Deutsche Linksliberale setzen auf Europa

Auferstanden aus Ruinen

Fast wöchentlich werden neue Pläne aus den USA bekannt, wie man einen »Regimewechsel« im Irak bewirken will. Selten wurde in der jüngeren Geschichte derart offen über einen bevorstehenden Krieg räsonniert. Da erscheint es nur legitim und auch nötig, die US-amerikanischen Pläne zu kritisieren. Doch wenn man sich die Kritik betrachtet, wie sie gegenwärtig in Deutschland geübt wird, bleibt ein übler Nachgeschmack zurück.

So werden neuerdings die USA ganz offen als imperiale Macht bezeichnet. 11. September, uneingeschränkte Solidarität, transatlantische Partnerschaft? Alles vergessen. »Der nationalistisch-egozentrische Einfluss imperialistisch gesinnter Intellektueller auf die Strategie der USA ist derzeit größer als je seit Ende des Zweiten Weltkriegs«, meint der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt in der Zeit. Micha Brumlik von den Grünen greift dieses Diktum dankbar auf und behauptet in der taz, »dass eine innen- und außenpolitisch auf Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zielende Politik im Schatten des US-amerikanischen Imperialismus unmöglich ist«.

Brumlik bemüht auch den zur Mode gewordenen Vergleich der USA mit der Sowjetunion in der Zeit des Kalten Krieges (Jungle World, 29/02). Er glaubt, »dass die imperialen USA im 21. Jahrhundert in gleicher Weise das Schicksal der Weltpolitik bestimmen werden, wie dies die Sowjetunion im 20. Jahrhundert tat«, und dass das Ziel der künftigen deutschen Außenpolitik eine »Eindämmung« der USA sein müsse.

Wie die USA »eingedämmt« werden sollen, ist auch schon entschieden. Die meisten linksliberalen Kritiker der USA neigen zu Europa. In der Wochenzeitung Freitag wird das »Empire«, das Michael Hardt und Toni Negri als ein supranationales Netzwerk aus Konzernen, Regierungen und Institutionen beschrieben haben, zum »American Empire«; wünschenswert sei nun »eine feierliche Erklärung, in der die europäischen Regierungschefs das Völkerrecht bekräftigen«, denn auch »Europas Staaten haben das Recht, im Namen der Freiheit zu sprechen«.

Ernst-Otto Czempiel von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung plädiert in der taz für den »Aufbau von Gegenmacht« und fordert: »Das amerikanische Halsband muss abgelegt werden.« Europa als geschundener Kettenhund der USA. Auf den Gedanken, dass auch die Europäer nur ihre wirtschaftlichen, geostrategischen, also »imperialen« Interessen vertreten, kommen sozialdemokratische und grüne Intellektuelle in Deutschland nicht.

Sie blenden auch völlig aus, dass in vielen europäischen Ländern inzwischen rechte Parteien regieren: in Italien Silvio Berlusconi mit dem Postfaschisten Gianfranco Fini, in Österreich Wolfgang Schüssel mit Jörg Haiders Freiheitlichen. In Spanien, Portugal, in den Niederlanden und in Dänemark sind rechte Parteien an der Macht, zum Teil in Koalitionen mit rechtspopulistischen bzw. rechtsextremen Parteien.

Das gegen die USA in Stellung gebrachte, vermeintlich zivilere Europa ist auch das Europa der Flüchtlingslager an Grenzen und auf Flughäfen, das Europa des anwachsenden Antisemitismus mit Brandanschlägen auf Synagogen von Marseille bis Lübeck. Es ist das Europa, das vor drei Jahren zusammen mit den USA Jugoslawien bombardierte und den Krieg als Sieg der Menschenrechte feierte.

Ausgerechnet dieses Europa soll nun dazu berufen sein, die Welt gegen die imperialen USA zu verteidigen. Womöglich markierten die Terroranschläge vom 11. September 2001 mit ihren Tausenden von Opfern vor allem eins: die Geburtsstunde des neuen Europa. Der alte Kontinent will sich auf Ground Zero erneuern. Die Europäer können Mohammed Atta und den Seinen eigentlich nur dankbar sein.