Zum Tod von Pietro Valpreda

Viel zu spät entlastet

Anfang Juli starb Pietro Valpreda, der zu Unrecht beschuldigt wurde, 1969 das Massaker in der Mailänder Landwirtschaftsbank begangen zu haben. Bald soll das Verfahren neu aufgerollt werden.

Es sind wirklich viele. Dicht aneinander gedrängt stehen sie in einem kleinen Hof, einem Vorraum und zwei großen Sälen, bis hinaus auf den Gehsteig vor dem Gebäude des Anarchistenzirkels Ponte della Ghisolfa und der Mailänder Federazione Anarchica Italiana. Es ist der 8. Juli, 2000 Personen wollen Pietro Valpreda, der am Morgen des Vortages einem Krebsleiden erlegen ist, das letzte Geleit geben.

So verabschiedet sich der »anarchistische Tänzer«, der beschuldigt wurde, Urheber des Blutbads vom 12. Dezember 1969 in der nationalen Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana in Mailand gewesen zu sein. Ein Ereignis, das italienische Geschichte geschrieben hat. Ein Massaker, das 17 Tote und über 80 Verletzte forderte.

Valpreda wurde beschuldigt und in den Knast gesperrt, 1972 schließlich freigelassen und 1985 endgültig freigesprochen. Und zwar mit der scheinheiligen Begründung des Beweismangels. Er wurde, zu seinem eigenen Bedauern, ein lebendes Symbol für die »Kriminalität der Macht«.

Valpreda war 36, als er in eine viel zu große Geschichte verwickelt wurde. Es war etwas in Gang gesetzt worden, das die Linkswende im Land beenden sollte. Etwas, an dem Regierende, Parlamentarier, Polizei und Carabinieri, italienische und amerikanische Geheimdienste beteiligt waren; alle im Bestreben vereint, Italien, das nicht der Kontrolle der Vereinigten Staaten entkommen durfte, einen Rückwärtsgang zu verordnen.

1969 gab es in Italien eine Reihe kleiner und großer Anschläge, 140 insgesamt. Am 25. April explodierten zwei Bomben in Mailand. Eine an der Wechselstube der Banca nazionale delle communicazioni im Hauptbahnhof, die andere am Fiat-Pavillon auf der Mustermesse. Es gab keine Toten, aber über 20 Verletzte. Am 8. August gingen in acht Zügen Bomben hoch. Das Ergebnis entsprach jedoch nicht den Erwartungen der Attentäter; es gab »bloß« zwölf Verletzte.

Schließlich kam der 12. Dezember. Um 16.37 Uhr explodierte in Mailand, in der Halle der Landwirtschaftsbank, eine Bombe. Eine andere, die nicht zündete, wurde in der Nähe der italienischen Handelsbank gefunden, zwei weitere in Rom. Zwischen 16.40 und 16.55 Uhr verletzte eine schwere Detonation im unterirdischen Korridor der Banca nazionale del lavoro 14 Angestellte des Instituts. Um 17.20 Uhr explodierten zwei minder starke Sprengsätze am Denkmal des Unbekannten Soldaten. Es gab vier Verletzte.

Es war der Höhepunkt dessen, was später als »Strategie der Spannung« bezeichnet werden sollte. Wegen all dieser Attentate versuchten Polizei, Carabinieri und Geheimdienste die Anarchisten in die Zange zu nehmen. Als Reaktion auf das Attentat am 25. April verhaftete man vier junge Libertäre. Sie wurden im Mai 1971 freigesprochen.

Für das Zugattentat vom August versuchte die Mailänder Polizei den Anarchisten Giuseppe Pinelli verantwortlich zu machen. Das gelang ihr zwar nicht, doch Pinellis eigene Geschichte endete in der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 1969. Er »flog« aus dem vierten Stock des Mailänder Polizeipräsidiums und blieb zerschmettert im Hof liegen. Ein Fall, den der Richter Gerardo D'Ambrosio, der heute die Mailänder Staatsanwaltschaft leitet, 1975 endgültig mit dem Freispruch aller Verdächtigen, die Pinelli zum Zeitpunkt seines denkwürdigen »Fluges« verhörten, abschloss. Er entschied, dass Pinelli infolge eines Unwohlseins gestorben sei, das ihn befiel, während er in einer Verhörpause vor der Balkontür in Kommissar Luigi Calabresis Zimmer stand. Ein Unwohlsein, das ihn, statt am Boden zusammenzubrechen, einen Sprung über die Fensterbank vollbringen ließ. Es wurde »aktives Unwohlsein« genannt.

Just als Pinelli starb, wurde Valpreda verhaftet und beschuldigt, der Urheber des Blutbads an der Piazza Fontana zu sein. Es gab einen »Superzeugen«, den Taxifahrer Cornelio Rolandi, der behauptete, ihn von der Piazza Beccaria vor das Bankgebäude gefahren zu haben. Er sah ihn angeblich mit einer schwarzen Tasche das Gebäude betreten, und eine Minute später wollte er ihn ohne Tasche zur via Albricci gefahren haben. Alles in allem eine Fahrt von etwas mehr als 100 Metern.

Nun entwickelte sich aus dieser Zeugenaussage eine von den Richtern Vittorio Occorsio und Ernesto Curdillo geführte Ermittlung, die voller Mängel war, deren Ergebnisse sich aber bis zu den ersten Verhandlungstagen des Prozesses in Rom aufrechterhalten ließen. Die Richter begriffen erst dann, dass die Anklage keinen Bestand hatte. Deshalb hielten sie sich bedeckt und verwiesen den Prozess nach Mailand. Schließlich wurde der Prozess nach Catanzaro verlegt. Dort wurde gegen die Anarchisten der römischen Gruppe 22. März, der Gruppe Valpredas, und auch gegen die Neonazis Franco Freda und Giovanni Ventura prozessiert, sowie gegen Guido Giannettini und Stefano Serpieri, zwei Agenten des Geheimdienstes Servizio Informazioni Difesa. Der eine hatte die Gruppe von Freda und Ventura unterwandert, der andere die von Valpreda.

Richter Giancarlo Stiz entdeckte, was Occorsio und Cudillo nicht wahr haben wollten. Es waren Aktivisten der Ordine Nuovo, der von Pino Rauti, dem heutigen Führer der Fiamma Tricolore, geleiteten rechtsextremen Gruppierung, die das Massaker und die vorhergegangenen Attentate organisiert hatten. Und zwar unter der Regie von Federico Umberto D'Amato, dem Leiter der Abteilung für vertrauliche Angelegenheiten im Innenministerium.

Zehn Jahre nach dem Massaker erging das erste Urteil: drei lebenslange Freiheitsstrafen für Freda, Ventura und Giannettini. Die Anarchisten musste man aus Beweismangel freisprechen. 1985 wurden mit dieser Begründung dann alle, Anarchisten und Nazis, freigesprochen. Sechs Jahre später erhielten drei Neonazis, Delfo Zorzi, Carlo Maria Maggi und Giancarlo Rognoni, wegen der Bombe in der Landwirtschaftsbank lebenslange Haftstrafen. Obschon schuldig, können Freda und Ventura nicht mehr verurteilt werden. Sie wurden bereits 1985 unwiderruflich freigesprochen.

In einigen Monaten wird die Berufungsverhandlung eröffnet, und neue Entwicklungen sind nicht ausgeschlossen. Allerdings nicht unbedingt im Sinne der historischen Wahrheit. Nach Ansicht der beiden Vertreter der Alleanza nazionale, Alfredo Mantica und Vincenzo Fragalá, die Mitglieder des inzwischen aufgelösten parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den Massakern waren, wurde es auf Intervention der Kommunistischen Partei unterlassen, eine Spur in Richtung der Anarchisten zu verfolen. Das behaupteten sie in ihrem Bericht vor dem Ausschuss.

Sie machten außerdem geltend, dass die Anschuldigungen gegen die Neonazis von einem linken Richter, Guido Salvini, stammten, und dass die gesamte Prozessgeschichte der Piazza Fontana durch ein unzulässiges Wüten gegen die Rechte verdorben worden sei. Aus rechtlicher Sicht ein beunruhigendes Vorzeichen. Auf historischer Ebene ist das Geschehen dagegen eindeutig. Die Verhandlung kann nur erneut bestätigen, was die Anarchisten unmittelbar nach den Bombenanschlägen riefen: »Valpreda ist unschuldig, Pinelli wurde ermordet, das Massaker hat der Staat begangen.«

Redaktionell bearbeitete und gekürzte Fassung eines am 21. Juli in der italienischen Wochenzeitung umanitá nova erschienen Artikels. Übersetzung: Egon Günther. Luciano Lanza ist der Autor des Buches »Bomben und Geheimnisse - Die Geschichte des Massakers an der Piazza Fontana«.