Kurdische Parteien rüsten sich gegen einen irakischen Angriff

Trainieren für den Ernstfall

In der Autonomieregion bereiten sich die kurdischen Milizen auf einen möglichen Angriff vor, doch aufhalten könnten sie die irakischen Truppen nicht.

In der Mustersiedlung nahe Arbil wurden hübsche Einfamilienhäuser in Reihenhausarchitektur errichtet. Sie bieten neuen Wohnraum für 50 Familien, stehen aber seit mehreren Monaten leer, denn es gibt weder Straßen noch Kanalisation.

Die Ministerin für Bauwesen in der Regionalregierung von Arbil, Nasreen Mustafa Sidek, stapft durch den Staub. Sie ist eine promovierte Bauingenieurin, und der Zustand dieser Baustelle gefällt ihr gar nicht. Alles ist nur halb fertig, dabei gibt es einen großen Bedarf an neuen Wohnungen. Ihr Ministerium ist dafür verantwortlich, jährlich fast eine halbe Million Flüchtlinge und Abgeschobene aus dem Süden unterzubringen.

Missmutig mustert Sidek die unfertigen Trampelpfade zwischen den Häusern und beklagt sich über die Inkonsequenz der Uno. »Bislang sind nur 2,8 Milliarden Dollar für uns ausgegeben worden«, klagt die Ministerin, »das sind nur 38 Prozent des verfügbaren Geldes. Das ist zurzeit unser größtes Hindernis. Wir haben so viele Projekte, und das Geld ist auch vorhanden. Doch obwohl wir es dringend brauchen, wird die Auszahlung durch die UN-Kontrollen und den Bürokratieapparat in Bagdad blockiert.«

Tatsächlich müssen sämtliche Projekte erst in Bagdad abgesegnet werden. Denn die Uno sieht die Region völkerrechtlich als einen Teil des Irak an, deswegen ist die Zentralregierung zuständig. Im Oil-for-Food-Programm, das 1995 vom UN-Sicherheitsrat beschlossen wurde, um die Versorgung der irakischen Bevölkerung zu garantieren, sind 13 Prozent der Einnahmen für die autonome Region Kurdistan vorgesehen. Aber welche Güter dorthin transportiert werden, bestimmt die irakische Regierung.

Bagdad hat über den Nordirak ein Binnenembargo verhängt. Projekte, die eine Entwicklung der Region fördern könnten, die Energieversorgung etwa, aber auch der Bau von Krankenhäusern, werden grundsätzlich verlangsamt oder verhindert. Schon seit Jahren wird die Errichtung eines Spezialkrankenhauses für die Opfer des Giftgasangriffes auf Halabja im Jahre 1988 blockiert. »Natürlich stimmt das Regime keinem Projekt zu, das die Folgen seiner Gräueltaten erforschen kann«, meint Nasreen Mustafa Sidek.

Die Autonomieregion unterliegt einem Duldungsstatus, dessen Fortdauer niemand garantiert. Die kurdischen Parteien verhalten sich derzeit daher zurückhaltend, wenn es um die Pläne für einen US-amerikanischen Militäreinsatz geht. Vor allem nach dem zweiten Golfkrieg erlebte die Region den Vergeltungsterror Bagdads. Suleymania war das Zentrum des kurdischen Aufstandes, der mit der Erstürmung des berüchtigten Gefängnisses des irakischen Sicherheitsdienstes begann. Nach der Niederschlagung der Rebellion jagten irakische Hubschrauber die fliehende Bevölkerung.

Die daraufhin eingerichtete UN-Schutzzone sollte aber nicht nur der Sicherheit der Bevölkerung dienen. Sie wurde auch zum Zentrum für die Aktivitäten der CIA, die im Sommer 1994 ein Haus auf einem Hügel in Salahuddin mietete, unweit vom Anwesen des KDP-Vorsitzenden Massoud Barzani, mit Blick auf Arbil. Dort saß der Irakische Nationale Kongress (INC), ein in London gebildeter Dachverband von Oppositionsgruppen, der sich mit Unterstützung der kurdischen Parteien vor allem darum bemühte, Offiziere der irakischen Armee zum Überlaufen zu bewegen.

Im September 1996 aber machte sich Bagdad die andauernden Kämpfe zwischen der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (Puk) zunutze. Nachdem Massoud Barzani den irakischen Diktator sogar zu Hilfe gerufen hatte, überrollten irakische Panzer die Region bis Arbil. Etwa 150 INC-Funktionäre wurden an Ort und Stelle zusammen mit den übergelaufenen irakischen Offizieren exekutiert, 2 000 Menschen nach Kirkuk verschleppt.

Die Kurden kämpfen seit 40 Jahren gegen die Zentralregierung, ließen sich aber auch immer wieder für die Interessen der regionalen Mächte instrumentalisieren. Die KDP und die Puk wollen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. In Suleymania, der Provinzhauptstadt im von der Puk kontrollierten südlichen Teil Kurdistans, betont der Ministerpräsident der Regionalregierung, Behram Salih: »Wir sind keine Söldner, die irakische Armee ist an allen unseren Grenzen präsent und niemand hat uns bislang einen Plan vorgelegt, der uns wirklich erklärt, was nach einem militärischen Schlag gegen den Irak eigentlich passieren soll.«

Die Kurden verlangen eine zentrale Rolle in einer künftigen Regierung in Bagdad, eine föderative Lösung, die ihre Autonomie festschreibt, und eine Erweiterung ihres Gebietes um Kirkuk samt der dortigen Ölfelder. Doch das garantiert ihnen bislang niemand.

Im Hauptquartier der kurdischen Peshmerga-Streitkräfte herrscht keine Kriegsbegeisterung. Ein Sicherheitsoffizier führt zwar stolz das Training der Spezialeinheiten vor, weist aber auch darauf hin, dass sie noch dabei sind, aus der ehemaligen Bergguerilla eine Armee zu machen. Die Soldaten führen bei 40 Grad Hitze Nahkampfübungen vor. Messer und eine Metallschlinge dienen vor allem dazu, sich bei Spionageaktivitäten in der Nähe der irakischen Stellungen gegebenenfalls gegen Spähtrupps der Gegenseite zu verteidigen. In Tarnkleidung kriechen die Soldaten nachts durch das Gras bis sie den irakischen Einheiten nahe sind.

»Zur Zeit verstärken sich die irakischen Truppen technisch und personell«, erklärt der Sicherheitsoffizier. Jeder hier weiß, dass die 30 000 Peshmerga der Puk keine mit Panzern anrückende Armee aufhalten können. Die Ausrüstung beschränkt sich auf von den Irakern in den neunziger Jahren erbeutetes Equipment und von irakischen Offizieren geschmuggelte Waffen. An einer einzigen mobilen Rakete üben die Rekruten abwechselnd. Im Ernstfall dürften sie die Gegenseite nicht beeindrucken. Alle hier hoffen, dass die ersten Ziele eines US-Luftangriffs die Truppen an der Grenze zur Autonomieregion sind. »Wie betreiben keine Kriegsvorbereitungen, aber im Ernstfall werden wir unseren Boden verteidigen«, erklärt der Sicherheitsoffizier.

Unweit des Trainingsplatzes der Spezialeinheiten übt das Frauenbataillon auf einer hügeligen Wiese den Ernstfall. Die Truppe schleicht gebückt durch das kniehohe Gras, die Frauen üben die Evakuierung. Die 23jährige Zolfan führt hier das Kommando. Im 500 Frauen starken Bataillon ist sie die einzige Absolventin der kurdischen Militärakadamie und speziell dafür ausgebildet, die Kriegsführung innerhalb der speziellen Topographie Kurdistans zu trainieren. Die Frauen sollen lernen, im Falle einer Besetzung der Region die Zivilbevölkerung an den irakischen Stellungen vorbei in die Berge zu evakuieren.

Zolfan spottet über einen Teil ihrer Truppe: »Ihr seid so auffällig, dass selbst ein Schäfer aus der Ferne euch entdecken könnte.« Die Frauen kichern, ducken sich aber brav tiefer in das Gras. Das Frauenbataillon wurde 1997 nach dem traumatischen Erlebnis des Einmarsches der irakischen Truppen gegründet. Zolfan war damals 17 Jahre alt. Geprägt von der Erfahrung des Schreckens und der Hilflosigkeit fasste sie den Entschluss, diese Militärlaufbahn einzuschlagen. »Unsere Peshmerga haben sich die Freiheit, die wir hier besitzen, hart erkämpft«, sagt die junge Frau, nachdem sie in der Batallionsbaracke die Stiefel durch Sandalen ersetzt und die Peshmerga-Kappe abgesetzt hat, »wir werden sie uns nicht kampflos wieder nehmen lassen.«

In der Region Halabja sind die Spuren der Vergangenheit spürbarer als irgendwo sonst in der Autonomieregion. Als die Bomben am 16. März 1988 über der Stadt abgeworfen wurden, bemerkten die Menschen erst langsam einen süßlichen Geruch. Tausende rannten später über die Felder, als sie merkten, dass sie Gift einatmeten, doch das Gas war schneller. 5 000 Menschen starben, 10 000 wurden verletzt.

Auch heute noch leiden die Überlebenden physisch und psychisch, Medikamente sind wegen des Binnenembargos knapp, Krankenhäuser gibt es kaum und die Versorgung ist entsprechend unzureichend.

Dr. Fouad Baban, der Dekan der medizinischen Fakultät der Universität von Suleymania, beschäftigt sich seit 14 Jahren mit den Folgen des Giftgasangriffs. Seine Stimme zittert vor Zorn, als er nach den Folgen des Angriffs gefragt wird. »Wissen Sie, vor drei Jahren haben wir aus eigener Anstrengung eine Untersuchung angestellt, um die Bandbreite des Giftgaseffektes zu messen. Die Größe des betroffenen Gebietes und die Langzeitschädigungen übertrafen unsere Erwartungen bei weitem. Verschiedene Krebsarten, vor allem ein überprozentualer Anteil von Leberkrebs, deuten darauf hin, dass vielleicht der biologische Kampfstoff Aflatoxin eingesetzt worden ist. Aber Bodenuntersuchungen oder andere Arten von Studien, die uns weitere Auskünfte über die damalige Katastrophe geben könnten, wurden nie unterstützt.«

Baban überlebte drei Aufenthalte in irakischen Gefängnissen, doch der 60jährige sieht trotz seines Hasses auf das irakische Regime die amerikanischen Angriffsabsichten mit Skepsis: »Wir haben im Vergleich zum Rest des Irak ein liberales System ohne täglichen Staatsterror. Wir können nicht wissen, was nach Saddam Hussein kommen wird, weder die Nachbarstaaten noch die USA haben ein Interesse an einem demokratischen, unabhängigen Irak.«