Kurdische Parteien profitieren vom Transithandel

Schmuggel in der Grauzone

Durch das wilde Kurdistan, Teil I: In der nordirakischen Autonomieregion profitiert vor allem die Demokratische Partei Kurdistans vom Transithandel. Die Bevölkerung ist von Zuwendungen der Uno abhängig.

Die Schlange vor der kleinen unscheinbaren Hütte am Tigris ist lang, Familien mit Kindern und viel Gepäck stehen in der gleißenden Sonne. Straßenverkäufer haben hier längst eine Einnahmequelle entdeckt. Kinder bieten gekühlte Getränke und Eis für die Wartenden an, denn im Sommer dauert die Abfertigung an der syrischen Grenze zum Norden des Irak zwischen zwei und drei Stunden.

Die meisten der Reisenden sind Immigranten aus der Region, Kurden, Araber, Assyrer oder Turkmenen, die in den vergangenen 20 Jahren vor der Verfolgung des irakischen Regimes, aber auch vor den Kämpfen der kurdischen Parteien untereinander, ins Ausland flohen. Viele haben schwedische, österreichische, deutsche, australische und andere Pässe, setzen aber jedes Jahr in den Sommermonaten für ihren Jahresurlaub über diesen Fluss.

Vor der Überfahrt in kleinen, wackligen Holzbooten mit dröhnenden Motoren muss jeder in eine Hütte treten. Zwei syrische Beamte sitzen unter einem Ventilator vor einem großen Buch, in dem es Listen mit Namen und Nummern gibt. Die Reisenden bekommen zwar keinen Ausreisestempel in ihre Papiere, müssen aber eine Nummer vorzeigen. Nur wenn sie im großen Buch gefunden wird, wünschen die Beamten des syrischen Geheimdienstes eine gute Reise.

Das ist der formelle, aber nicht offizielle Vorgang, um von Syrien in den Nordirak zu reisen, vorher haben alle Besucher über eine der Parteien im Nordirak beim syrischen Geheimdienst eine Sondergenehmigung beantragt. Sie besteht aus einem Zettel mit eben dieser entscheidenden Nummer, die in der Regel innerhalb von zwei bis drei Wochen in Damaskus erteilt wird. Die Syrer haben so einen Überblick, wer den Fluss überquert und was transportiert wird.

Ein kurdischer Chirurg steht enttäuscht vor der Hütte. Er muss ein Set mit chirurgischen Instrumenten, das für ein Krankenhaus in Suleymania bestimmt war, zurücklassen, denn er hat dafür keine Sondergenehmigung. Skalpelle und andere Geräte sind den Beamten an der Grenze offensichtlich zu gefährlich, um sie als einfaches Handgepäck durchzulassen.

Zwei britische Entminungsexperten dagegen lassen in bester Laune riesige Pakete in die schwankenden Boote laden. Das Werkzeug zum Entschärfen von Tretbomben wurde vom syrischen Sicherheitsdienst in Damaskus geprüft und darf nun passieren. Ein illegaler, aber völlig gewöhnlicher Vorgang. Durchschnittlich 40 000 Urlauber, Geschäftsleute, Wissenschaftler und Vertreter von NGO überqueren in jedem Jahr diesen Fluss.

Auf der anderen Seite werden sie von den Peshmerga-Soldaten der von Massoud Barzani geführten Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) empfangen. Der Checkpoint Fych Khabur besteht aus einem kleinen Gebäudekomplex am Ufer, an der Pforte prangt ein Schild: »Welcome to Iraqi Kurdistan«. Das Schild symbolisiert die absurde Situation der Region. Völkerrechtlich gibt es kein Kurdistan. Die »autonome Region Kurdistan« entstand mit der UN-Schutzzone, die 1991 eingerichtet wurde, um Vergeltungsschläge der irakischen Armee zu verhindern.

In den siebziger und achtziger Jahren war die Region immer wieder ein Schauplatz staatlicher Pogrome, nach der irakischen Niederlage im zweiten Golfkrieg erhob sich die Bevölkerung gegen das Regime. Im Norden entstand ein autonomes Gebiet, keineswegs ein Garten Eden, sondern ein unter Interessengruppen umkämpftes Gebilde, das von der KDP und der konkurrierenden Patriotischen Union Kurdistans (Puk) dominiert wird.

Der Grenzübergang Fysh Khabur liegt im Gebiet der KDP, die etwa zwei Drittel der Region verwaltet. Die Hauptstraße in die Provinzhauptstadt Arbil führt an Zakho vorbei, der nördlichsten größeren Stadt an der türkischen Grenze. Zakho wirkt wie ein großer Fuhrpark. Überall parken Tank- und Lastwagen, sie tanken auf, laden Waren ab oder dienen als Schlafplatz für übermüdete Fahrer, die Öl und Diesel aus den irakischen Ölfeldern um Mossul und Kirkuk in die Türkei transportieren.

Von Zakho bis zum Grenzübergang Ibraheem Khaleel-Habur an der türkischen Grenze stauen sich zehn Kilometer lang auf der kurdischen Seite die Tanklastwagen. Immer wieder wird der Grenzübergang Habur für ein bis zwei Tage geschlossen. Am Straßenrand herrscht Campingatmosphäre, trotz der explosiven Ladung wird fröhlich gegrillt und geraucht. Der Grenzverkehr in die Türkei wird nicht von den UN-Kontrollen des Oil-for-Food-Programms erfasst, die den Handel mit dem Irak theoretisch beschränken. Die Zölle, die die Kurden hier trotzdem kassieren, wandern in die Kassen der KDP, in deren Gebiet der Grenzübergang liegt.

Daneben verläuft noch die Pipeline Kirkuk-Jumur-Talik durch das KDP-Gebiet, durch die der Irak seit Jahren munter mit Wissen aller Beteiligten in der Region und auch der Uno Öl in die Türkei schmuggelt. Die Zölle werden an die KDP gezahlt, die eine Million Dollar pro Tag verdiente, bis das irakische Regime vor zwei Monate den Transport um 50 Prozent drosselte.

In der Provinzhauptstadt Arbil sind überall die Spuren vergangener Gefechte zu sehen. Im Torbogen der Zitadelle ist ein vom Artilleriebeschuss verursachtes Loch. Das Hawler, vor dem kurdischen Aufstand von 1991 ein irakisches Prachthotel, ist nur noch eine von Einschüssen durchlöcherte Ruine. Diese Spuren stammen allerdings nicht aus dem Krieg gegen die irakische Armee, sondern sind eine Folge der jahrelangen Kämpfe zwischen KDP und Puk.

Nur ein Jahr lang tagten beide Parteien mit Vertretern der Assyrer und der Islamischen Union Kurdistans regelmäßig im Parlament von Arbil. Doch beide Gruppen stritten sich seit 1992 vor allem um Pfründe. Die KDP verweigert der Puk bis heute eine Beteiligung an den Zolleinnahmen, der einzigen großen Geldquelle außer den UN-Zuwendungen. Die Puk dreht regelmäßig den Strom in Arbil ab, denn sie kontrolliert die Dämme von Dokan und Darbandykan und die dortige Elektrizitätsdistribution.

1996 besetzte die Puk schließlich Arbil, Massoud Barzani rief die irakische Armee zu Hilfe. Für 24 Stunden wurden große Teile der Region besetzt und Hunderte von Oppositionellen vor allem in Suleymania verschleppt oder gleich an Ort und Stelle exekutiert. Der Bevölkerung wurde vor Augen geführt, wie wenig die Schutzversprechen der einstigen Anti-Irak-Koalition wert waren. 48 Stunden später schlugen zwar US-amerikanische Cruise Missiles in Bagdad ein, jede Hilfe für die Oppositionellen im Nordirak blieb jedoch aus.

Das Innere der historischen Zitadelle von Arbil wirkt wie ein großer Slum. Die Häuser sind verfallen, die Menschen ärmlich gekleidet, Kinder spielen an schmutzigen Tümpeln mit Enten. Hier wohnen viele deportierte Familien. Im Rahmen der seit Jahren andauernden Politik der ethnischen Säuberung hat die irakische Regierung 700 000 Menschen vor allem aus den ölreichen Regionen Kirkuk und Mossul, aber auch aus dem Marschland im Süden nach der Konfiszierung ihrer Güter in die Autonomieregion abgeschoben.

Hamdi Reza ist ein Kurde aus Kirkuk, seine Frau ist Turkmenin und mit dem fünften Kind schwanger. Im Juli wurden sie abgeschoben. Der 36jährige baut im Garten ehemaliger Nachbarn, die vor einem halben Jahr abgeschoben wurden, eine Hütte aus Lehmziegelstein. Die Familie braucht ein Dach über dem Kopf, im Sommer wird es auch ausreichen, doch wenn es im Winter regnet, ist Arbil und vor allem das Innere der Zitadelle eine schlammige Kloake.

Hamdi arbeitete 15 Jahre lang bei der irakischen Eisenbahngesellschaft. Nach seiner Pensionierung bekam er Probleme, denn er war kein Mitglied der Baath-Partei und weigerte sich, in die »Armee zur Befreiung Jerusalems« einzutreten. Das ist ein Teil der irakischen Armee, in den die Minderheiten einzutreten genötigt werden und die bei militärischen Einsätzen die »Vorhut« bilden soll. Hamdi befürwortet einen amerikanischen Militäreinsatz in der Region. Er wünscht sich nichts mehr als ein Verschwinden des Diktators.

Die Nachbarn im Viertel reagieren zurückhaltender. Sie leben nun teilweise schon seit Jahren in Frieden, arm, aber von den UN-Hilfsgütern am Leben erhalten. Sie wollen keinen Krieg, der ihre Sicherheit gefährden könnte. »Wer weiß, vielleicht verschwindet die Uno dann von hier«, fürchtet die 53jährige Alba. Sie konnte im Rahmen eines NGO-Programms zur Förderung von Witwenhaushalten eine kleine, aus einer Nähmaschine bestehende Schneiderei aufbauen, in der sie vor allem Kleidungsstücke aus Hilfsgütersammlungen umnäht, die von Großhändlern verschoben und auf dem Basar billig verkauft werden.

Mit derartigen Einkünften und der monatlichen Lebensmittelration aus dem Oil-for-Food-Programm kann sie überleben, eine Tochter hilft in der Schneiderei, ein Sohn liefert die Ware aus, es reicht gerade. Wie die meisten Armen kann sie sich ein Verschwinden dieser Hilfsstrukturen nicht mehr vorstellen, es würde für sie eine existenzielle Katastrophe bedeuten.