Baden in Stiefeln

Bikinis und kurze Hosen waren nicht immer selbstverständlich. Ein Überblick über die Entwicklung der Bademode.

Nicht nur die Germanen gingen nackt baden, sondern auch die Menschen im Mittelalter. Wenn sie nackt ihre Häuser verließen, um zum Badehaus zu gehen, landeten sie oftmals im Puff: die Männer als Freier, die Frauen als Bademägde, wie der Beruf damals hieß.

Noch 1883 war es bei den jungen Männern, die am College im englischen Eton studierten, üblich, dass sie nackt badeten. Ein Erlass, dass die Londoner Schulkinder zum Baden Unterwäsche tragen sollen, wurde erst 1896 verhängt. Und in Japan, so überliefern es Berichte, war es noch im 19. Jahrhundert üblich, dass Männer, Frauen und Kinder gemeinsam nackt badeten.

Selbst im viktorianischen England betrachtete man zunächst das Tragen von Schwimm- oder Badebekleidung als sehr ungewöhnlich. Ein 1868 aus Westafrika heimkehrender Engländer berichtete irritiert, dass er gesehen habe, wie beinahe ein ganzes Dorf in Röhrenhosen geschwommen sei. Und mit ähnlicher Verwirrung wurde in einem 1846 publizierten Buch kolportiert, dass an der amerikanischen Atlantikküste die Bewohner beim gemischtgeschlechtlichen Baden Hemden und Hosen trugen.

Als 1860 im Londoner St. George-Bad Schwimmer auf einmal in weiten Unterhosen ins Becken stiegen, sorgte das für einen Skandal, den auch die seriöse Times kommentierte. Sie beklagte, dass »das Wohlbefinden der Badenden unglücklicherweise durch aufdringliche Regelungen eingeschränkt wird. Wir hoffen, dass die Leitung eines Tages dem Beispiel anderer Betriebe folgen wird, und diese Dinge dem Taktgefühl der Kundschaft überlassen kann. Solche Angelegenheiten werden in Oxford und anderen Orten immer noch der Umsicht jedes Einzelnen überlassen.«

Allgemein sprach sich das Blatt gegen Badekleidung aus: »Das Tragen irgendeiner Bedeckung ist eine schmutzige Praxis - dadurch werden Krankheiten verborgen und der freie Kontakt des Wassers mit der Haut wird verhindert. Ganz unabhängig davon, wie schlecht Männerunterhosen sind, ist ihr Effekt doch klein im Vergleich mit der absurden Art und Weise, in der sich Frauen bedecken. Ein ASA (Amateur Swimming Association)-Kostüm ist schon recht bei gemischtem Baden, aber in allen anderen Fällen sollen die Geschlechter die eigene Vernunft walten lassen.«

Ein von einem anonym gebliebenen Dichter verfasstes Gedicht aus dem 19. Jahrhundert lautet: »Bathing is a sport / Enjoyed by great and small / In suits of any sort / Though better none at all.«

Auf dem europäischen Festland, namentlich in Frankreich, setzte sich jedoch bald eine der Mode folgende Badebekleidung durch: für Frauen aufwändig und elegant, für Männer zumindest züchtig. Diese neue Entwicklung fand in Amerika und letztlich auch in England Anklang. Das Royal Magazine berichtet 1898, dass eine junge Dame mit einem Kostüm, wie es im französischen Trouville modern war, in der Themse schwamm.

Über eine andere junge Frau, die zu Badezwecken in die Themse stieg, ist dieser sehr genaue Bericht überliefert: »Sie war vollständig angekleidet, mit gefüttertem Fischerinnenrock und allen Unterröcken einer Lady, inklusive Korsett, Stiefeln, Hut und Handschuhen, darüber hinaus trug sie in der einen Hand den geöffneten riesigen Schirm, in der anderen den ihr bei der wichtigen Gelegenheit übergebenen bunten Blumenstrauß.«

Mit den Erfordernissen des modernen Schwimmsports hatte solch gleichermaßen modische wie unbequeme Bekleidung jedoch nichts zu tun. Annette Kellerman, wahrscheinlich der erste Weltstar, den das Schwimmen hervorbrachte, beklagte sich gern über die »grauenhaften, unnötigen, klumpigen Schwimmanzüge, die mehr Tote durch Ertrinken als zum Beispiel die Muskelkrämpfe zur Folge haben«.

Die Australierin Kellerman, geboren 1887, war in ihrer Jugend körperbehindert und begann aus therapeutischen Zwecken mit dem Schwimmen. Bald wurde sie in der jungen Sportart Frauenschwimmen so gut, dass sie alles dominierte, von den 100 Metern bis zu den Langstrecken. Bei einem Schauschwimmen bewältigte sie 1907 in London unter großem Zuschauerandrang 26 Meilen.

Dreimal scheiterte sie bei dem Versuch, als erste Frau den Ärmelkanal zu durchschwimmen. Zunächst in England, dann in den USA wurde sie auch ökonomisch erfolgreich. Sie absolvierte Schauschwimmen und -springen, bei einem dreimonatigen Engagement in Chicago bestritt sie 55 Shows pro Woche.

1909 wurde Kellerman bei einem Schauschwimmen in Boston verhaftet, denn sie trug, nach Ansicht der Obrigkeit, zu freizügige Kleidung: einen einteiligen Schwimmanzug. Die Verhaftung machte sie aber nur noch berühmter, und sie erhielt Engagements in der noch jungen Filmindustrie. In »Neptune's Daughter« (1914), »A Daughter of the Gods« (1916) und »Queen of the Sea« (1918) spielte sie die Hauptrolle. 1918 erschien auch ein Buch von ihr: »Physical Beauty and How To Keep It«.

Zu Hause in beiden Welten - dem sich in Bademoden präsentierenden Glamour und dem sich in funktionaler Schwimmbekleidung präsentierenden Sport - wusste Kellerman stets, wovon sie sprach, wenn es um angemessene Badekleidung ging: »Es gibt zwei Arten Badeanzüge - diejenigen, die für den Gebrauch im Wasser bestimmt sind, und diejenigen, die zu nichts taugen als für den Gebrauch an Land. Wenn du schwimmen gehen willst, brauchst du einen Badeanzug. Wenn du aber bloß am Strand spielen und für die Kamera posieren willst, kannst du die Landvariante wählen.«

1913 brachte die amerikanische Sportartikelfirma Jantzen Inc. einen für damalige Verhältnisse revolutionären, aus Wolle bestehenden einteiligen Badeanzug auf den Markt. In einer Herren- und Damenvariante. Trocken wog der Anzug immerhin noch etwa ein Kilogramm, nass gar vier Kilo, aber gegenüber dem bisherigen Material war das schon ein Vorteil, und vor allem markierte er den Beginn der systematischen Weiterentwicklung der Schwimmmoden.

Berühmt wurde die Firma Jantzen durch ihre Werbestrategie. Sie erfand Aufkleber, speziell geeignet für die sich in den zwanziger Jahren durchsetzenden Automobile. Auf den Stickern war das »Jantzen Girl« zu sehen, eine Frau im roten einteiligen Badeanzug. Von den wollenen Anzügen entwickelte sich der Stoff für die professionelle Schwimmbekleidung bei Männern und Frauen immer mehr zur Baumwolle.

Bei den Frauen setzte sich schließlich im Wesentlichen der noch in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts übliche einteilige Schwimmanzug durch. Die Männer schwammen in den zwanziger Jahren noch im die Brust bedeckenden Badeanzug. Eine kurze Badehose trugen erst bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin einige Teilnehmer; sie wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg allgemein üblich.

Entnommen aus: Martin Krauß: Schwimmen. Geschichte, Kultur, Praxis. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2002. 16,90 Euro