnen hergegangen und habe mir ausgedacht, wie es wäre, wenn sie nun zu mir sprächen. Dass sie zwanzig Jahre später wahrhaft zu mir gesprochen haben, das ist ein Stück verwirklichter Utopie, wie es einem kaum je zuteil wird.«

Die Zusammenarbeit wird mit Befremden registriert und in Deutschland in einer Rezension von 1949 als »Teufelspakt« kommentiert, »durch den Thomas Mann dem 'Teufel der Dialektik' verfallen sei«.

Als Adorno nach Deutschland zurückgekehrt war und seine Lehrtätigkeit in Frankfurt wieder aufgenommen hatte, berichtete er: »'Wir Deutschen', sagte treuherzig ein im übrigen wirklich anständiger Schüler von mir, 'haben den Antisemitismus nie ernst genommen.' Er meinte es ehrlich, aber ich musste ihn an Auschwitz erinnern. Das Verhältnis zu diesen Dingen gerade ist das aufschlussreichste. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass alle die, welche irgend sich mit der Hitlerei oder dem neugetönten Nationalismus identifizieren, standhaft behaupten, sie hätten von dem Äußersten während des ganzen Krieges nichts gewusst - während die bewussten Oppositionellen einem bestätigen, was die einfachste Menschenvernunft sagt: dass man in Wahrheit seit 1943 alles wusste. (...) Wenn ich aufrichtig bin, muss ich sagen, dass es immer erst der Reflexion bedarf, um mich daran zu erinnern, dass der Nachbar in der Trambahn ein Henker gewesen sein kann.«

Thomas Mann hört die Nachrichten aus Deutschland mit Interesse, bleibt aber in der Ferne: »Nach Deutschland bringen mich keine zehn Pferde. Der Geist des Landes ist mir widerwärtig, die Mischung aus Miserabilität und Frechheit aufgrund vorzüglicher Aussichten abstoßend. Man ist im Grunde das Vorzugskind der Welt. Amerika steht dahinter, der Schumann-Plan ist nichts als der abgekartete Entwurf eines deutschen Europa unter amerikanischer Protektion, und Gängelung, die aber den Amerikanern entgleiten wird. Ihre Äußerungen über das Land , wo sie zu Zeit wirken, schlugen zu sehr in die prodeutsche Kerbe - scheinbar.«

Hier zeigen sich die faszinierenden Momente des Briefwechsels. Mann ist der wesentlich pessimistischere, weil realistischere Betrachter. Eben ein »altersstarrer Unheilsprophet« (die FAZ in ihrer Rezension des Briefwechsels). Während Adorno, als negativer Dialektiker bekannt, vom Enthusiasmus seiner Schüler ermutigt, paradoxerweise den positiven, bejahenden Part der Diskussion übernimmt. Aber auch die Mär von dem nicht zum politischen Denken befähigten Dichter ist nicht aufrecht zu halten, wo doch so langwierige Prozesse wie ein Europa unter deutscher Hegemonie von Mann schon 1950 vorhergesehen werden.

Verloren geben beide das »bereits faschistische Amerika«, welches unter McCarthy die bürgerlichen Freiheiten einkassiert und die antifaschistischen Intellektuellen vor den Ausschuss für unamerikanische Umtriebe zitiert. Hier wenden sich die Perspektive und die Vorzeichen. War das alte Europa bis 1945 noch von der Barbarei okkupiert, rüsten sich nun die USA im Besitz der Bombe zum Kalten Krieg. Und das lebensrettende Exil wird zum unfreien Hort. So beklagt Thomas Mann gegenüber Adorno, dass »ein Communist wie Doctor Männ« keine öffentlichen Räume mehr bekommt, und deshalb geht er aus eigenem Antrieb in ein weiteres Exil, die Schweiz.

Die Briefpartner werden sich nicht mehr wiedersehen. Es rührt den Leser, wie die beiden sich auf ihren häufigen Vortragsreisen quer durch den Kontinent verfehlen. Dennoch nehmen sie das Werk des anderen genau zur Kenntnis. »Was für eine glückliche Form, der long aphorism oder short essay Ihrer Minima Moralia! Habe ich Ihnen je für das Buch gedankt? Ich habe Tage lang an dem Buch magnetisch festgehangen, es ist, jeden Tag wieder, eine faszinierende Lektüre, aber doch nur in kleinen Schlucken zu genießen, konzentrierteste Kost.« Und Adorno spornt den öfters über die Zeitgemäßheit seiner Romane verunsicherten Mann an: »Die Souveränität gegenüber der gesamten humanistischen Tradition, die Sie als deren eigenster Träger dabei bewähren, ist großartig. Ich glaube, erst allmählich wird das sich entfalten, was in dieser wirklich inkommensurablen Produktion steckt.«

Das kann auch für den Briefwechsel gelten. Eröffnet er doch äußerst interessante Perspektiven auf die beiden Teilnehmer, deren Werke als schwer zugänglich gelten. In den Briefen äußern sie sich knapp und scharf über die unsäglich dämliche Tagespolitik, den nicht minder blöden Literaturbetrieb mit seinen willfährigen Heroendarstellern. Das sind erfrischende Bosheiten gegen die Morgenluft schnuppernde Intelligenz, die nach der Stunde Null sofort das neue Deutschland schaffen will, ohne das mindeste Interesse, eine Konsequenz aus den begangenen Verbrechen zu ziehen.

Es war eine einzigartige Konstellation, ein »Dream Team«, das sich hier gegenseitig die Bälle zuspielte. Durch den ausführlichen Kommentar, der die behandelten Textstellen und Zeitungsartikel zitiert, kann man sich als Leser den Schriftwechsel gut erschließen und die Diskussion mit großem Genuss verfolgen. Gerade deshalb sollte dies Buch ein Vademecum werden. Denn verfilmt wird es wohl nicht.

Theodor W. Adorno / Thomas Mann: Briefwechsel 1943-1955. Hg. von Christoph Gödde und Thomas Sprecher. Suhrkamp, Frankfurt/a.M. 2002, 179 S., 24,90 Euro