Werksbesetzung in Guadalajara

Continental gebremst

Um radikale Gerwerkschafter loszuwerden, schloss der Reifenhersteller eine Fabrik im mexikanischen Guadalajara. Die Belegschaft besetzte das Werk.

Mit seinen deutschen Sozialpartnern hat es Manfred Wennemer leichter. Doch die von ihm geleitete Continental-AG ist ein Weltkonzern, und die Belegschaft des Werkes im mexikanischen Guadalajara bleibt renitent. »Wenn wir Ihren Vorschlag angenommen haben, dann deshalb, weil wir Ihr Angebot für seriös erachtet haben«, teilte sie ihm jüngst in einem Protestbief mit. Doch »angesichts des unnachgiebigen und anmaßenden Verhaltens Ihres Rechtsvertreters, der mit Ultimaten eine 'Lösung' erreichen will und mit Drohungen unseren Streik, notfalls auch mit 'Verletzten und Verhafteten', brechen will, geben wir den Kampf um die Wiedereröffnung des Werkes bis zu unserem Sieg nicht auf. Jetzt haben Sie das Wort, hochachtungsvoll, für eine soziale Revolution.«

Mitte Juni, nachdem die Belegschaft das Werk aus Protest gegen seine Schließung über ein halbes Jahr besetzt gehalten hatte, schien es so, als ob der Konflikt beigelegt worden sei: mit Sozialplänen und Abfindungen für die rund 1100 ArbeiterInnen, damit der Konzern in aller Ruhe und ohne lästige Öffentlichkeit seine Strategie der »Restrukturierung« fortsetzen kann. Doch die Rechnung ging nicht auf. Während in der deutschen Presse von großzügigen Abfindungen die Rede war, wurden den Mexikanern in der Verhandlungskommission ganz andere Zahlen vorgelegt. Seit Juli hält die Belegschaft den Betrieb erneut besetzt.

Die Schließung des Werks ihrer Tochterfirma Euzkadi, so die Darstellung der deutschen Continental-Zentrale, sei wegen der extrem niedrigen Produktivität in Guadalajara beschlossen worden. Angesichts der »Überkapazitäten in der Reifenindustrie« sei eine Restrukturierung unumgänglich gewesen, erklärte Wennemer auf der Aktionärsversammlung Ende Mai in Hannover. Und vergeblich habe das Unternehmen während der letzten zwei Jahre versucht, die Betriebsgewerkschaft zu einem Produktivitätsabkommen zu bewegen. Das sei an ihrer Uneinsichtigkeit gescheitert.

Mit dieser Darstellung gaben sich die Gewerkschaftsvertreter im Continental-Aufsichtsrat zunächst zufrieden. Das Management, so die Aussage des Konzernbetriebsrats Richard Köhler, habe ihm berichtet, dass die Belegschaft »das Werk im Rahmen eines Streiks verlassen« hatte, sodass »die Produktion habe eingestellt werden müssen«. Auch die von der Konzernleitung präsentierten ökonomischen Daten und die daraus abgeleiteten Notwendigkeiten wurden unwidersprochen akzeptiert.

Allzu schlecht geht es Continental, dem viertgrößten Reifenhersteller der Welt, allerdings nicht. Die Anfang August vorgelegten Halbjahreszahlen geben für 2002 eine Gewinnerwartung von 530 Millionen Euro an; Personalabbau, Produktionsverlagerung und Flexibilisierung machten es möglich. Der Konzern hat sogar ein neues Reifenwerk in Rumänien errichtet, und Wennemer kündigte weitere Investitionen in »Niedrigkostenstandorten« an.

Diese Firmenpolitik wird von den deutschen InteressenvertreterInnen unterstützt. Doch die Vorstellung, mit der Zustimmung zur Schließung von »Konkurrenzstandorten« lasse sich Sicherheit gewinnen, erweist sich als naiv. Mitte August stellte das Management ein neues, »atmendes« Produktionsmodell für das Werk in Hannover-Stöcken vor. Es sieht unter anderem eine Ausweitung des Dreischichtsystems im Rahmen einer Siebentagewoche mit flexibilisierten Arbeitszeiten vor. Betriebsbedingte Kündigungen will das Unternehmen dennoch nicht ausschließen.

Den Beschäftigten in Guadalajara sollten in dem umstrittenen Produktivitätsabkommen noch härtere Arbeitsbedingungen zugemutet werden, wie Jesús Torres Nuño, Oscar Rubio und Enrique Gómez, Delegierte der Gewerkschaft Sindicato Nacional Revolucionario de Trabajadores de Euzkadi (SNRTE) Ende Mai während einer Rundreise durch Deutschland erläuterten. Es ging um Zwölfstundenschichten, eine reguläre Siebentagewoche und die Einführung von Schichtwechseln mit der Verpflichtung, so lange ohne Zuschläge weiterzuarbeiten, bis die Ablösung kommt. Die Belegschaft lehnte all diese Forderungen als »unannehmbar« ab, anders als ihre KollegInnen bei General Tire, einem weiteren Continental-Werk in Mexiko. Doch deren Kompromissbereitschaft habe nichts gebracht, so Torres: »Auch dieses Werk ist erneut vor die Wahl zwischen Schließung oder weiteren Zugeständnissen der Arbeitnehmer gestellt. Welche Alternative hätten wir also gehabt?«

Ohnehin waren die von der Firmenleitung genannten Schließungsgründe nach Ansicht der SNRTE-Delegierten nur ein Vorwand. Das Werk sei noch vor kurzem »komplett modernisiert« worden und gelte als eines der »produktivsten in Lateinamerika«. Continental wolle vielmehr eine Belegschaft und deren Gewerkschaft loswerden, die sich deutlich von den gelben, unternehmensnahen Gewerkschaften unterscheide.

Continental hätte eigentlich eine extreme und dauerhafte wirtschaftliche Notlage belegen müssen, die nach mexikanischem Arbeitsrecht allein eine Werksschließung erlaubt. Doch das Unternehmen nutzte seine beherrschende Marktposition in Mexiko aus, zog die jährlichen Tarifverhandlungen vor und schloss sie mit der staatstragenden Central de los Trabajadores de Mexico (CTM) in Windeseile ab. Wenige Tage danach gab Continental die Schließung des Werkes bekannt, ohne dass die Beschäftigten sich auf dem Verhandlungswege hätten wehren können. Sie besetzten die Fabrik, um den Abtransport der Produktionsanlagen zu verhindern.

Eine Arbeitslosenversicherung gibt es in Mexiko nicht. Zwei Kollegen starben, weil sie sich ohne Krankenversicherung nicht angemessen medizinisch behandeln lassen konnten. Trotz der Notlage wird die Besetzung von etwa 800 Beschäftigten durchgehalten. Sie und ihre Familien sind auf Spenden und Unterstützung durch befreundete Gewerkschaften wie die Frente Auténtico del Trabajo (Fat) angewiesen.

Weil Continental die für eine legale Schließung nötigen Nachweise nicht liefern konnte, hoffte die Belegschaft zunächst auf die Bundesschlichtungsstelle beim Arbeits- und Sozialministerium (JFCA). Sie entschied jedoch im März, die Besetzung sei »unzulässig«, weil »unbegründet«. Die Beschäftigten klagten und bekamen in erster Instanz Recht; im Juli urteilte das Arbeitsgericht, dass die Legalität des Streiks in einer ordnungsgemäßen Anhörung geklärt werden muss. Falls der Streik für rechtmäßig erklärt wird, muss Continental die seit Dezember ausstehenden Löhne nachzahlen.

Bis zu einer endgültigen Klärung wird noch einige Zeit vergehen, auch die Klage gegen Continental läuft noch. Unterdessen bemühen sich die Streikenden um die Mobilisierung der internationalen Öffentlichkeit. Unterstützt werden sie bislang vor allem von der internationalen Menschenrechtsorganisation Foodfirst Information and Action Network (Fian) und einer Handvoll GewerkschafterInnen im Umkreis der Initiative der Gewerkschaftslinken.

Die zuständige deutsche Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) dagegen erwies sich als falscher Adressat. Denn schließlich, so die zuständige Sprecherin der Internationalen Abteilung beim Vorstand, sei die SNRTE kein Mitglied des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Erst das Fian brachte die IG BCE dazu, den Fall wenigstens der DGB-Rechtsabteilung vorzulegen.

Das Fian hatte darauf hingewiesen, dass die Schließung auch nach internationalem Recht illegal sei. Denn die Behinderungen der Gewerkschaftsarbeit und die soziale Notlage infolge der Entlassung verstoßen gegen den sowohl von Mexiko als auch Deutschland unterzeichneten Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR). Damit stünde theoretisch auch die Bundesregierung in der Pflicht, eine rechtliche Prüfung des Vorgangs zu unterstützen. Auf entsprechende Schreiben des Fian haben jedoch weder die Regierung, der Bundestag noch die Europäische Kommission reagiert. Ohnehin handelt es sich bei dem Pakt nur um ein soft law, ein Vorgehen gegen die Machenschaften Continentals ist über den Weg staatlicher Sanktionen nicht möglich.

Einen größeren Erfolg verspricht der Weg des Arbeitskampfes auf internationaler Ebene. Immer mehr international agierende Konzerne schließen aus Marketinggründen freiwillige Selbstverpflichtungen ab, in denen sie sich zur Respektierung von Rechten der ArbeiterInnen bekennen. Das könnte die Chancen verbessern, die Konzerne unter Druck zu setzen.

Nach dem Besuch der SNRTE-Delegation, die mit ihren deutschen UnterstützerInnen auch an der Aktionärsversammlung teilnahm, zeigte Wennemer erste Anzeichen von Kompromissbereitschaft. Von einer Wiedereröffnung des Werkes wollte er nichts wissen, immerhin aber erklärte er sich zu neuen Verhandlungen über die Höhe eventueller Abfindungen bereit.

Die mexikanische Belegschaft hätte wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der zusätzlichen Stigmatisierung durch den Streik kaum Aussicht auf neue Arbeitsplätze. »Wenn das Unternehmen den Konflikt mit der Zahlung einer Abfindung beenden möchte, muss diese Summe angemessen sein, d.h. uns erlauben, die schwierige Situation der Arbeitslosigkeit, in die es uns geworfen hat, zu überstehen«, beschloss die Vollversammlung der Beschäftigten Ende Juni.

Kurz vorm Abschluss der Verhandlungen stellte das Management dann ein Ultimatum. Wenn sein Angebot nicht »unverändert und definitiv« akzeptiert werde, lasse man das Werk gewaltsam räumen. Für die Belegschaft war damit klar, dass die Besetzung andauern wird.