Gats-Verhandlungen und die Privatisierung des Bildungssektors

Das ABC des Marktes

Westliche Unternehmen wollen nun auch den Bildungssektor in der ganzen Welt erschließen. In den Gats-Verhandlungen werden die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen.

Die Hoffnungen auf Armutsbekämpfung durch »nachhaltige Entwicklung« teilt das Anti-Privatisation Forum (APF) nicht. Gemeinsam mit anderen radikalen südafrikanischen Gruppierungen mobilisiert die Organisation mit der Parole »Our world is not for sale!« gegen den UN-Gipfel in Johannesburg. Denn während die Delegierten des Gipfeltreffens über die Zukunft des Planeten beraten, macht die Welthandelsorganisation (WTO) Nägel mit Köpfen.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 kooperiert sie mit der Uno. Auf dem Gipfel wird über neue »Partnerschaften« zwischen Regierungen, Unternehmen und NGO verhandelt. Für gesetzliche Regelungen ist die WTO zuständig, das General Agreement on Trade in Services (Gats) soll bis zum Jahr 2005 die Privatisierung öffentlicher Dienste wie Gesundheit und Bildung in der ganzen Welt vorantreiben. Doch unter diesem Freihandelsregime, so das APF, verkomme die Armutsbekämpfung »zur Lüge«.

Währenddessen fordert die südafrikanische Lehrergewerkschaft SADTU im Rahmen einer weltweiten Kampagne für offene Bildung die Abschaffung der Schulgebühren in Südafrika. »Zwischen 500 000 und einer Million Kinder«, so die Schätzung der Gewerkschaft, können wegen der Armut in Südafrika keine Schule besuchen. Weltweit sind 125 Millionen Kinder vom Schulbesuch ausgeschlossen. Die Privatisierung im Rahmen von Gats könnte diese Ausgrenzung zahlungsunfähiger Bevölkerungsschichten langfristig verstärken.

»Das Gats verschärft den Wettbewerbsdruck für öffentliche Bildungseinrichtungen«, so beschreibt Thomas Fritz, ein Mitarbeiter der NGO Weed, der Jungle World die Auswirkungen des Dienstleistungsabkommens. »Entweder die Qualität sinkt oder es kommt zur verstärkten Erhebung von Schul- und Studiengebühren«, befürchtet er. Denn es ist zu erwarten, dass »private Bildungsbetreiber gleichberechtigte Ansprüche auf staatliche Subventionen« mit Hilfe des Gats geltend machen können und »dadurch die Mittel für öffentliche Einrichtungen schrumpfen«. Fritz, der die Gats-Verhandlungen seit ihrer Wiederaufnahme im Jahr 2000 kritisch verfolgt, sieht mit einem weiteren Verhandlungserfolg der Bildungslobbyisten »den Boden für sozialen Ausschluss« bereitet.

Das Gats wurde im Rahmen der so genannten Uruguayrunde von 1994 ins Leben gerufen, um den Unternehmensinteressen im boomenden Dienstleistungsbereich Geltung zu verschaffen. Nach weitgehenden Öffnungen z.B. im Telekommunikationssektor fordern nun Lobbyistenzusammenschlüsse wie die US-amerikanische Coalition of Service Industries verstärkt Liberalisierungen in »wichtigen Bereichen wie Bildung und Gesundheit, denen bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist«.

Bereits 1996 machte der Handel mit Bildung mit mehr als sieben Milliarden Dollar den fünftgrößten US-Exportsektor bei Dienstleistungen aus. Auf der Suche nach neuen Absatzmärkten ist der Bildungsbereich immer mehr ins Blickfeld von Unternehmensinteressen gerückt. Das Volumen des Bildungsmarktes wird von der Unesco auf rund zwei Billionen Dollar geschätzt, und es soll noch größer werden. Private Anbieter halten derzeit einen Anteil von rund einem Fünftel. Doch das Geschäft mit den Zukunftschancen wollen sie sich nicht entgehen lassen.

Vor allem im Wachstumsmarkt des online- und distance-learning überwinden sie derzeit die regionalen Grenzen der Vermarktung. Ausgehend von Australien ringen Verbände wie universitas 21 mit virtual universities und weltweiten Ablegern um ihre Anteile am globalen Bildungsmarkt. Im Mai warben bereits zum zweiten Mal Bildungsanbieter aus mittlerweile 71 Staaten auf der Kongressmesse World Education Market für ihre Produkte.

Während große Bildungsexporteure wie die USA, Großbritannien und Australien lukrativen Geschäften entgegensehen können, stecken die Entwicklungsländer in einem besonderen Dilemma. Einerseits benötigen sie Know-How und Kapitalinvestitionen, um ihre Ökonomien aufzubauen, andererseits können ihre vergleichsweise schwachen Bildungssysteme gegenüber der ausländischen Konkurrenz nur schwer bestehen.

Die Angebote der Bildungskonzerne werden vom angloamerikanischen Universitätssystem beherrscht, selbst bestimmte Entwicklung wird durch diese Kommerzialisierung an den Rand gedrängt. Zum Zug kommt eine Bildungselite, die das Geld für Kurse aufbringen kann.

In weiterer Folge wird ein brain drain beklagt, da viele Akademiker nach dem Abschluss ihres Studiums mit ihrem Know-How in den Norden auswandern. Gleichzeitig sind Verpflichtungen, die die Öffnung von Dienstleistungssektoren bedeuten, nahezu unumkehrbar. Das ungleiche, von der WTO vorangetriebene Welthandelssystem setzt sich auch hier fort. Mit dem Gats betreibt die WTO allein die Vermarktung und reduziert Bildung auf eine Ware.

»Der Rückzug öffentlicher Bildungsfinanzierung bedeutet, dass Menschen wie Humanressourcen behandelt werden. Ihre Existenzberechtigung wird mit der Funktion ihres Beitrags zur Kapitalproduktivität verbunden«, kommentiert der belgische Universitätsprofessor Riccardo Petrella die Marktöffnung der Bildungssysteme im Gespräch mit der Jungle World. Er benennt als Folge »eine neue Form von wissensbasiertem Klassendenken und Rassismus«.

Doch in welchem Ausmaß die 144 Mitgliedsstaaten weitere Verpflichtungen zur Öffnung ihrer Bildungsmärkte eingehen, ist »noch schwer einschätzbar«, erklärt Weed-Mitarbeiter Thomas Fritz: »Eine Bilanz kann wahrscheinlich erst auf der WTO-Ministerkonferenz 2003 in Mexiko gezogen werden.« Bis zum 31. März 2003 wollen die WTO-Mitgliedsstaaten unter Ausschluss der Öffentlichkeit noch über Liberalisierungsforderungen und -angebote verhandeln.

Eine Vorahnung der Auswüchse kommerzialisierter Bildung gibt das Beispiel von channel one. 1989 ging das Werbeprogramm in US-amerikanischen Klassenzimmern auf Sendung. Schulen verpflichten sich seither vertraglich, an mindestens 90 Prozent der Schultage für mehr als zehn Minuten den Werbekanal in der Unterrichtszeit zu präsentieren. Den Protesten von Eltern gegen diese Zwangsberieselung halten die Vertragspartner entgegen, dass sie angesichts der Kürzungen öffentlicher Mittel auf das so verdiente Geld nicht verzichten können.