Neonazi-Demonstration in Wunsiedel

Acht Jahre marschieren

Am Samstag wollen Neonazis im bayerischen Wunsiedel zu Ehren von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß demonstrieren.

Keine Waffen, keine Uniformen, keine Kampfhunde und kein Alkohol.« Die Anweisungen zum Gedenkmarsch anlässlich des 15. Todestages von Adolf Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß sind deutlich. Schließlich kennt der Anmelder des Marsches, der bekannte Neonazianwalt Jürgen Rieger, seine Klientel. Am Samstag dieser Woche wollen so genannte Freie Nationalisten und Anhänger der neonazistischen NPD in der bayerischen Kleinstadt Wunsiedel »zu Ehren« von Heß aufmarschieren. Die Kameraden haben sich einiges vorgenommen. Wenn es nach Rieger geht, dann soll der »Gedenkmarsch mit Kundgebung und Rahmenprogramm« von 10 Uhr Morgens bis »voraussichtlich 22 Uhr« dauern.

Wunsiedel, die Heimatstadt von Rudolf Heß, ist nach dessen Selbstmord am 17. August 1987 im alliierten Militärgefängnis in Berlin-Spandau zu einem Wallfahrtsort für Rechtsextreme geworden. Auf dem Friedhof der Kleinstadt wurde der einstige Reichsminister ohne Geschäftsbereich im März 1988 begraben. Und seither versuchen Neonazis in jedem Jahr, an seinem Todestag in Wunsiedel zu demonstrieren.

Doch schon lange bevor Rudolf Heß starb, wurde er innerhalb der Nazi-Szene zum Mythos stilisiert. Vom Nürnberger Gerichtshof wurde er am 1. Oktober 1946 zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Prozess zeigte Heß, der sich schon 1920 der nationalsozialistischen Bewegung anschloss, 1925 Hitlers Privatsekretär wurde und 1933 zum Stellvertreter des »Führers« in Partei und Regierung ernannt wurde, keine Reue. »Ich verteidige mich nicht gegen Ankläger, denen ich das Recht abspreche, gegen mich und meine Volksgenossen Anklage zu erheben«, sagte er vor Gericht.

»Es war mir vergönnt, viele Jahre meines Lebens unter dem größten Sohn zu wirken, den mein Volk in seiner tausendjährigen Geschichte hervorgebracht hat. Ich bin glücklich, zu wissen, dass ich meine Pflicht getan habe, meinem Volk gegenüber, meine Pflicht als Deutscher, als Nationalsozialist, als treuer Gefolgsmann meines Führers. Ich bereue nichts!«

Solche Sprüche kamen nicht nur bei vielen »Volksgenossen« an, die sich nach dem Krieg als Opfer einer »Siegerjustiz« wähnten und den glorreichen Tagen hinterhertrauerten, sondern sie werden auch von den Nazis der Gegenwart begeistert aufgenommen.

Dass die alten Kameraden und neuen Mitstreiter den »Mythos Rudolf Heß« bereitwillig fortschreiben und aus dem Stellvertreter Hitlers, der 1941 nach England flog, einen »Märtyrer des Friedens« machen und nicht von Selbsttötung, sondern von Mord sprechen, hat jedoch auch ganz handfeste Gründe.

Denn mit dem »Mythos Rudolf Heß«, so betonen Patrick O'Hara und Daniel Schlüter in der kürzlich erschienen Studie »Der Mythos stirbt zuletzt«, ist es den militanten Neonaziführern von Michael Kühnen bis Christian Worch gelungen, eine »eigene Tradition und Identität« zu entwickeln. »Das Erinnern findet großen Anklang in der Neonazi-Szene und seine Standhaftigkeit zum Nationalsozialismus kann als Handlungsanweisung verstanden werden.«

Der »Mythos Heß« hat nicht nur Tradition, sondern er bietet auch eine Perspektive für die »Bewegung«. Wie so etwas aussieht, zeigte sich am 17. August des vergangenen Jahres, als rund 1 000 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet nach Wunsiedel kamen und von klassischer Trauermusik akustisch begleitet durch die Stadt marschierten.

In diesem Jahr bereiten die Freien Nationalisten um die Hamburger Jürgen Rieger und Thomas Wulff den Aufmarsch vor, für den seit Wochen schon im Internet geworben wird. Dort erfährt man auch, dass die umtriebigen Funktionäre ihre »Unkosten« mit einer Plakette »Wunsiedel 2002 - Rudolf Heß unvergessen« für einen Euro pro Stück decken wollen. Denn »ohne finanzielle Unterstützung ist eine Massenveranstaltung nicht durchführbar«, erklärt Jürgen Rieger im Demo-Aufruf und bittet um Spenden auf sein Konto bei der Commerzbank.

Um den Kameradschaften vor Ort die Mobilisierung zu erleichtern, hat das Nazi-Internet-Projekt widerstandnord.com den »offiziellen Aufruf vom Veranstalter autorisiert« zum Download bereit gestellt. Und über die Seite des Aktionsbüros Norddeutschlands können Plakate und Aufkleber »Mord - Rudolf Heß« bestellt werden.

Mittlerweile hat das Landratsamt Wunsiedel die Demonstration untersagt; das Amt verbot den Nazi-Umzug seit 1990 in jedem Jahr. Doch die aktuelle Entscheidung dürfte nicht lange Bestand haben. Schließlich hob der bayrische Verwaltungsgerichtshof in München im vorigen Jahr das Demo-Verbot kurz vor dem Aufmarsch auf. Die Verwaltungsrichter begründeten ihre Entscheidung damit, dass es seit 1990 »zu keinerlei Vorkommnissen gekommen sei« und deshalb keine »Gefahr für die öffentliche Sicherheit« bestehe.

Auf die Idee, dass dieser Umstand allein den Verboten zu verdanken sei, kamen die Richter nicht. Stattdessen hoben sie auch noch hervor, dass bei dem Aufmarsch zwar »nationalsozialistisches Gedankengut« verbreitet werden könnte. Doch Nazipropaganda ist für die Juristen kein Verbotsgrund, schließlich sei die Meinungs- und Versammlungsfreiheit höher zu bewerten.

Juristisch durch den Richterspruch gestärkt, meldete Jürgen Rieger im vergangenen Jahr gleich bis zum Jahre 2010 Gedenkmärsche in dem oberfränkischen Ort an. Und auch das Fußvolk gab sich euphorisch, als es erstmals seit zehn Jahren »zu Ehren« ihres Idols aufmarschieren konnte. Auf der Kundgebung verlas der Mitorganisator Wulff auch die Grußworte von Wolf-Rüdiger Heß, der sich für die Anteilnahme »auch im Namen seines Vaters« bedankte.

Und weil im vorigen Jahr alles so glatt lief, gibt sich Rieger zuversichtlich, dass seine Beschwerde gegen das Verbot auch diesmal Erfolg haben wird. »Aus Mangel an wirklichen Gründen bediente sich Herr Landrat Unglaub der gleichen Phrasen, die bereits im letzten Jahr schon vor dem Verwaltungsgerichtshof wie eine Seifenblase zerplatzten«, heißt es auf der Webseite.