Die Schlacht im Schlamm

Die Hochwasserschäden sind verheerend für die Menschen in den betroffenen Gebieten. Die Bundesregierung zieht daraus ihren Vorteil.

Der Wendepunkt ist erreicht, und wir legen kräftig zu.« Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Ludwig Stiegler, zeigte sich in der vorigen Woche gegenüber der Rhein-Zeitung sicher, dass seine Partei die Bundestagswahl gewinnen könne. Vor kurzem sah das noch ganz anders aus.

Angesichts der neuesten guten Ergebnisse bei der »Umfrage-Flut« (dpa) präsentiert sich die Führung der SPD in souveräner Gelassenheit. Denn Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) konnten sich in den letzten Tagen immer wieder erfolgreich als »Macher« präsentieren, auf die sich die Bevölkerung in einer Krisensituation verlassen kann.

Schröder standen Mitgefühl und Verantwortung ins Gesicht geschrieben, Struck zeigte sich als der oberste Kamerad, der seine Truppe bei der Frontarbeit nicht im Stich lässt. Jeder Deich, der hielt, wurde zum Erfolg der Regierung, jeder Deich, der brach, war schlicht ein »Unglück«. Die Hochwasserkatastrophe habe gezeigt, dass die rot-grüne Bundesregierung einer solchen Aufgabe gewachsen sei, meinte Stiegler.

Auch die Grünen profitieren von der Flut, wie ihr Vorsitzender Fritz Kuhn in der vergangenen Woche nicht müde wurde zu betonen. Man habe sie ja quasi vorausgesehen. Allerdings begannen die Grünen erst während des Hochwassers, sich mit Verkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) um den Ausbau der Elbe zu streiten. Joschka Fischer, der noch vor kurzem keinen Hehl daraus machte, dass ihn die Umwelt nicht sonderlich kümmert, sprach auf dem so genannten kleinen Parteitag, der am Freitag in Berlin stattfand, über nichts anderes als über die Umweltpolitik und ihre Notwendigkeit.

Doch über allem stand der Kanzler, der entschlossen und mit »ruhiger Hand« die Milliarden Euro aufzutreiben versuchte, die »schnelle Hilfe« bringen sollen. Mit den Maastricht-Kriterien oder mit pedantischen Wirtschaftsfragen, das machte Schröder recht unwirsch klar, befasse er sich zurzeit nicht. »Das interessiert mich überhaupt nicht. Das will ich Ihnen einmal sagen«, sagte er der versammelten Presse. Dieses ganz auf den Gefühlseffekt abzielende Auftreten brachte die SPD zum ersten Mal seit langem in den Umfragewerten wieder in die Nähe der CDU/CSU.

Die Truppe um Edmund Stoiber dagegen erging sich in Mäkeleien. Erst wollte sie eine indirekte Steuererhöhung, dann räsonierte sie über die Auszahlung von Bundesbankgewinnen. Schließlich war es der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU), der dem Kanzler gestehen musste, dass die von der CDU regierten Länder im Bundesrat die Verschiebung der Steuerreform bejahen, sie allerdings im Falle eines Wahlsieges doch zum ursprünglich vereinbarten Zeitpunkt durchführen würden. Eine Logik, die für viele nicht mehr verständlich war.

Stoiber machte außerdem einen gravierenden Fehler, als er Politiker aus den vom Hochwasser betroffenen Ländern zu einer Beratung bat und anstelle des in Hochwasserfragen mit einem guten Ruf ausgestatteten Brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) dessen Stellvertreter Jörg Schönbohm (CDU) einlud. Derart schlechte Kommentare musste sich Stoiber lange nicht mehr anhören. »Mir rollt das ein bisschen am Rücken vorbei«, kommentierte Platzeck diesen Fauxpas gelassen.

Doch brachte das der Union in den Umfragen kaum Verluste. Und auch die FDP steht weiterhin gut da, obschon ihr »Kanzlerkandidat« Guido Westerwelle sich mit seinen Klagen wegen des Fernsehduells lächerlich machte und keine Konzepte zur Entschädigung der Hochwasseropfer vorlegen konnte. Die einzige im Bundestag vertretene Partei, deren Umfragewerte wesentlich gesunken sind, ist die PDS, die, obwohl sie sich als ostdeutsche Volkspartei versteht, zum Hochwasser kaum etwas zu sagen weiß.

Die Opfer stehen vorerst allein da. Zwar werden ihnen pro Haushalt bis 2 000 Euro Soforthilfe ausgezahlt, doch zur Deckung der Schäden reicht das in keinem Fall. In Sachsen und Sachsen-Anhalt, den am stärksten betroffenen Gebieten, sind Industrieanlagen, Innenstädte und Tausende Häuser und Wohnungen beschädigt, an manchen Orten vollständig zerstört.

Im sächsischen Städtchen Grimma, das bislang nur die beschaulich dahinfließende Mulde kannte, stand das Wasser über drei Meter hoch auf dem Marktplatz. Viele, die sich dort mit Krediten selbstständig gemacht hatten, fanden nach dem Ablaufen des Wassers nur noch wertlosen Schutt in ihren Geschäften und Restaurants. Die »paar Hundert Millionen Euro« (Süddeutsche Zeitung), die die Bundesregierung im ersten Jahr für alle Hochwassergebiete bereitstellen will, sollen vor allem in den Wiederaufbau der Infrastruktur fließen. Was übrig bleibt, wird für viele Betroffene allenfalls zur Tilgung der Kreditzinsen reichen. In Grimma begann man in der vergangenen Woche bereits damit, alte, zum Teil gerade erst renovierte Häuser, die wegen der Flutschäden einsturzgefährdet waren, abzureißen. Vielleicht wird die Stadt in zehn Jahren wieder das sein können, was sie vor der Flut gerade erst geworden war: ein Ausflugsziel.

Zwar wird nun von verschiedenen Experten ein kurzzeitiges Aufleben der deutschen Wirtschaft erwartet, da enorme Beträge in öffentliche Aufträge fließen werden. In den überschwemmten Regionen dürfte allerdings kaum ein Wirtschaftsaufschwung zu erwarten sein. Von den Hochwasserschäden betroffene Mittelständler werden sich auch mithilfe der vom Bund in Aussicht gestellten besonders günstigen Kredite kaum sanieren können, Aufträge werden künftig an Firmen in anderen Regionen vergeben werden.

Die Arbeitslosigkeit, die in diesen Gebieten bereits vor dem Hochwasser zum Teil enorm hoch war, könnte weiter ansteigen. Der Einzelhandel könnte verstärkt von Einkaufszentren, mit denen er zuletzt schon kaum noch konkurrieren konnte, verdrängt werden. Und die Bahn überlegt bereits, einen Teil der überfluteten Strecken ganz zu schließen.

Wegen der katastrophalen Lage der betroffenen Menschen forderten in der vergangenen Woche Abgeordnete aller Fraktionen die Einstellung des Bundestagswahlkampfes, um das so eingesparte Geld für die Opfer des Hochwassers zu spenden. »Die Betroffenen brauchen jetzt keine Plakate mit lachenden Politikern oder bunten Broschüren«, sagte der sächsische SPD-Abgeordnete Richard Schumann der Bild am Sonntag. Die Dresdner Grüne Antje Hermenau forderte einen »Arbeitseinsatz für Katastrophenopfer statt Wahlkampf«. Abgeordnete der CDU und der CSU kündigten an, ihren Wahlkampf abzubrechen und das Geld zu spenden. Bald gibt es keine Parteien mehr und keine Unterschiede. Noch konsequenter war Gregor Gysi (PDS), der gar eine Verschiebung der Bundestagswahl forderte. Das wurde allerdings sogar von seiner eigenen Partei zurückgewiesen.

Indes hat der CDU-Stratege Wolfgang Schäuble zu Recht darauf hingewiesen, dass der gegenwärtige Stimmungsumschwung zugunsten der SPD noch lange nicht bedeute, dass die Wahl gelaufen sei. Schäuble weiß, dass die Wählerinnen und Wähler, allem Nationalpathos zum Trotz, schnell vergessen werden, und dass wahrscheinlich noch vor der Wahl Hochwasseropfer im Fernsehen präsentiert werden, die der Bundesregierung vorwerfen, nicht energisch genug gehandelt zu haben.

Schröder kann nicht davon ausgehen, dass er mit der »Flut« allein die Wahl gewinnen kann. In der nächsten Woche, am 5. September, werden die neuesten Arbeitslosenzahlen präsentiert. Dann könnte es bereits wieder die Opposition sein, die aus dem Elend anderer Leute ihre Vorteile zieht.