Die Sozialwissenschaftlerin Susan George zum UN-Umweltgipfel

»Es gab keine Kehrtwende«

Der bis zum 4. September tagende UN-Weltgipfel in Johannesburg unternimmt nach der Konferenz in Rio im Jahr 1992 einen neuen Versuch zur Rettung des Planeten. Doch keines der damals gesetzten Ziele wurde erreicht. Die Umweltzerstörung hält an, fast drei Milliarden Menschen leben von weniger als zwei US-Dollar am Tag. Seit über 25 Jahren zählt die in den USA geborene französische Sozialwissenschaftlerin Susan George zu den profiliertesten Kritikerinnen der vorherrschenden Wirtschaftsordnung.

Radikale Demonstranten in Südafrika beschuldigen den UN-Weltgipfel, die globale Macht der Konzerne zu maskieren. Haben diese Proteste einen Sinn?

Es gibt immer Gründe zu protestieren. Besonders in Verbindung mit Pressearbeit und wenn es nicht gewalttätig ist, damit sich eine maximale Anzahl von Menschen daran beteiligen kann. Proteste sind immer sinnvoll. Und der Gegner kann auch erschreckt und bis zu einem gewissen Grad gestört werden. Es ist nicht genug, nur das zu tun, aber es ist immer sinnvoll.

Was muss passieren, damit dieser Weltgipfel nicht ebenso folgenlos bleibt wie der Gipfel vor zehn Jahren in Rio?

Ich fürchte, dass Johannesburg ein Fehlschlag wird. Wir werden sehen, vielleicht kommt auch etwas Gutes dabei heraus. Rio hat Umweltfragen wenigstens auf die Tagesordnung gebracht. Auf jeden Fall hat es mehr Diskussionen gegeben, und jedes Land hat seinen eigenen Rat für nachhaltige Entwicklung eingerichtet. Aber ich denke, dass die Konzerne viel erfolgreicher zusammenarbeiten. Sie sind noch immer so gruppiert wie im business council in Rio. Und auf ihrer Tagesordnung steht: keine Regulierung. Ihre einzige Linie ist: »Wir regulieren uns selbst und entscheiden, wie dieses und jenes Projekt gemacht wird. Finger weg von uns, und niemand soll daherkommen und irgendwelche weltweiten Regeln aufstellen.«

Ich denke, dass sie damit erfolgreich sein werden. Aber wenn wir den Planeten den Konzernen überlassen, können wir ihm gleich Auf Wiedersehen sagen. Und wenn Leute denken, dass sechs oder acht Milliarden Menschen auf dem Niveau eines durchschnittlichen Amerikaners oder Deutschen leben können, dann sind sie verrückt. Wir müssen den Konsum drosseln. Das bedeutet, dass - wie es Ernst Ulrich von Weizsäcker in seinem Buch »Faktor 4« aufgezeigt hat - wir die Produktion dematerialisieren, den Energieverbrauch reduzieren können und dass es möglich ist, einen perfekt angemessenen Lebensstandard im Einklang mit der Umwelt für jeden Erdbewohner zu haben. Aber wir befinden uns sicher nicht auf dieser Straße. Und für mich deutet Johannesburg auf keinen besonderen Wandel hin. Wir haben keine Kehrtwende gemacht, wir laufen nur immer schneller und schneller auf die Wand zu.

Die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden vergrößert sich nach wie vor, die UN-Entwicklungspolitik steckt in der Krise. Wird in Zukunft, wie viele NGO fürchten, Entwicklungshilfe unter der Schirmherrschaft der WTO immer mehr auf das Paradigma des freien Marktes reduziert?

Sie liegen richtig, dass die Handelsagenda anstelle der Entwicklungsagenda tritt. Es sollte nicht »trade not aid«, sondern »trade and aid« heißen. Aber das betrifft nicht nur die WTO. Auch der IWF und die Weltbank, die Strukturanpassungspolitik in den letzten 20 Jahre betrieben haben, wiesen die Länder an, sich auf Exporte zu konzentrieren. Und warum haben sie sich auf Exporte zu konzentrieren? Weil sie schwer verschuldet sind. Niemand will Rückzahlungen in ihren nationalen Währungen. Du zahlst als Brasilianer nicht in Real, sondern in Dollar zurück. Folglich müssen diese Dollars mit Exporten verdient werden. Dann kommt die WTO ins Spiel. Was sie meiner Meinung nach macht, ist, die Position von Ländern, wo auch immer sie auf der Entwicklungsskala stehen, zu zementieren.

Anstatt sich auf höherwertige Produkte hin zu bewegen, bleiben sie auf dem Niveau von Rohstoffexporten stehen. Und da so viele Staaten versuchen, die gleichen Produkte zu exportieren, konkurrieren sie untereinander. Folglich besteht ein Überangebot auf dem Weltmarkt, die Preise für Rohstoffe fallen, sie sind auch letztes Jahr wieder gesunken. Das ist ein Spiel, bei dem man nur verlieren kann. Es ist nicht zu gewinnen. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Länder, die z.B. auf einem leicht höheren Niveau Textilien exportieren können, nach wie vor Zöllen der nördlichen Staaten ausgesetzt sind, die ihre lokale Industrie schützen. Die Machthaber schaffen die Regeln für ihre nördlichen Konzerne. Die hat die Dritte Welt zu schlucken oder sie hat es zu lassen. Viele Wahlmöglichkeiten haben sie nicht dabei.

Der Generaldirektor der WTO, Mike Moore, führte in seiner Abschiedsrede Ende Juli an, dass das »Vertrauen in das System nach dem Rückschlag von Seattle wiederhergestellt ist«. Die WTO-Ministerkonferenz in Doha hat erfolgreich die Millenniumrunde unter dem neuen Label Doha Development Agenda eingeläutet. Wie schätzen sie die Ergebnisse von Doha ein?

Wir wissen, dass wir Ussama bin Laden für die Ergebnisse in Doha dankbar sein dürfen. Robert Zoelick (Regierungsbevollmächtigter der USA für Außenhandel, Anm. Red) ist nach dem 11. September vorgeprescht und hat erklärt, dass sie das World Trade Center zerstören können, aber nicht den Handel, die Freiheit und die Demokratie. Es war eine große Ansprache. Er hat es wirklich so zugespitzt, dass kein Land - Indien eingeschlossen, das so viel gegen diese Runde gehabt hat - aufgestanden wäre und gesagt hätte: »Nein, wir werden keine Runde haben.«

Ich denke, dass es ohne den 11. September zu einem weiteren Fehlschlag gekommen wäre. Weil die südlichen Länder nicht das bekommen haben, was sie wollten. Und endlich ist der Arbeiterschaft ein Licht aufgegangen und sie hat begriffen, dass sie nichts bekommen wird. »Wenn man sich sechs Jahre lange nicht von der Stelle bewegt, kann wirklich von null Forschritt gesprochen werden«, meinte hierzu die internationale Gewerkschaft für öffentliche Dienstleistungen. Arbeiter werden nichts bekommen. Und die Umwelt wird nichts bekommen. Folglich gibt es klare Verhältnisse. Und Moore hat recht, dass das Vertrauen der transnationalen Konzerne wiederhergestellt ist, da die Doha-Agenda durchgedrückt wurde.

Wird die WTO sich trotz Seattle mit ihrer Verhandlungsrunde durchsetzen?

Doha war ein Rückschlag für die Bewegung. Ich denke, dass wir das eingestehen müssen. Und wir haben zu realisieren, dass wenn wir nicht kämpfen, die jüngere Generation in 15 Jahren keinen Zugang zu subventionierten Märkten, zu öffentlichen Wohnungen, zu einer angemessenen öffentlichen Versorgung haben wird. Ich meine, dass sich das alles in Gefahr befindet. Uns steht ein großer Kampf bevor.

Mit welchen Hindernissen wird die globalisierungskritische Bewegung künftig konfrontiert sein?

Wir müssen der Arbeiterbewegung Gehör schenken. Wir müssen uns ihrer Sorgen annehmen. Erinnern wir uns an den Mai 1968. Es hat funktioniert, wenn Studenten und Arbeiter zusammengearbeitet haben. Wir müssen Gewalt um jeden Preis vermeiden. Ich denke, dass wir viel studieren müssen. Wir setzen uns mit komplexen Themen auseinander und wir brauchen Leute, die sie beherrschen und anderen Menschen erklären können. Leute, die gelernt haben, Dinge einfach zu erklären und nicht nur für andere Intellektuelle. Wir müssen diese politischen Fragen relevant für die Menschen machen, für ihren Alltag. Und uns möglichst eng mit anderen Koalitionspartnern verbinden.