Handel verpflichtet

Nicht nur wegen der Bundestagswahl spricht sich Gerhard Schröder gegen einen Krieg im Irak aus. Ein Sturz Saddam Husseins würde die Hoffnungen der deutschen Wirtschaft zunichte machen.

Montagvormittag in Hannover, aus der Parteizentrale der SPD ergeht die Mitteilung zur Präsidiumssitzung, Bundeskanzler Gerhard Schröder lehne einen möglichen Militäreinsatz gegen den Irak ab. 12.34 Uhr, die Äußerungen des Kanzlers aus der Sitzung liegen vor und verursachen eine »intensive Diskussion«: »Ohne Konzeption in dieser Intensität über militärische Intervention zu diskutieren, halte ich für falsch.«

Um 13.28 Uhr erklärt Generalsekretär Franz Müntefering für das Präsidium, die SPD lehne eine deutsche Beteiligung an einer Militäraktion gegen den Irak auch mit UN-Mandat kategorisch ab. Eine halbe Stunde später, um 14.15 Uhr, wird aus Berlin gemeldet, Außenminister Joseph Fischer sei ebenfalls »vehement« gegen einen Angriff auf den Irak, woraufhin um 14.34 Uhr der Parteirat der Grünen vor den möglichen Folgen eines Krieges gegen den Irak warnt und erklärt, einen Militärschlag abzulehnen.

15.35 Uhr: Edmund Stoiber antwortet. Im bayerischen Oberaudorf erklärt der Kanzlerkandidat der Unionsparteien, der Versuch der SPD, mit der Angst vor einem Krieg auf Stimmenfang zu gehen, sei »unzulässig«, denn es gebe »anders als noch vor vier Jahren eine große Übereinstimmung zwischen Regierung und Opposition«. Aus dem in Schwerin parkenden Guidomobil meldet sich der FDP-Spitzenkandidat Guido Westerwelle. »Ohne Bündnis und ohne Uno läuft da nichts.«

Zu spät, denn um 15.48 Uhr ist daraus bereits eine Regierungsposition geworden. »Rot-grün gegen Irak-Einsatz«, titeln die Agenturen. Kurz vor Ladenschluss, um 16.16 Uhr, hat auch die PDS eine Sprachregelung gefunden. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch stellt fest, Schröder habe einen außenpolitischen Schwenk vollzogen, die PDS aber bleibe bei ihrem »konsequenten Nein« zu Militärschlägen. Kaum dass er entdeckt wurde, war der deutsche Sonderweg auch schon beschritten. Soviel »Nein« und »Nein, aber« gab es selten.

Bereits Anfang Februar erklärte der inzwischen geschasste Verteidigungsminister Rudolf Scharping, Deutschland werde sich nicht an einem Krieg gegen den Irak beteiligen, und handelte sich dafür die Rüge seines Parteivorsitzenden Schröder ein, der richtig stellte, von einem Militäreinsatz der USA könne keine Rede sein. Dass das offensichtlich nicht stimmte, konnte jeder wenige Tage später in der Frankfurter Rundschau nachlesen.

Karl Lamers, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, wurde gefragt, wann die Stunde gekommen sei, den USA die Unterstützung zu verweigern. »Da gibt es zum Beispiel den Fall Irak«, antwortete Lamers. »Da haben die Europäer zu Recht mit großer Deutlichkeit gesagt, dass sie gegen einen Angriff auf den Irak sind. Das wäre aus vielen Gründen ein falscher Weg. Man muss sich zum Beispiel fragen: Was soll hinterher mit dem Land geschehen?«

Das fragt sich heute auch Außenminister Fischer. Der Irak müsse die Forderungen der Uno erfüllen, erklärte er am vergangenen Freitag, »aber das hat nichts mit einem Regimewechsel zu tun«. Der Sturz Saddam Husseins berge vielmehr ein »unkalkulierbares Risiko« und würde eine Neuordnung der gesamten Region notwendig machen. So weit liegen die Regierung und die Opposition im Falle des Irak auseinander.

Bislang hat noch keine deutsche Regierung Interesse daran gezeigt, das Regime Saddams zu stürzen. Das hat gute Gründe. In den achtziger Jahren war Deutschland Iraks wichtigster Handelspartner beim Einkauf technischer Geräte und industrieller Güter. Auf rund 1,3 Milliarden Mark wurden die direkten Gewinne aus dem legalen Geschäft mit dem Irak geschätzt, hinzu kommt eine unbekannte Summe, die mit dem illegalen Transfer von Waffentechnik und nuklearem sowie chemischem Material zur Produktion von Massenvernichtungswaffen verdient wurde.

In Augsburg und Rosenheim wurden irakische Sicherheitskräfte vom Bundesnachrichtendienst (BND) ausgebildet, in München absolvierten die Spitzel des Geheimdienstes Mukhabarat Lehrgänge beim dortigen Landeskriminalamt (LKA), an die sich der bayerische Innenminister Edmund Stoiber 1990 partout nicht mehr erinnern wollte.

Damals hatte die deutsche Regierung der internationalen Isolierung des Regimes und dem militärischen Vorgehen der Anti-Irak-Koalition bereits zugestimmt. Die von Schröder jetzt kritisierte »Scheckbuch-Diplomatie« bestand darin, die westliche Koalition finanziell und logistisch zu unterstützen und so strengere Exportkontrollen und eine mögliche Bestrafung deutscher Unternehmen zu verhindern. Seitdem folgt die deutsche Irakpolitik der Taktik, gerade so lange mitzumachen, dass man nicht der Blockade der US-Politik verdächtigt werden kann, und sich zugleich nicht zu sehr zu engagieren, um die vorübergehend unterbrochene Irak-Connection wieder herstellen zu können.

Die Bundesregierungen unter Helmut Kohl wie unter Schröder spekulierten darauf, dass das Irak-Embargo nicht ewig dauern könne, und die US-amerikanische Politik, Saddam im Amt zu halten, nährte die Hoffnung, irgendwann zum Status quo ante zurückkehren zu können. Dass jetzt offen ein Militärschlag abgelehnt wird, ist nur zum Teil dem Wahlkampf geschuldet. Ein Sturz des Regimes würde die Hoffnungen der deutschen Wirtschaft gänzlich zunichte machen.

So findet sich die von der Regierung wie von der Opposition beklagte Schwierigkeiten, einen Nachfolger Saddams zu finden, auch in der deutschen Irakpolitik wieder. Seit Jahren weigert man sich, Gespräche mit der irakischen Opposition zu führen, die wesentlich besser organisiert ist, als es dargestellt wird. Während sich ehemals zerstrittene Gruppen im Irak längst geeinigt haben, veranstaltete die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung noch in diesem Frühjahr eine Konferenz zur Zukunft des Irak, ohne auch nur einen Vertreter der Opposition geladen zu haben. Sollte im Irak tatsächlich die jetzige Opposition eines Tages die Regierung bilden, dann stünde Deutschland außen vor. Nicht nur deshalb fordern nun einige Unionspolitiker ebenso wie Hans-Ulrich Klose (SPD), sich die Option zum Mitmachen nicht völlig zu verbauen.

Als Legitimation für eine Militäraktion gegen den Irak dient der US-amerikanischen Regierung die Warnung, das irakische Regime könne in den Besitz von Massenvernichtungswaffen gelangen, und die Weigerung des Irak, einer Wiederaufnahme der UN-Inspektionen bedingungslos zuzustimmen.

So zuverlässig die Haltung Bagdads in dieser Frage ist, so vage bleibt die deutsche Hoffnung auf eine Rückkehr der Waffenkontrolleure. Weil diesen in den acht Jahren ihrer Tätigkeit der Zugang zu Produktionsanlagen systematisch verweigert wurde, greifen internationale Rüstungsexperten auf die Informationen jener Unternehmen zurück, die das Regime vor 1990 mit Material belieferten.

So konnte, im Widerspruch zur Erklärung der Bundesregierung, während der Anhörung vor dem US-Senat in der vergangenen Woche ausführliches Material über das Waffenpotenzial des Irak vorgelegt werden. Allein das seinerzeit von deutschen Unternehmen gelieferte Material reiche aus, chemische und biologische Waffen in großem Umfang zu produzieren.

Dass ausgerechnet in Deutschland die Existenz derartiger Waffen bezweifelt wird, zeigt, wie gut die 1990 verordnete Amnesie wirkt. Wer Einzelheiten über das Waffenprogramm des Irak sucht, muss nicht nach Bagdad fahren, eine Untersuchung in Deutschland reichte aus.

Zum Beispiel im westfälischen Drensteinfurt. Bis Anfang der neunziger Jahre war hier die Firma H+H Metallform des Unternehmers Dietrich Hinze ansässig, die so viel Geld in die Gemeindekassen brachte, dass dem Firmenchef ein Gedenkstein im Rathaus errichtet wurde. 1993 wurden Hinze und sein Kompagnon allerdings wegen eines Verstoßes gegen das Bundesausfuhrgesetz vom Landgericht Münster verurteilt. Ihre Millionen hatte die Firma mit der Lieferung von Maschinen, Werkzeug und Material zur Aufrüstung irakischer Scud- zu Al-Hussein-Raketen verdient.

Dank dieses Equipments können irakische Raketen Tel Aviv erreichen. Die Stadt Drensteinfurt reagierte sofort. Und mit dem Gedenkstein ist über Nacht auch die Erinnerung an den kurzen Moment verschwunden, als das westfälische Nest Kontakt zur Weltpolitik hatte.