»Der Kampf wurde zu spät begonnen«

Die Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans (Rawa) baute ein Netz von Untergrundschulen auf und verbreitete Informationen über die islamistische Terrorherrschaft. Bereits 1977 gegründet, setzte sich die Rawa unter den wechselnden Regimes für Demokratie, Säkularismus und Frauenrechte ein. Erst nach den Anschlägen vom 11. September wurden ihre Aktivitäten von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen. Shahla Asad vertritt die Rawa auf internationalen Kongressen.

Die Rawa hat kritisiert, dass Islamisten und Warlords in der neuen afghanischen Übergangsregierung stark vertreten sind. Ist unter diesen Umständen eine Demokratisierung möglich?

Ich glaube, dass Wahlen ohne Freiheit und zumindest einige fortschrittliche Organisationen oder Parteien nicht möglich sein werden. Heute sind die Warlords die einzige politische und militärische Macht in Afghanistan. Wir wissen nicht, was die Ziele der neuen Regierung sein werden. Der Interimspräsident Karzai ist kein Fundamentalist, aber die wirkliche Macht liegt bei den fundamentalistischen Führern, nicht bei ihm oder seinen Leuten. Er scheint westlichen Ideen zuzuneigen. In der heutigen Situation wird für die Bevölkerung jeder akzeptabel sein, der wirklichen Wandel bringt. Aber das geht nicht mit den fundamentalistischen Gruppen.

Haben sich wenigstens die Lebensbedingungen für die Frauen in Afghanistan verbessert?

Es gab einige kleine Veränderungen, Frauen konnten die Burkha ablegen. Aber sie können nicht in die Schule und an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Und die Veränderungen betreffen nur Kabul, das von den internationalen Truppen kontrolliert wird. In allen anderen Teilen Afghanistans, auch in den großen Provinzstädten, ist die Situation genauso wie vorher.

Gibt es Widerstand gegen diese Zustände? Organisiert sich eine demokratische Opposition?

Das ist schwer zu sagen. Die große Mehrheit der Menschen in Afghanistan, Männer und Frauen, haben unter den Fundamentalisten gelitten und hassen sie. Dennoch gibt es keinen starken Widerstand, denn in den letzten 25 Jahren ist die normale Bevölkerung physisch und psychisch sehr geschwächt worden. Politische Aktivisten und Intellektuelle wurden getötet, unterdrückt oder verließen das Land.

Heute müssen die Menschen vor allem darüber nachdenken, wie sie etwas zu essen auftreiben können. Unter diesen Bedingungen ist es sehr schwer, eine starke Bewegung gegen den Fundamentalismus aufzubauen. Aber es gibt einige Gruppen und Menschen, wie schwach sie auch sein mögen, die den Kampf gegen den Fundamentalismus organisieren.

Erhalten Gruppen wie die Rawa Unterstützung und Schutz von den ausländischen Interventionsmächten?

Es gibt keinen speziellen Schutz für uns. Selbst in Kabul, wo die Situation viel besser ist als im Rest des Landes, gibt es viele Sicherheitsprobleme. Wir erhalten auch keine Unterstützung von Regierungen oder großen NGO. Aber die Zahl unserer Unterstützer wächst. Wir erhalten moralische, politische und in kleinem Ausmaß auch finanzielle Unterstützung aus den USA und Europa. Wir können mehr Konferenzen, Treffen und Kampagnen organisieren. Dadurch bekommen wir mehr Aufmerksamkeit von der internationalen Gemeinschaft. Aber von normalen Leuten, nicht von den Regierungen.

Sie fordern aber die Regierungen auf, sich stärker zu engagieren, auch mit internationalen Streitkräften. Was erhoffen Sie sich von einer solchen Intervention?

Wir wollen keine militärische Intervention einzelner Staaten, aber wir befürworten eine Friedenstruppe der Vereinten Nationen in unserem Land. Ihr Ziel sollte es sein, die fundamentalistischen Gruppen zu entwaffnen. Viele Leute meinen ja, der Frieden in Afghanistan müsste erhalten werden, aber unserer Ansicht nach muss der Frieden erst geschaffen werden. Das wird nur durch die Entwaffnung aller militärischen Fraktionen möglich sein.

Könnte das nicht zu einem neuen Bürgerkrieg führen?

Wenn die Vereinten Nationen wollten, wäre eine Entwaffnung möglich. Es wäre vielleicht nicht einfach, und es wäre eine Aufgabe, die nicht in ein oder zwei Wochen erledigt werden könnte. Es könnte ein Jahr oder länger dauern. Aber zumindest sollten die Warlords nicht unterstützt werden, man sollte sie nicht als offizielle militärische Kräfte anerkennen und an der Regierung beteiligen, so wie es jetzt geschieht.

Die Entscheidung über eine solche Intervention würde beim UN-Sicherheitsrat liegen, dessen Mitglieder sich für die Integration der Warlords entschieden haben. Was könnte sie dazu bringen, ihre Strategie zu ändern?

Es hängt von ihnen ab, ob sie ihre Meinung ändern. Wir können nur deutlich machen, dass dies die beste, aber vielleicht auch die letzte Chance ist, mit der Unterstützung demokratischer und freiheitsliebender Gruppen in Afghanistan zu beginnen. Ich denke, dass unsere Arbeit, unsere Kampagnen in verschiedenen Ländern nicht wirkungslos war. Aber diese Wirkung ist noch sehr schwach. Es ist in jeder Hinsicht größerer Druck erforderlich.

Nach dem Beginn der Bombardierungen hat die Rawa den Krieg in Afghanistan kritisiert. Halten Sie das militärische Eingreifen auch heute, nach dem Sturz des Taliban-Regimes, für falsch?

Ja, wir haben den Krieg kritisiert, weil wir glaubten, dass dieser Kampf zu spät begonnen wurde. Es wäre auch ohne militärische Aktionen möglich gewesen, die Taliban und andere Fundamentalisten zu vertreiben. Man hätte sie nicht unterstützen dürfen und verhindern müssen, dass andere Staaten sie unterstützen. Während der sowjetischen Besatzung wurden die Fundamentalisten instrumentalisiert. Danach dachten die westlichen Staaten, dass die Fundamentalisten keine Gefahr für sie seien. Erst nach dem 11. September erkannte die Welt die Gefahr des Terrorismus in unserem Land. Die Rawa hat seit 25 Jahren darauf hingewiesen, das die Fundamentalisten eine Gefahr sind, für Afghanistan, für die Region und selbst für die, die sie geschaffen und unterstützt haben.

Nach dem 11. September war es das Recht der US-Regierung, militärisch zu reagieren und das Taliban-Regime zu zerstören. Deshalb haben wir diesen Krieg nicht einen Krieg gegen Afghanistan oder eine Besetzung Afghanistans genannt, sondern einen Krieg zwischen Söhnen und Vätern. Früher waren die Regierungen der USA und anderer westlicher Staaten wie Väter für Ussama bin Laden, die Nordallianz und andere Terroristen und Fundamentalisten überall auf der Welt. Heute wollen sie sie bestrafen, weil sie außer Kontrolle geraten sind. Aber der wichtigste Aspekt ist, dass unschuldige Männer, Frauen und Kinder nicht die Opfer des Krieges sein dürfen. Wir glauben, dass es möglich wäre, moderne Technologie zu benutzen statt zu bombardieren, also keine Wohngebiete anzugreifen, sondern die Führer der Taliban. Aber das geschieht nicht.

Was denken Sie über die Proteste gegen den Krieg?

Wir wissen das zu schätzen, denn nachdem die US-Regierung den Krieg gegen den Terrorismus angekündigt hatte, erhielten wir E-Mails von Tausenden aus aller Welt, die uns ihre Solidarität und Unterstützung erklärten. Sie kamen von Amerikanern und Europäern, von Universitäten, Schulen und Organisationen, von Menschen, die auch an dieser Art von Kampagnen beteiligt waren. Aber es ist wichtiger, die Menschen in Afghanistan zu unterstützen, besonders die demokratischen Organisationen und die Intellektuellen, damit ihre Stimme gehört wird. Es war eine sehr kurzlebige Kampagne gegen die Politik der Regierung. Sie sollte fortgesetzt werden, zur Unterstützung der demokratischen Gruppen in Afghanistan.